Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt

Landrat von Augsburg sieht zu wenig Ergebnisse

Flüchtlinge überqueren die deutsch-österreichische Grenze
Flüchtlinge überqueren die Grenze von Österreich nach Deutschland © dpa/picture-alliance/ Sebastian Kahnert
Martin Sailer im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 02.11.2015
Gleich mehrere Gespräche gab es am Wochenende zur Flüchtlingsfrage im Kanzleramt. Doch CSU-Chef Seehofer, Bundeskanzlerin Merkel und der SPD-Vorsitzende Gabriel konnten sich nicht einigen. Wird es überhaupt eine echte Lösung geben? Der Augsburger Landrat Sailer ist skeptisch.
Der Landrat von Augsburg, Martin Sailer (CSU), hat die Spitzen von CDU, CSU und SPD aufgefordert, in der Flüchtlingsfrage endlich Ergebnisse zu liefern. Mit Blick auf den Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt am Wochenende sagte Sailer im Deutschlandradio Kultur, er und alle Kommunalpolitiker in Bayern hätten konkrete Lösungsvorschläge erwartet. Nun gebe es wenigsten eine unions-interne Einigung über die Transitzonen und eine Vertagung auf Donnerstag. Er sei aber "skeptisch, ob der große Durchbruch gelingen wird", sagte Sailer.
Am Donnerstag wollen Union und SPD erneut über die Flüchtlingsfrage beraten
"Ich erwarte, dass sich die drei Koalitionspartner spätestens am Donnerstag wirklich auf einen verlässlichen Fahrplan einigen, und wir brauchen dringend ein deutliches Signal (...) an die Bevölkerung, wie wir mit dem dauerhaften Zustrom an Asylbewerbern (...) umgehen möchten. Das ist eine Riesenaufgabe, eine gesellschaftspolitische Aufgabe, wie es wahrscheinlich das Land noch nie erlebt hat", betonte Sailer. Der Landrat sprach sich noch einmal deutlich für die von seiner Partei geforderten Transitzonen aus. Es mache wenig Sinn, die Flüchtlinge ohne Chancen auf Asyl erst über das Bundesgebiet zu verteilen, sie also erst aufzunehmen, und sie dann wieder abzuschieben.

Das Interview in voller Länge:
Korbinian Frenzel: Viele, viele Stunden hat man zusammengesessen im Kanzleramt an diesem Wochenende in verschiedensten Konstellationen zur aktuellen Flüchtlingssituation – Merkel, Seehofer, Kauder, Altmaier, Gabriel, Hasselfeldt, CDU, CSU, SPD, und erlauben Sie mir ein umfassendes Ergebnisprotokoll –, Ergebnis 1: Am Donnerstag trifft man sich noch mal, um das zu klären, was man eigentlich an diesem Wochenende klären wollte. Ergebnis Nummer 2: CSU und CDU wollen jetzt nicht mehr miteinander streiten, sondern gemeinsam – neuer Gegner: Die SPD. Wie schaut man wohl auf so ein Wochenende, wenn man als Kommunalpolitiker vor Ort ganz konkret Probleme lösen muss angesichts der vielen Flüchtlinge, das wollen wir wissen von Martin Sailer, er ist Landrat von Augsburg in der CSU und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Sailer!
Martin Sailer: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Frenzel: Sind Sie enttäuscht, wenn Sie auf diese Ergebnisse oder besser gesagt, diese Nichtergebnisse, in Berlin schauen?
Sailer: Ich denke, ich und zuweilen die Kommunalpolitiker in Bayern, vor allem an der Grenzregion, hätten sich erhofft und erwartet, dass es konkrete Lösungsvorschläge gibt. Jetzt hat man sich unionsintern ein Stück weit geeinigt und auf Donnerstag vertagt, da bleibt noch ein bisschen Hoffnung, aber ich bin etwas skeptisch, ob tatsächlich der große Durchbruch gelingen wird.
Frenzel: Konkrete Lösungsvorschläge – was meinen Sie damit? Was hätte Ihnen geholfen?
"Transitzonen sind ein wichtiges Thema für uns"
Sailer: Das Einrichten der Transitzonen ist für uns, glaube ich, ein ganz wichtiges Thema. Es macht wenig Sinn, Asylbewerber, die aus sicheren Drittstaaten kommen, reinzuverteilen ins Bundesgebiet bis nach Nordrhein-Westfalen, bis nach Schleswig-Holstein, um sie dann später wieder abschieben zu müssen. Da hätten wir uns erwartet und erhofft, dass gerade diese Menschen zentral sozusagen aufgefangen werden und dann in einem schnellen Asylverfahren auch entsprechend bearbeitet werden. Das wären erste Signale gewesen, und was vor allem fehlt, ist ein deutliches Signal, dass dieser ungebrochene Zustrom an Asylbewerbern doch zumindest mittelfristig gebremst und gedrosselt werden kann.
Frenzel: Nun hat ja die SPD einen Vorschlag gemacht: Einreisezentren, die zwar nicht an der Grenze sind, aber die ja im Kern dasselbe beinhalten, dass also Flüchtlinge dazu gedrängt werden, sich auf jeden Fall zu registrieren, damit man sie dann auch im Zweifel, wenn sie keine Berechtigung haben, schneller abschieben kann. Wären das nicht die Spatzen in der Hand gewesen, die man hätte nehmen sollen?
Sailer: Da stelle ich umgekehrt die Frage an die SPD, warum dann nicht die Transitzonen direkt an der Grenze einzurichten. Das macht doch wenig Sinn, die Menschen in das Bundesgebiet zu verteilen, sie dort entsprechend aufzunehmen und dann wieder abschieben zu müssen. Macht doch viel mehr Sinn, sie dort gleich aufzugreifen, wo sie in großer Zahl, in größter Zahl, auch ins Land strömen, nämlich an der Grenze zu Österreich.
Frenzel: Die Begründung, die die SPD, die viele andere bringen, die passt vielleicht auch ganz gut zusammen, zu dem, was Sie einst gesagt haben über die vielen Flüchtlinge, die ja, wie Sie gesagt haben, traumatisiert nach Deutschland kommen nach dieser Fluchterfahrung – wenn man Sie dann – ja, ich benutze jetzt mal dieses Wort – in Lager bringt, glauben Sie nicht, dass sich Deutschland da von einer Seite zeigt, wie es sich nicht zeigen sollte?
"Es geht darum, ganz schnell Verfahren einzuleiten"
Sailer: Nein, es geht ja auch um die Frage, wie wir den Menschen begegnen. Deutschland zeigt ja im Moment, dass sie mit den Flüchtlingen, die zu uns kommen, sehr wohl vernünftig umgehen. Es gibt ein ganz, ganz großes Engagement von Ehrenamtlichen, es gibt im Landkreis über 50 dezentrale Unterkünfte inzwischen, die ganz maßgeblich gestützt und getragen werden von Ehrenamtlichen. Das heißt, es geht schon um die Frage, wie wir auch dauerhaft bereitstellen und bewerkstelligen können, dass die Menschen, die zu uns kommen, auch entsprechend integriert werden können. Die Frage, wie wir mit dem großen Zustrom umgehen, da geht es nicht um die Frage, dass wir sie in Lager kasernieren, sondern es geht um die Frage, wie wir ganz schnell Verfahren einleiten können, um den Menschen, die keine Aussicht auf Asyl haben, zu zeigen, dass sie wieder ausreisen müssen. Da stelle ich mir schon die Frage, ob der große Aufwand sich lohnt, sie ins Bundesgebiet zu verteilen, um sie dann abzuschieben, ob es nicht mehr Sinn macht, sie zentral aufzugreifen, in ein schnelles Asylverfahren zu bringen und dann entsprechend wieder auszuweisen.
Frenzel: Herr Sailer, wie ist die Situation aktuell in Ihrer Region, in Ihrem Kreis Augsburg? Können Sie alle Flüchtlinge unterbringen oder sind Sie bereits jetzt überfordert?
Sailer: Wir sind an der Belastungsgrenze, das sage ich ganz deutlich auch, das Landratsamt, auch die Ehrenamtlichen bekommen pro Woche inzwischen 75 Asylbewerber zugewiesen. Wir hangeln uns, was die Unterkünfte betrifft, von Woche zu Woche. Toi, toi, toi, sind wir noch nicht in Schulturnhallen, aber wenn der Zustrom so anhält, dann glaube ich, wird das mittelfristig auch bei uns in die Schulturnhallen gehen, und dann glaube ich, wird es auch Probleme geben, was die Bereitschaft betrifft vor Ort, mit den Flüchtlingen entsprechend umzugehen.
Der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU)
Der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU)© Landratsamt Augsburg
Frenzel: Aber die ist bisher noch da, die Bereitschaft?
Sailer: Die ist im Moment noch da, allerdings, wir sind jetzt bei gut 2.200 Asylbewerbern, werden bis Jahresende bei gut 3.000 sein, und wir werden im nächsten Jahr die gleiche Größenordnung wohl auch hinnehmen müssen.
Frenzel: Haben Sie schon Auswirkungen bemerkt auf die Arbeit Ihrer Verwaltung? Können Sie andere Dinge nicht mehr tun, weil Sie sagen, wir müssen uns im Moment gerade so fokussieren auf diese Flüchtlingssituation?
"Es geht nur miteinander!"
Sailer: Ja, da sind wir Gott sei Dank politisch in der Lage und auch finanziell, dass hier mein Kreis für das kommende Jahr über 50 neue Stellen genehmigt hat, sodass wir andere Bereiche nicht zurückfahren müssen, aber doch deutlich mehr Personal einstellen und damit natürlich auch deutlich mehr Steuergelder für entsprechendes Personal ausgeben.
Frenzel: Herr Seiler, eine Frage noch zum Abschluss, eher vom politischen Stil her – was ist Ihnen denn eigentlich persönlich angenehmer, dieser eher polternde Stil von Horst Seehofer oder die Art und Weise, wie Angela Merkel in dieser Situation, mit dieser Situation umgeht?
Sailer: Mir wäre der Mittelweg ganz lieb. Es geht nicht nur gegeneinander, es geht nur miteinander. Ich erwarte, dass sich die drei Koalitionspartner spätestens am Donnerstag wirklich auf einen verlässlichen Fahrplan einigen, und wir brauchen dringend ein deutliches Signal auch an die Bevölkerung, wie wir mit dem dauerhaften Zustrom an Asylbewerbern, miteinander umgehen möchten. Das ist eine Riesenaufgabe, eine gesellschaftspolitische Aufgabe, wie es das Land wahrscheinlich noch nie erlebt hat. Ich spüre das vor Ort, die Menschen sind verunsichert. Es gibt eine große Bereitschaft, den Menschen zu helfen, aber es braucht auch ein Signal, die Ängste und Sorgen der Menschen zu nehmen.
Frenzel: Martin Sailer, CSU-Landrat von Augsburg, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Sailer: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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