Flüchtlingsdebatte

Der Stammtisch wird salonfähig

Micha Brumlik, ehemaliger Leiter des Fritz-Bauer-Instituts, spricht gestikulierend in ein Mikrofon.
Micha Brumlik: Die Rede von der Alternativlosigkeit tötet die Politik ab. © imago / IPON
Micha Brumlik im Gespräch mit Nana Brink · 11.02.2016
In der Flüchtlingsdebatte wird der Ton immer rauer. Der Publizist Micha Brumlik sieht deswegen die Gefahr, dass sich in Deutschland zwei politische Lager ausbilden, die - wie in den USA - nicht mehr miteinander reden können.
Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik macht sich große Sorgen um die politische Kultur in Deutschland. Im Deutschlandradio Kultur sagte er mit Blick auf die Debatte über den Zustrom an Flüchtlingen, es sei besorgniserregend, dass nicht mehr nur in den sozialen Medien gegeifert werde, sondern auch in "anspruchsvolleren Feuilletons" und in der "Arena des Politischen". Damit werde der Stammtisch in gewisser Weise salonfähig. Als Beispiele nannte Brumlik die Intellektuellen Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk, der inzwischen "absurde Verschwörungstheorien" verbreite. Brumlik befürchtet, dass sich in Deutschland durch zunehmend zugespitzte und härter geführte Debatten Zustände wie in den USA einstellen.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Die meisten Veranstaltungen zum Politischen Aschermittwoch, wo man ja mal so richtig draufhauen kann, die wurden gestern abgesagt aus Respekt vor den Opfern des Zugunglücks in Oberbayern. Aber manche Äußerungen im politischen Raum lassen ja vermuten, dass der Stammtisch nun doch Einzug gehalten hat in die politischen Auseinandersetzungen. Fällt uns natürlich sofort Horst Seehofer ein, der der Kanzlerin, mit der er immerhin zusammen regiert, eine "Herrschaft des Unrechts" unterstellt.
Es gibt auch den Verfassungsrechtler Udo Di Fabio, der ins ähnliche Horn bläst, der sagt, die Kanzlerin beginge Verfassungsbruch. Oder Intellektuelle wie Rüdiger Safranski, die ziehen gegen eine naive, weil angeblich zu flüchtlingsfreundliche Politik zu Felde.
Man könnte sagen, der scharfe Ton, den wir ja sonst eigentlich nur aus Kommentaren in den sozialen Medien kennen, der hat sich nun auch seinen Weg gebahnt in die Salons dieser Republik. Welche Auswirkungen hat das? Erleben wir eine Verrohrung der politischen Sprache? Darüber spreche ich jetzt mit Micha Brumlik, emeritierter Professor an der Uni Frankfurt. Guten Morgen!
Micha Brumlik: Guten Morgen!
Brink: Sie sind ja eigentlich Erziehungswissenschaftler. Könnte man sagen, da fehlt es einfach mal an Kinderstube?
Brumlik: Das glaube ich nicht. Denn auch gut erzogene Kinder bekommen starke oder hasserfüllte Ausdrücke verboten, also, auch Personen mit guter Kinderstube wissen, wie man andere beleidigt und erniedrigt.
Brink: Was machen Sie sich denn für einen Reim darauf, auf diese Äußerungen? Sehen wir da was wie so ein Zurückpendeln von übertriebener politischer Korrektheit?
Die Zuspitzung der Debatte hat nichts mit übertriebener politischer Korrektheit zu tun
Brumlik: Also, ich kann das nicht finden. Ich kann auch nicht finden, dass die politische Korrektheit übertrieben gewesen ist. Es gibt einen Roman von Thomas Mann, "Der Zauberberg", und da gibt es ein Kapitel, das ist überschrieben mit "Die große Gereiztheit". Und das ist genau die gegenwärtige Stimmung.
Und diese Stimmung wird natürlich verstärkt durch die sozialen Medien, wo man im Schutze der Anonymität nun wirklich das herauslassen kann, was sonst allenfalls nach dem Genuss von einigem Alkohol am Stammtisch möglich gewesen wäre.
In der Tat besorgniserregend ist es, dass nun nicht mehr nur in den sozialen Medien entsprechend gegeifert wird, sondern auch in anspruchsvolleren Feuilletons, dass also auch Intellektuelle und Publizisten sich derlei zu eigen machen.
Brink: Aber ist das nicht fatal? Macht sich jetzt der Stammtisch dann salonfähig?
Brumlik: In gewisser Weise ja. Sie haben ... Es wurde ja vorher schon Rüdiger Safranski genannt, man könnte auch an Peter Sloterdijk denken, der im "Cicero" ganz ungeniert absurde Verschwörungstheorien beschwört, wie dass die USA, Obama, die Flüchtlinge nach Europa lenken, um die EU zu schwächen. Doch, doch, also, das setzt sich mit einer etwas gehoberen Wortwahl nun auch im Feuilleton und in der Arena des Politischen fort.
Brink: Ich frage mich dann natürlich weiterführend, was bedeutet das? Denn Sprache prägt ja das Bewusstsein. Wir haben in diesem Land ja lange über diese These diskutiert. Ist diese Begrifflichkeit, diese ja nicht gerade Finesse im Ausdruck auch ein Ausdruck von, ja, Verrohrung von Politik?
In den USA stehen sich die politischen Lager wie "feindliche Stämme" gegenüber
Brumlik: Na ja, vor allem von Spaltung von Politik, würde ich sagen. Wir erleben ja in den USA, wo wir mittlerweile wissen, dass es zwischen diesen beiden politischen Lagern – Republikanern und Demokraten – kaum noch Brücken gibt, sondern es sind wie zwei feindliche Stämme im gleichen Land. Und es steht zu befürchten, dass sich Ähnliches auch in Deutschland wiederholen könnte. Und das polarisiert sich nun an der Flüchtlingsfrage. Menschen glauben, zu solchen harten Ausdrücken greifen zu müssen, weil die Medien differenzierter argumentieren. Aber die Antwort darauf kann ja nicht sein, dass die Medien plötzlich genauso undifferenziert draufschlagen, das ist genau das Problem.
Brink: Das ist ganz interessant, dass Sie das erwähnen, weil Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der "Zeit", der hat genau das heute auf der Titelseite der "Zeit" zum Thema gemacht, nämlich die sprachlose Mitte. Er argumentiert, rechts und links, franst das aus, das weiß man ja, und die Mitte ist sprachlos, nicht mehr moderat. Ist das unser Problem?
Brumlik: Das ist ein Teil des Problems. Denn es sieht so aus, als würde man sich gegenwärtig bei der Behandlung der Flüchtlingsfrage in einer Entscheidungssituation befinden, in der es nur die eine oder die andere Antwort gibt. Kluge Vermittlungen hört man derzeit in der Tat selten.
Brink: Ist das auch ein Ausdruck dieser Großen Koalition? Das haben wir ja schon oft gesehen, große Koalitionen führen ja zu einer Realpolitik, da wird alles als alternativlos wahrgenommen, es gibt Verdruss bei den Wählern. Und die Antwort sind da nur extreme Positionen, rechts oder links?
Aus Ohnmacht wächst Wut, Wut äußert sich in Hass, aus Hass wird Gewalt
Brumlik: Da ist gewiss etwas dran. Andererseits, ja, was soll man sagen ... Eine große ... Die Rede von 'Es gibt keine Alternative!', die ist natürlich politikabtötend geradezu. Das produziert Ohnmacht und aus Ohnmacht erwächst Wut. Und Wut äußert sich dann in Hass und Gewalt.
Brink: Nun habe ich mir ein bisschen die Kommentare auch aus anderen Jahrzehnten angeguckt. Und Sie sind da ja erfahrener im Zweifelsfalle, also, wenn man sich so die politischen Auseinandersetzungen der 60er-, auch 70er-Jahre, auch sozusagen in der Studentenbewegung anguckt, da war von 'Scheißliberalen' die Rede bis zum 'kapitalistischen Schweinesystem'. Sind wir vielleicht ein bisschen überempfindlich jetzt?
Brumlik: Na ja, das war damals eine Studenten- und Jugendrevolte. Das hat zwar die Gesellschaft insgesamt sehr erschüttert, aber die Gesellschaft als Ganzes doch nicht so gespalten, scheint mir, wie sich das derzeit anzudeuten scheint.
Brink: Was ist Ihr Wunsch oder was würden Sie sich wünschen oder geben Sie mit den Publizisten oder überhaupt der Diskussion in diesem Lande?
Brumlik: Ich würde mir zunächst wünschen, dass man in der Tat in den sozialen Medien auch besser aufpasst, was dort alles an Hass verbreitet wird. Und ich würde mir wünschen, dass sogar Politiker, die extreme, sagen wir jetzt mal, Lösungen anstreben wie die Politiker der AfD, nicht mit gezielten Reden wie denen davon, dass man auf Flüchtlinge schießen kann, sie diese Stimmung noch anheizen und sie damit letzten Endes möglicherweise zu Schreibtischtätern werden, weil es dann den einen oder anderen geben kann, der sich von so etwas wirklich ermutigt fühlt, Gewalt anzuwenden.
Brink: Micha Brumlik, emeritierter Professor von der Uni Frankfurt. Vielen Dank, Herr Brumlik, für das Gespräch hier in "Studio 9"!
Brumlik: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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