Flüchtlinge vor dem Nichts

Von Vanja Budde · 21.03.2011
Solidarität Fehlanzeige: Die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten wurden von ihren Landsleuten im Westen nur zähneknirschend aufgenommen. Die Vertriebenen-Doku "Fremde Heimat" zeigt dies in ungewohnter Deutlichkeit.
Sie stammen aus dem Baltikum, aus dem Memel-Gebiet, aus Ostpreußen, Danzig und Westpreußen, aus Pommern, Posen, Schlesien. Es sind Sudetendeutsche und Donauschwaben. Sie alle müssen in dem Land, das nach dem Krieg von Deutschland übrig ist, unterkommen.

Zwölf Millionen Menschen sind es insgesamt, die nach Westen fliehen, vor der Roten Armee und vor den Racheakten der nichtdeutschen Bevölkerung. Täglich kommen Tausende Flüchtlinge in Viehwaggons an, in Städten, die in Schutt und Asche liegen. Sie werden in Lagern untergebracht, viele in ehemaligen Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern. Oder sie hausen in primitiven Wellblechunterkünften, so genannten Nissenhütten.

Eine Zeitzeugin erinnert sich, wie der Besuch einer Schulkameradin zu ihrem sozialen Absturz führte:

"Und meine war ganz am Ende, die E-Baracke, wo das dann in die Kack-Büsche ging. Es war dreckig, es stank und am nächsten Tag sagt sie zu mir, 'weißt du was, also zu dir kommen wir nicht zum Geburtstag, du brauchst zu uns auch nicht kommen.' Schluss, aus: Vom dem Tag war ich isoliert in der Klasse."

Vertrieben aus bürgerlichem Wohlstand oder vom eigenen Hof, stehen die Flüchtlinge im Nachkriegsdeutschland vor dem Nichts. Hilfe von ihren Landsleuten kommt selten, erinnern sich die Zeitzeugen, nur zähneknirschend werden sie aufgenommen. Solidarität der doch so lange beschworenen "Volksgemeinschaft"? Fehlanzeige.

"Fremde Heimat" setzt fast ausschließlich auf Zeitzeugen – und die Vertriebenen erinnern sich auch Jahrzehnte später im Detail an den großen Bruch in ihrem Leben. Es ist rührend zu sehen, wie die alten Männer und Frauen fein gemacht vor der Kamera sitzen und diese einschneidenden Erlebnisse, den Verlust ihrer Identität, Revue passieren lassen. Die politische Einordnung findet nur am Rande statt. Warum zum Beispiel Bundeskanzler Adenauer Mitten im Kalten Krieg die Vertriebenen fahrlässig im Irr-Glauben an eine angeblich mögliche Rückkehr lässt.

Adenauer: "Hegt und pflegt die Liebe zur schlesischen Heimat in euren Herzen, damit, wenn der Tag der Rückkehr gekommen ist, es wirklich wieder ein wahres, ein deutsches, ein schönes Schlesien werden möge!"

"Fremde Heimat" erzählt in der Zeitenabfolge chronologisch übers Wirtschaftswunder, die für die Vertriebenen schmerzliche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1990. Der Zweiteiler setzt dabei auf Emotionen, nicht auf Analyse.

"Als ich das erste Mal nach Memel fahren konnte, als wir wieder durften, da hab ich geheult. Das war: Ahhhh! Das erste Mal auf die Hohe Düne: da war mir also recht feucht im die Augen."

Nach dem schweren Start sind die Vertriebenen irgendwann auch innerlich angekommen. Aber der Osten, der bleibt ein Sehnsuchtsort für immer:

"Zu Hause bin ich hier. Heimat war und bleibt Schlesien - durch die Generationen."


Ein Interview mit der WDR-Redakteurin Gudrun Wolter über den Film "Fremde Heimat" können Sie noch bis zum 21. August 2011 als mp3-Audio nachhören.