Flüchtlinge und Cricket

Die Heimat ist weg, der Sport bleibt

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Ganz in Weiß: Tradition spielt bei Rugby Cricket Dresden eine große Rolle © Foto: Severin Weiß
Von Thomas Jaedicke · 19.03.2017
Flüchtlinge sorgen in einigen Randsportarten für einen Boom: Neben Schach, das viel von Syrern gespielt wird, ist zurzeit Cricket der am schnellsten wachsende Sport. Er hilft jungen Afghanen und Pakistanis auch, dem öden Flüchtlingsalltag zu entfliehen.
Die "Energie Verbund Arena", gelegen an der Bundesstraße 6 in Dresden-Friedrichstadt, ist kein Prachtbau. Es ist eine riesige Sporthalle, die von außen nicht viel hermacht. Aber im Innern des grauen Beton-Zweckbaus geht es an diesem Samstagvormittag lustig, lebendig und bunt zu.
Der würzige Duft von indischem Essen liegt in der Luft. Gesprochen werden viele Sprachen: Urdu ist zu hören, Paschtu, ein bisschen Dari, manchmal auch Farsi, viel Englisch und Deutsch. 16 Mannschaften, die meisten aus Deutschland, aber auch Teams aus Tschechien und den Niederlanden, haben sich hier verabredet, um Cricket zu spielen. Es ist das größte Turnier in Deutschland. Gespielt wird gleichzeitig auf drei Spielfeldern. Nur wenige deutsche Spieler sind dabei. Zwar boomt Cricket durch die Flüchtlingswelle, aber im Vergleich zu den traditionellen Hochburgen ist Deutschland immer noch Entwicklungsland.
"We like it. It is in our blood. And if we can have cricket - it is a life for us, you can say.”
Über Ahmad Irshads ernstes Gesicht huscht ein seliges Lächeln, als er das Wort Cricket in den Mund nimmt. Der 30-jährige Pakistaner hat eine lange Odyssee hinter sich. Und sie ist noch nicht vorbei, denn über seinen Antrag auf Asyl haben die Behörden auch nach vielen Monaten Wartezeit noch nicht entschieden. Doch wenn Ahmad Irshad Cricket spielen kann, vergisst er alle Sorgen. Das Spiel erinnert ihn an zuhause, und schon fühlt er sich ein bisschen wie im Paradies.
"When I am playing this game cricket, I feel just the same like in my home country, without problems. And this is just like a paradise.”

Aufreibendes Psychoduell zwischen Werfer und Schlagmann

Cricket, das aufreibende Psychoduell zwischen Werfer und Schlagmann, ist ein urbritischer Sport. Die meisten Spieler in der Dresdner Halle kommen aus Pakistan, Indien, Afghanistan oder Sri Lanka. Viele der jungen Männer aus dem Commonwealth oder den ehemaligen britischen Kolonien haben ihren Heimatländern wegen der aktuellen Zustände dort den Rücken gekehrt. Krieg, Hunger, Unterdrückung und Perspektivlosigkeit waren für sie unerträglich geworden. Jetzt suchen sie in Deutschland eine Zukunft, ein besseres Leben.
"From Iran was Turkey. From Turkey to Greece. From Macedonia to Serbia. Serbia to Hungary. Hungary to Germany…..”
Im pakistanischen Gujrat gehört Ahmad Irshad einer muslimischen Minderheit an, die dort verfolgt wird. Im Herbst 2014 entschließt er sich schweren Herzens zur Flucht. Er lässt seine Familie zurück. Auf Lkw-Ladeflächen, in Taxis, aber hauptsächlich zu Fuß führt ihn sein Weg über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Deutschland. Über ein Jahr war Ahmad Irshad unterwegs. 5000 Euro kostete die Flucht. Das Geld verdiente sich der studierte Informatiker unterwegs durch Gelegenheitsjobs. In Deutschland wurde er nach Sachsen geschickt. Nach seiner Ankunft im Erstaufnahmelager in Bischofswerda lebt Ahmad Irshad inzwischen seit Oktober 2015 in Bautzen.
"Sehr sicher fühle ich mich nicht, aber auch nicht besonders gefährdet. Wenn wir zusammen sind und Cricket spielen, fühlen wir uns wohl."

Cricket als Therapie und Beschäftigung

Ein paar Monate nach seiner Ankunft in Bautzen ging der Husarenhof, ein ehemaliges Hotel, in dem 300 Flüchtlinge untergebracht werden sollten, in Flammen auf. Nirgendwo auf der Welt scheint Ahmad Irshad willkommen zu sein. Das ist für ihn ein großer, sehr belastender psychischer Stress. Weil er und viele andere Asylbewerber wegen des ungeklärten Aufenthaltsstatus in Sachsen nicht richtig arbeiten oder lernen können, suchten sie nach einer sinnvollen Beschäftigung: Nichts lag näher als Cricket!
"Und von da aus haben wir geschaut und haben dann in Dresden 'Rugby Cricket Dresden', die Mannschaft, gefunden. Und sind da zum Training gefahren, um es uns erstmal anzuschauen."
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Wenn Ahmad Irshad Cricket spielen kann, fühlt er sich wie im Paradies.© Foto: Anke Rölke
René Mütze war noch Schüler des Goethe-Gymnasiums in Bischofswerda, als er anfing, sich für das Schicksal der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zu interessieren. Daraus entwickelte sich ein Projekt, Menschen, die in Sachsen per se gegen Flüchtlinge waren, über die Tatsachen aufzuklären. Zusammen mit seinem Team und anderen Freiwilligen versucht René Mütze, der inzwischen 24 Jahre alt ist, den hilfsbedürftigen Migranten das zu geben, was sie brauchen.
"Freundlicherweise durften die Jungs sofort mitspielen. Und da haben sie einfach Feuer gefangen und gesagt: Ja, wir würden gerne eine eigene Mannschaft gründen. Und irgendwann ist man dann auf den MSV Bautzen 04 gekommen. Und nach einigen Gesprächen hat sich dann die Möglichkeit ergeben, Abteilung des MSV Bautzen zu werden und dort unser Training abzuhalten."
Vom ersten Training im Februar 2016 dauerte es drei Monate, bis die Cricket-Mannschaft aufgebaut war. Bisher gibt es allerdings nur wenige Einheimische, die sich für das Team interessieren. Lediglich ab und zu hat René Mütze bisher ein paar Kiebitze entdeckt, die am Spielfeldrand des ehemaligen Hockeyplatzes stehen und sich das Training aus Neugier für diesen hierzulande noch ziemlich unbekannten Sport anschauen. Zwar hat Cricket in den Augen von René Mütze ein sehr großes, beidseitiges Integrationspotenzial. Aber die Berührungsängste seien in Bautzen bei vielen Menschen leider noch sehr groß.
"Das, was wir erleben, dass man in Bautzen – zumindest im Vergleich zu anderen Städten – schon, wenn man mit offensichtlich ausländischen Leuten unterwegs ist, doch anders angeschaut wird. Dass einem da schon mal hinterhergeschaut wird. Und auch sicherlich nicht immer freundlich gesinnt und interessenhalber. Sondern doch eher: 'Was machen die jetzt hier?'"

Integration durch Sport kostet auch Geld

"Wir wollen gerne Vereine nachhaltig öffnen für das Thema, weil wir fest der Meinung sind, dass der Ausländeranteil gerade auch in Sachsen in der nächsten Zeit halt doch ansteigen wird."
Steffen Richter kümmert sich beim Landessportbund Sachsen in Leipzig unter anderem um das Projekt "Förderung der Integration von Flüchtlingen im Sport". Wegen des großen Bedarfs hat die Landesregierung die Finanzierung vor kurzem von 200.000 auf 500.000 Euro pro Jahr aufgestockt. Für die nächsten zwei Jahre ist das Geld fest im Etat des sächsischen Landeshaushalts eingeplant.
"Und da müssen wir auch halt gewappnet sein, weil die Sportvereine sind nicht besser und auch nicht schlechter als die Grundgesamtheit der Bevölkerung. Das muss man eindeutig so feststellen."
Die Cricketabteilung des MSV Bautzen 04 wurde im vergangenen Jahr mit 1500 Euro aus dem Integrations-Topf gefördert. Viel ist das nicht. Aber der sächsische Landessportbund legt auch Wert darauf, dass die Unterstützung lediglich als Anschub- und nicht als Vollfinanzierung gedacht sei. Das Geld, das hauptsächlich in Spielkleidung investiert wurde, war jedenfalls in Bautzen schnell ausgegeben. Eine komplette Ausrüstung - inklusive Schläger, Beinschoner und Helm - ist unter 500 Euro kaum zu haben.
"Man kann sicherlich über Förderhöhen nochmal nachdenken und nochmal kalkulieren."
Steffen Richter sagt, dass der sächsische LSB seiner Linie treu bleiben wird und auf der Suche nach engagierten Vereinen das Geld sicher nicht aus dem Fenster werfen werde.
"Egal wie die Flüchtlingszahlen halt werden. Wichtig für uns ist, dass man in den nächsten zwei Jahren, wo die Förderung im Prinzip gesichert ist, es hinkriegt, dass vor Ort Vernetzungen entstehen. Ich glaube, unser größtes Problem ist, dass viele, viele Organisationen, sei es Wohltätigkeits- oder Wohlfahrtsorganisationen, Sportvereine, andere Bildungsträger, die sich in dem Thema tummeln, dass man die zusammenbringt. Und dass da ein System entsteht, wo dann Hilfe geleistet wird."

Die Banlieues als Beispiel einer misslungen Einwanderungspolitik

In Sachsen leben rund vier Millionen Menschen. Das sind etwa fünf Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung. Nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, der die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer regelt, ist Sachsen verpflichtet, fünf Prozent der nach Deutschland geflüchteten Menschen aufzunehmen. Zur Zeit sind deswegen knapp 30.000 Asylbewerber im Freistaat untergebracht. Diese Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, wird Sachsen nach Ansicht des Politikers Christian Piwarz auch in Zukunft vor große Herausforderungen stellen.
"Ich sage Ihnen ganz offen, die große Zahl an Menschen, die insbesondere im Jahr 2015 zu uns gekommen sind, haben damals zu einer Überforderung geführt. Und ich glaube, dass das auch heute noch ist."
Der Jurist Christian Piwarz ist Geschäftsführer der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag. Seiner Meinung nach ist Deutschland – auch wenn die Flüchtlingszahlen mittlerweile deutlich zurückgegangen sind - nicht hinreichend darauf vorbereitet, eine so große Zahl von Menschen vollständig in das Gesellschaftssystem zu integrieren.
"Wir schieben nach wie vor diesen Berg aus 2015 noch vor uns her. Da geht's einerseits um die Bearbeitung der Asylanträge. Aber dann eben auch die Folgeerscheinungen. Die Registrierung. Dann die Frage, mit welchem Bildungsgrad haben wir's zu tun bei dem Flüchtling oder dem Anderen? Und welche Maßnahmen sind nötig, um ihm eine Grundintegration zu ermöglichen? Stichwort: deutsche Sprache. Und dann eben weiter zu schauen, was haben wir für Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt?"
Was für schlimme Folgen eine misslungene Einwanderungspolitik haben kann, zeigt ein Blick in die heruntergewirtschafteten Banlieues bei unseren französischen Nachbarn. Christian Piwarz sagt, um solche Parallelstrukturen in Deutschland zu vermeiden, müssten schleunigst Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden.

Ein Herz für Randsportarten

Der Landtagsabgeordnete Piwarz, der auch Präsident des sächsischen American-Football-Verbands ist, hat ein großes Herz für Randsportarten.
Und an diesem Vormittag genießt er die harmonische Atmosphäre beim großen Dresdner Cricketturnier sehr, deshalb findet er es auch extrem schade, dass nur so wenig Deutsche den Weg in Halle gefunden haben. Der Sport werde eben überwiegend noch von Spielern aus traditionellen Cricketländern dominiert.
"Aber was ich mitbekomme, dass immer mehr auch Deutsche, junge Leute vor allen Dingen, ihren Spaß an diesem Sport finden. Und damit schafft man genau das, dass man miteinander ins Gespräch kommt, miteinander Freizeitaktivitäten begeht. Und das ist das Beste, wie man Integration eigentlich schaffen kann. Und dadurch wird natürlich auch die Vielfalt, die wir zu bieten haben, größer. Aber eben auf einer freiwilligen, auf einer selbstbestimmten Basis und das ist ein guter Weg."
"That's why we should go downstairs. Ah….That's Mr. Jaedicke. And that's Francis Stewart, our Spiritus Rector for the whole modern Cricket here.”
Beim Turnier in Dresden ist inzwischen die Mittagspause vorbei. Nachdem sich die Spieler am Büffet mit Chicken Biryani, Tee und anderen Köstlichkeiten gestärkt und hier und da mit den Jungs der anderen Teams einen lockeren Plausch gehalten haben, stehen jetzt die entscheidenden Partien auf dem Programm. Die Atmosphäre ist trotzdem relaxed. Zwar wird der Wettkampf von den meisten Teilnehmern nicht auf die leichte Schulter genommen, aber man hat doch den starken Eindruck, dass es hier in erster Linie darum geht, alte Bekanntschaften aufzufrischen oder neue Kontakte zu knüpfen. Das Ganze hat den sympathischen Charme eines beschwingten Wochenendausflugs, denn noch ist die Cricketfamilie in Deutschland überschaubar.
"In Europe obviously England is the top. And then would come Ireland, the Netherlands and Scotland, they are about the same."

In manchen Herkunfstländern ist Cricket Sport Nummer eins

Zwischen den fast ausnahmslos aus Indern, Pakistanern, Afghanen und Sri Lankern bestehenden Teams bewegt sich ein schlanker Gentleman. Um mindestens eine Kopflänge überragt Francis Stewart die meisten Spieler. Mit flinken Schritten springt er zwischen den einzelnen Matches hin und her. Als Umpire - so heißt der Schiedsrichter beim Cricket - ist es sein Job, über die Einhaltung der Regeln zu wachen.
Die graue Kurzhaarfrisur etwas zerzaust, das helle Sakko über dem weißen Hemd und der dunkelblauen Krawatte ein bisschen zu klein: Mühelos ließe sich der großgewachsene Australier in die Klischee-Schublade für exzentrische, zerstreute englische Professoren einsortieren. Aber Francis Stewart, ständig von fragenden Spielern umringt, ist hellwach. Sir Francis ist der Dreh- und Angelpunkt des Turniers:
"So, migration was a big boost to Cricket. Because from countries, where Cricket is number one, people came over and this will definitely help to support the sport here in Germany?”
Haben die Flüchtlinge in Deutschland einen Cricketboom ausgelöst? Francis Stewart hat auf jede Frage zum Cricket sofort eine Antwort parat:
"Absolutely, yes. I mean the enlighten policy in Germany to asylum seekers has been…You know, many Pakistanis and Afghanis and so forth have come to Germany even before 2015. And they are embedded in German cricket. So I mean German cricket is essentially expatriates like me. Australians and English, but particularly Pakistanis and Indians and Sri Lankans.”
("Unbedingt. Pakistaner und Afghanen sind ja schon vor 2015 nach Deutschland gekommen. Das deutsche Cricket ist geprägt von Auswanderern wie mir.")

Von Sydney nach Heidelberg nach Dresden

Francis Stewart kam 1985 aus Sydney nach Deutschland, um als Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu arbeiten. Für australische Jungs ist Cricket so wichtig wie Fußball für deutsche Kinder. Sobald er in der Lage war, einen Cricketschläger zu halten, ging's los. Da war er ungefähr drei. In Deutschland fand Francis Stewart vor 30 Jahren ziemlich schnell Anschluss an ein Team von der Uni Heidelberg.
"It's definitely improving. So in 1988 I think, there was six clubs in Frankfurt, about eight in Munich and there were six in Berlin and then there were a few in North Germany. So, you know, there was maybe 25 clubs in Deutschland. And now, I think, it's over a hundred.”
Es gab damals nur zwei Ligen, eine in München, die andere in Frankfurt. Als der "Deutsche Cricket Bund" 1988 gegründet wurde, spielte der Australier Francis Stewart in der ersten deutschen Nationalmannschaft. Damals gab es ungefähr 25 Clubs in Deutschland. Heute sind es über 100. Von der Weltspitze, um die sich gerade Indien und Australien streiten, ist Deutschland, das in den 40er Plätzen der Weltrangliste liegt, immer noch weit entfernt. Aber Deutschland holt auf!
"So all of those boys there, they all came in 2015. And really a lot of particularly Afghans and Pakistanis came in that big search in 2015. And I think, that's a real bonus for cricket development in Germany.
This is the future.”
Viele der jungen Afghanen und Pakistanis, die 2015 während der großen Flüchtlingswelle nach Deutschland kamen, sind zwischen 19 und 20 Jahre alt. Davon profitiert Cricket in Deutschland enorm.
"Yeah. And they are all – I don't know – 19 or 20 years old.”

Erst ab 10.000 Aktiven wird eine Sportart vom DOSB gefördert

Nach Angaben des Deutschen Olympischen Sportbunds ist zurzeit Cricket – neben Schach, das vor allem von Syrern gespielt wird -, die am stärksten wachsende Sportart in Deutschland. Die Zuwachsraten lagen zuletzt pro Jahr bei etwa 30 Prozent. Ungefähr 6.000 Spieler sind offiziell in Vereinen registriert. Um vom DOSB finanziell gefördert zu werden, braucht eine Sportart aber mindestens 10.000 Aktive.
Brian Mantle, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Cricket Bunds, ist Vereinen wie Rugby Cricket Dresden, dem Veranstalter des großen Turniers in Dresden, sehr dankbar für die Pionierarbeit, die dort geleistet wird, um den Sport in Deutschland immer bekannter zu machen.
"Und die Afghanen und die Pakistaner – und es gibt sehr viele davon, über eine Viertelmillion habe ich gehört - spielen nur Cricket."
Und das heißt, das ist ja für den deutschen Cricketsport ja eine eine Riesenchance auch, dieses Knowhow reinzuholen und die Nationalmannschaft insgesamt zu stärken?
"Vor fünf Jahren waren wir nur in den Großstädten. Jetzt sind wir überall in ganz Deutschland vertreten. Und das gibt uns auch eine Chance zu wachsen. Und über die nächsten zehn Jahre hoffen wir, dass die besten Spieler durchkommen werden, sich für Deutschland qualifizieren und dass unsere Nationalmannschaft besser wird."

Ungewisse Bleibeperspektive belastet die jungen Afghanen

Damit sich Brian Mantles Vision erfüllt, müssten die jungen afghanischen Cricketcracks in Deutschland bleiben dürfen. Die Chancen dafür stehen allerdings momentan nicht besonders gut. Gerade erst wurden wieder Afghanen von München aus zurück in ihre Heimat geflogen, weil die Bundesregierung der Meinung ist, dass das vom Bürgerkrieg zerrüttete Afghanistan ein weitgehend sicheres Herkunftsland wäre.
Ob Alikhel Granaha, der seit 18 Monaten in Deutschland ist und für die U-19-Mannschaft von Rugby Cricket Dresden spielt, in Zukunft für die Cricketnationalmannschaft aufgeboten werden könnte, ist zum Beispiel sehr ungewiss.
"Was hast du hier für eine Perspektive? Gehst du zur Schule?"
"Ja, ich gehe hier in die Schule. Deutschkurs. Ich möchte in Zukunft werden hier in Deutschland Automechaniker oder Automechatroniker und Sport machen."
Der 19-Jährige sagt, er sei aus Afghanistan geflohen, weil er und seine Familie von den Taliban und den Extremisten des Islamischen Staats bedroht worden seien. Jetzt wartet er schon monatelang auf eine Antwort der deutschen Behörden, die über seinen Asylantrag entscheiden.
"Ich habe ein Interview gegeben und warte jetzt auf meine Antwort….Und ich weiß nicht, wann die kommt."

Etwa 30 Prozent der Dresdener Cricketspieler sind Flüchtlinge

Vorsitzender von Rugby Cricket Dresden, dem Club, der im Jahr 2000 als reiner Rugbyverein gegründet wurde und vor knapp zehn Jahren begann, Cricket in Sachsen zu entwickeln, ist ein Finne. Jaakko Harjulehto arbeitet seit über 20 Jahren für den Schienenfahrzeughersteller Bombardier in Deutschland. Er sagt, dass Francis Stewart, der inzwischen eine Professur für Genomforschung an der TU Dresden hat, maßgeblich am Aufbau der Cricketabteilung des Vereins beteiligt war.
"Also, ich würde es vielleicht so aufschlüsseln, dass so 60, 70 Prozent sind die, die schon länger hier in Dresden sind, die hier auch in Dresden jetzt schon mehrere Jahre arbeiten und vielleicht dann so 30 Prozent ist vielleicht so der Anteil, der in den letzten Jahren über die Flüchtlingswelle dann hier dazugekommen ist."
Eine weitere Quelle sind die Universitäten. Viele Spieler, vor allem indische Studenten, haben über die Verbindung zu Francis Stewarts Institut und das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik den Weg ins Dresdner Cricketteam gefunden.
"Viele Inder sind generell in Firmen, die halt sehr international nach capabilities suchen und wo wahrscheinlich die erste Arbeitssprache Englisch ist, was dann natürlich auch den Weg ebnet für Leute, hier nach Dresden zu kommen."
So eine Erfolgsgeschichte kann auch Deep Prakash erzählen:
"My name is Deep Prakash. I am 33 years old. And I came from India. It's a state called Bihar. And the place is Patna, near to Nepal border.”
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Der Inder Deep Prakash kam als Student nach Dresden und hat hier einen Cricket-Club und ein Unternehmen gegründet© Foto: Severin Weiss
Deep Prakash kam 2010 nach Deutschland, um an der Chemnitzer Uni Druck- und Medientechnologie zu studieren. Nach dem Studium, das er vor vier Jahren abschloss, gründete er in Chemnitz aus einem Hochschulprojekt eine Firma, die - vereinfacht gesagt - elektronische Tinte für die Verpackungsindustrie entwickelt. Inzwischen hat das hochinnovative Unternehmen acht Arbeitsplätze in der Stadt geschaffen. Nebenbei hatte Deep Prakash noch Zeit und Energie, den Chemnitzer Cricket-Club zu gründen.
"Local people are coming, but they come always to watch, because it's interesting for them. It's new. And specially, you know, like this is eastern part of Germany, where the new sport is there, and when they see, they come to watch always.”

Studentensport Cricket

Inzwischen sind dort fast 40 Spieler aktiv, fast alle sind Inder, Pakistaner oder Bangladeschi, die an der Chemnitzer Uni studieren. Einheimische, die den Sport noch nicht kennen, kommen bisher nur vorbei, um das Training zu beobachten, sagt Deep Prakash. Er glaubt, dass es noch zehn Jahre dauern könnte, bis sich Cricket auch in Deutschland richtig durchsetzen wird. In der Gegenwart ist sein Verein vor allem ein Treffpunkt für Leute vom Subkontinent, die Heimweh haben oder eine Anlaufstelle für Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, um ihre Alltagsprobleme bewältigen zu können.
"Especially in our club we feel glad, not only the Cricket we are teaching them. We also teach: what is the system? Sometimes they get upset too badly. Like they miss their home, they blame the system. And then we sit with them. We talk like: No system is perfect. And back home, your home, the system is not good, that's why you are here. There are some cases, where they have to leave. But don't get upset and spoil the time that you have right now.”
("Bei uns kann man nicht nur Cricket lernen. Vielen, die wütend sind, sagen wir: Kein System ist perfekt. Ihr seid hier, weil es zuhause nicht gut ist. Also, nutzt die Zeit hier, auch wenn ihr vielleicht nicht bleiben könnt.")
Beim großen Dresdner Turnier hat es für die Chemnitzer nicht zum Sieg gereicht. Aber das ist egal. Deep Prakash und die Jungs hatten jede Menge Spaß. Und das zählt viel mehr als irgendein Pokal.
"It has to be trained from the youth. Young guys, who are like five, six years. And if they are getting interest in the cricket, then it will….grow up.”
Man muss früh anfangen, mit fünf oder sechs, sagt Deep Prakash. Das ist das richtige Einstiegsalter. Dann ist alles möglich. Und er wäre sehr stolz, wenn jetzt auch ein paar einheimische Chemnitzer Kinder beim Training vorbeischauen würden, um einfach mal mitzumachen. Sie sind jederzeit willkommen.
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