Flüchtlinge in Sumte

Hauptsache, es ist kein Krieg

Ortsschild von Sumte: Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen in einer Unterkunft in dem 100-Einwohner-Ort in Niedersachsen untergebracht werden.
Ortsschild von Sumte: Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen in einer Unterkunft in dem 100-Einwohner-Ort in Niedersachsen untergebracht werden. © dpa / picture alliance / Philipp Schulze
Von Hartwig Tegeler · 12.01.2016
Anfang November kam der erste Bus mit 1000 Flüchtlingen in der 100-Einwohner-Ortschaft Sumte an. Im Dezember berichteten wir über die Ängste und Unsicherheiten aus Sicht der Sumter Bürger. Nun hat unser Reporter mit den Migranten über ihren Alltag gesprochen.
"Bitte benutzen Sie die nächste Kasse, danke!"
Arivan Kamel und ihre albanische Freundin Rigerta Musseka sind mit dem Bus nach Neuhaus gefahren. Vier Kilometer vom sumter Flüchtlingsheim entfernt. Vor ein paar Wochen fand hier die erste Begegnung mit einem Supermarkt-Einkaufswagen statt. Geldstück reinschieben, Kette los. Aber dann.
"Wir wussten nicht, warum die 50 Cent da nicht wieder rauskommen, wo wir sie reingesteckt haben. Und dann haben wir das bei einer deutschen Frau abgeguckt."
Arivan Kamel ist seit gut zwei Monaten in Deutschland. Sie staunt immer noch über die perfekte Organisation und die Sauberkeit. Sie findet das gut.
"It's amazing and beautiful. And everything is organized. Everything. The cleaning. Good."
Für die Kurdin, Anfang 30, die vor dem IS via Balkanroute nach Deutschland floh, ist das das drastische Gegenteil zu ihrer syrischen Heimat.
"Ja. I'm coming alone. Nobody with me."
Sie kam allein. Ihr Vater und ihre Mutter sagten, geh du. Über ihre Erlebnisse auf der Flucht redet sie nicht. Wir sind aus Neuhaus jetzt zurück nach Sumte ins Flüchtlingsheim gefahren. Arivan wartet jetzt seit Wochen. Wie lange sie noch hier bleibt?
"I don´t know."
Die Hauptsache: Es ist sicher.
"Als ich in Deutschland angekommen war, sagte ich mir, nun ist es in Ordnung. Keine Gefahr, nichts Schlimmes mehr. Jetzt ist es gut."
Eine Matratze, eine Tasche - mehr nicht
Die Kurdin zeigt ihren Schlafplatz in einem Frauensaal. Eine Matratze, daneben eine große Tasche. Dann führt sie zu einem der Familienhäuser, das von dem 250 Meter langen Flur abgeht. Hier haben Familien rund zehn Quadratmeter große, mit Stellwänden abgegrenzte Räume.
"Okay, ich habe uns angekündigt. Das ist die Tür."
Die aus einer Wolldecke besteht. Arivan, auch der Reporter werden von dem syrischen Ehepaar zurückhaltend, aber sehr freundlich in dem beengten Refugium begrüßt. Hinten sitzt die neun Monate alte Nurjan und schaut mit riesengroßen Augen in die Welt.
"Für die Familien, besonders für die Kinder, sind die Paravents gut; sie können jetzt mit Vater und Mutter zusammen leben."
Als wir wieder auf dem Flur stehen, redet eine Kurdin auf uns ein. Arivan ist das sichtlich peinlich:
"Sie ist wütend. Warum müssen wir hier leben, schimpft sie. Ich habe zu ihr gesagt, wieso, es ist doch gut. Aber sie will einen Raum für sich allein."
Arivan Kamel spricht Kurdisch, Arabisch, Farsi und Englisch und hat sich im Heim als Allround-Dolmetscherin profiliert. Jetzt kommt sie zu einer Besprechung mit Petra Ehlers, der stellvertretenden Leiterin vom Arbeiter-Samariter-Bund.
"Sie ist im Haus. Und Tag und Nacht für uns anzusprechen. Und das hilft uns hier oft weiter, Probleme zu lösen. Wir haben die großen Räume hier, in denen wir Frauen und Kinder in einigen Räumen haben. Und Männer in anderen Räumen haben. So dass das immer nicht ganz einfach ist. Da können eben nicht immer Männer in ein Frauen-Haus gehen. Das geht gar nicht. Und so wissen wir dann, wenn Frau Kamel hier im Haus ist, sie kann eben bei jeder Gelegenheit zu jedem Gespräch in ein Frauenhaus gehen und sich mit den Damen unterhalten und uns dann eine Rückmeldung geben."
Die Unsicherheit kann sie verstehen, sagt Kamel
Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Tätigkeit als Übersetzerin hat Arivan Kontakt zu sehr vielen Menschen im Heim. Die Unsicherheit mancher Sumter Bürger gegenüber all den Fremden kann sie aber gut verstehen, wie sie sagt. Als vor Jahren Iraker nach Syrien, in ihre Heimat, flüchteten, war das bei ihr nicht anders.
"Um manche Leute hier im Heim mache ich einen großen Bogen. Ich sehe etwas in ihren Augen, was mir nicht gefällt. Vielleicht sind sie auch nicht freundlich zu mir, weil ich Kurdin bin. Ich bin keine Araberin."
Eines Tages, hofft die Kurdin, wird sie als Dolmetscherin in Deutschland arbeiten zu können, fühlt sich nicht bedroht, aber sie bleibt vorsichtig.
"Sie machen keine Probleme. Wir haben den Sicherheitsdienst hier und die Polizei."
Arivan Kamel, die kurdische Flüchtlingsfrau, sie blickt nüchtern auf die Realität.
"Hier kommen gute und schlechte Leute zusammen. Ich sage das Petra immer wieder: Danke, dass ihr jeden willkommen heißt, aber ihr habt einen langen, eine mühseligen Weg vor euch. Weil Leute jeglicher Couleur kommen."
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