Flüchtlinge in Sumte

"Das Wichtigste ist der Deutschunterricht"

Ankommende Flüchtlinge in Sumte
Ankommende Flüchtlinge in Sumte © dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Von Hartwig Tegeler · 02.03.2016
Sumte ist ein kleines Dorf bei Lüneburg, das zehn Mal so viele Flüchtlinge aufnahm, wie es Einwohner hat. Zwei Wochen nach Ankunft der Flüchtlinge kam auch ein pensionierter Grundschullehrer und gibt seither Erwachsenen wie Kindern Deutschunterricht.
Heimleiter Jens Meier vom Arbeiter-Samariter-Bund antwortet auf die Frage, was ein Migrant braucht:
"Das Wichtigste ist aus meiner Sicht vom ersten Tag an Deutschunterricht. Deutschunterricht. Deutschunterricht."
9 Uhr in der Flüchtlingsnotunterkunft Sumte. Der Deutschunterricht beginnt. Nein, so geht es nicht, meint der pensionierte und hier wieder ziemlich aktive Grundschullehrer Dieter Schmidt, gestern hatte er Stifte verteilt.
Dieter Schmidt: "Aber, sey schäll täyk seir … seir … seir reiting-tuuhls. Sei ah wissaut reiting-tuuhls …"
Der Übersetzer muss ran: Kinder! Rausgehen! Stifte holen!
Dieter Schmidt: "Die haben jeden Morgen keinen Stift mehr. Sie sammeln. Sie sind Sammler und Jäger."
Gleich nach Ankunft der Migranten im November startete Dieter Schmidt mit seiner ehrenamtlichen pädagogischen Arbeit. Komm, mach! Meinte Heimleiter Meier. Schmidt kam.
Dieter Schmidt: "Guten Morgen."
Kinder: "Guten Morgen, Herr Schmidt."
Unterricht: "Komm her und zieh die Jacke und die Mütze aus. So, fünf Minuten nach. Gerade noch rechtzeitig."
Nachmittags findet jetzt regelmäßig Deutsch-Unterricht für Erwachsene, morgens für die Kinder statt.
Dieter Schmidt zu Kind: "Nein, fünf kommt jetzt erst. Das hier … - Eiiiiinnnns …"
Dieter Schmidt wirkt sehr autoritär in seinem Pochen auf die Regeln seines Unterrichts.
Dieter Schmidt: "Alle legen die Stifte hin. Die Kappen bitte drauf."
Sein Klientel …
"Stop, halt!"
… reicht vom Analphabeten …
"Okay!"
… bis zur studierten Ärztin wie Fidaa Abdul-Hamed, Palästinenserin, die jetzt mit ihren drei Kindern in Sumte gestrandet ist. Schule, Lernen, das ist sehr wichtig für uns, sagt sie.
Fidaa Abdul-Hamed: "Die Schule is of course very important in our life. We lost our land."

Lernen als Chance

"Wir haben alles verloren, unser Land. Lernen. Das ist jetzt unsere Chance", sagt die Flüchtlingsfrau.
Fidaa Abdul-Hamed: "Cause we don't have any thing, just learning."

Wir beschäftigen uns in einer mehrteiligen Serie über die Flüchtlinge in Sumte. Unsere bisherigen Beiträge lesen Sie hier.

Ihre Kinder würden ihr viele deutsche Worte beibringen, wenn sie vom Unterricht kommen, sagt Fidaa Abdul-Hamed, um sich dann schlapp zu lachen über das babylonische Wörtermischmasch in ihrem Kopf.
Fidaa Abdul-Hamed: "So really I have many times mistaken in my … [Lacht.] … in my … Kopf. So, I´m talking one Wort, ein Wort deutsch, ein Wort englisch, ein Wort arab … arabisch, no. Ein Wort. Russian."
Deutsch-Unterricht ist freiwillig im Notaufnahmelager Sumte; manche Schüler kommen regelmäßig, manche mal den einen, mal den anderen Tag. Für Lehrer Dieter Schmidt ist für die Integration mitentscheidend, dass Kinder wie Erwachsene pünktlich sind.
Dieter Schmidt: "Das ist die wichtigste Aufgabe der Schule hier. Des Unterrichts hier. Wir nennen es Schule, aber es ist nur Vorbereitung auf die normale Schule. Dann müssen sie eben morgens um acht unterrichts-bereit in den Klassen sitzen."
Die Migranten dürfen nicht arbeiten, nur ab und an haben sie Termine bei Behörden oder beim Arzt. Sie warten auf den Beginn ihres Asylverfahrens. Das ist die bürokratische wie psychologische Grundsituation.

Alexander Laveaux: "Die hängen in der Luft. Das ist wie Arbeitsstress. Das ist, als würdest du 14 Stunden am Tag arbeiten."

Locken und belohnen

Sagt ASB-Mann Alexander Laveaux, der den Deutsch-Unterricht in Sumte koordiniert:
"Warten ist energieraubend. Sehr energieraubend. Ja, Warten ist erschöpfend, ermüdend."
Dieter Schmidts Konzept bei diesen Voraussetzungen: Locken und belohnen im Rahmen strenger Regeln. Die 30 Kinder sind für heute mit dem Unterricht fast fertig.
Dieter Schmidt: "Okay … Gehen wir jetzt zum Inline-Skaten."
Bewegung als Labsal für die Seelen dieser Kinder, die Flucht und Vertreibung erlebt haben, sagt Dieter Schmidt.
Dieter Schmidt: "Ich kann hier keinerlei Einzelschicksal angehen. Ich muss die ganzen Traumatisierungen der Kinder ausblenden. Ich kann nur versuchen, möglichst vielen möglichst viel mitzugeben."
30 Kinder sind in die Inlineskates geschlüpft und schießen durch den Flur.
Dieter Schmidt: "Wenn ich das konsequent praktiziere und wirklich eine Möglichkeit habe, das 'Zuckerbrot' den Schülern präsentieren zu können, Zuckerbrot in Form des Inlineskatens, Zuckerbrot für die Erwachsenen in Form, dass sie dann die PC auch außerhalb der Schulzeit nutzen können, natürlich nur für das entsprechende Programm - die PC´s sind nicht internetfähig -, dann habe ich die Möglichkeit, diese, ja, Peitsche zu zücken."
Dieter Schmidt schaut auf die Inlineskater. Sehen Sie das Lächeln des Jungen? fragt er den Reporter. Und lächelt seinerseits. Heute fährt er mit seinen Schülern noch auf eine nahe Schlittschuhbahn. Heute gibt's also die doppelte Portion Zucker.
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