Flüchtlinge in Mönchengladbach

"Unbefriedigende Situation der Ungewissheit"

In diesem Gebäude eines ehemaligen Discounters in Mönchengladbach sind nun Asylbewerber untergebracht.
In diesem Gebäude eines ehemaligen Discounters in Mönchengladbach sind nun Asylbewerber untergebracht. © dpa / picture alliance / Ralf Roeger
Hans Wilhelm Reiners im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 22.07.2015
Der Oberbürgermeister von Mönchengladbach, Hans Wilhelm Reiners, hat beklagt, dass seine Kommune nach der Zuweisung von rund 150 Flüchtlingen an ihre Grenzen stößt. Er lobte aber das Engagement vieler freiwilliger Helfer in der Stadt.
Es gehe nicht nur darum, solche Herausforderungen kurzfristig zu meistern, sagte der CDU-Politiker Hans Wilhelm Reiners im Deutschlandradio Kultur. Die Stadt müsse auch dauerhaft mit dieser unbefriedigenden Situation umgehen. So habe die Kommune gerade erst 100 Flüchtlinge innerhalb weniger Stunden in einer alten Lagerhalle der Bundeswehr untergebracht, weitere 40 Personen in einem leerstehenden Lebensmittelmarkt. Man befinde sich in einem Spagat, Menschen einigermaßen vertretbar unterzubringen und einer völligen Ungewissheit darüber, wann neue Flüchtlinge hinzukommen, wann sie anerkannt würden oder die Stadt wieder verließen.
Asyl-Verfahren müssen beschleunigt werden
"Das ist eine unter dem Strich sehr unbefriedigende Situation der Ungewissheit", sagte Reiners. Dass das Bundesamt für Migration die Asylverfahren beschleunige, sei in Mönchengladbach nicht zu bemerken, sagte der Oberbürgermeister. "Ich bin überzeugt, dass der Schlüssel genau an dieser Stelle liegt, dass die Verfahren klar beschleunigt werden müssen." Dafür müssten auf allen Ebenen politische Gespräche geführt werden. Reiners kritisierte, dass erst bei einem Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung vor wenigen Wochen eine Vertreterin der Kommunen zum ersten Mal mit am Tisch gesessen habe. "Dann sieht man, dass es auch in diesen Gesprächen nach wie vor hakt."
Derzeit ist die Stimmung gut
Der CDU Politiker gab seiner Sorge Ausdruck, dass die Stimmung in der Bevölkerung von Mönchengladbach angesichts der Belastungen kippen könnte. "Derzeit ist die Stimmung gut", sagte Reiners. Es gebe eine große Zahl von engagierten Bürgern und Bürgerinnen, die sich in den Flüchtlingsunterkünften engagierten, teilweise ehrenamtlich rund um die Uhr. "Vor solchem Engagement, dass dann ja auch mit Urlaub nehmen und solchen Dingen verbunden ist, kann ich wirklich nur sprichwörtlich den Hut ziehen", sagte er.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es besteht immer die Gefahr zu vergessen, dass hinter jeder Zahl ein einzelner Mensch steckt mit einer ganz eigenen Geschichte, aber ich werde dennoch Zahlen nennen müssen, um deutlich zu machen, wie rasant die Zahl der Flüchtlinge gestiegen ist in den letzten Jahren. Dieses Jahr könnten bis zu 400.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragen, vor fünf Jahren waren es gerade mal 50.000, also ein Achtel. Insofern muss es nicht wundern, dass die bestehenden Unterkünfte für Flüchtlinge schon lange nicht mehr reichen.
Überall in Deutschland führt das zu ganz praktischen Problemen, und in Nordrhein-Westfalen wissen sich die Landesbehörden nicht anders zu helfen, als die Kommunen zusätzlich in die Pflicht zu nehmen – Turnhallen und Schulen sollen bereitgestellt werden, um Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Was das konkret bedeutet, das hören wir jetzt aus Mönchengladbach. Dort am Telefon ist der Oberbürgermeister und CDU-Politiker Hans Wilhelm Reiners. Guten Morgen!
Hans Wilhelm Reiners: Ja, schönen guten Morgen!
Frenzel: Sie haben Anfang der Woche kurzfristig 100 zusätzliche Flüchtlinge zugewiesen bekommen, haben Sie die alle schon unterbringen können?
Reiners: Wir haben sie unterbringen können, das ist seit gestern geregelt, aber wir hatten in der Tat nur wenige Stunden Vorlauf, um diese organisatorische Herausforderung dann auch zu meistern.
Frenzel: Wie sieht denn dann eine solche Unterbringung aus, wo haben Sie sie konkret hinbringen können?
Reiners: Wir haben eine alte Lagerhalle der Bundeswehr hier in Mönchengladbach, die wir vorübergehend einmal für eine temporäre Unterbringung unseres Theaters genutzt hatten, jetzt eigentlich verwerten, sprich verkaufen wollten. Wir haben aber jetzt schon vor geraumer Zeit begonnen, dort Flüchtlinge unterzubringen, wollten einen weiteren Raum dort in nächster Zeit ausbauen. Das mussten wir jetzt stoppen und haben einfach in einem leeren, großen Raum jetzt wieder 100 Flüchtlinge untergebracht, sprich Betten für diese Menschen aufgestellt, und weitere 40 sind in einem leerstehenden ehemaligen Lebensmittelmarkt untergebracht worden.
Schwieriger Spagat
Frenzel: Kann eine Kommune das, was da an Flüchtlingsfragen auf sie zukommt, leisten, noch leisten?
Reiners: Wir stoßen inzwischen ganz deutlich an unsere Grenzen, das muss man klar sagen. Es geht ja nicht nur darum, solche kurzfristigen Herausforderungen zu meistern, sondern eben auch dauerhaft mit dieser Situation umzugehen, und die ist in der Tat sehr unbefriedigend. Es ist immer der Spagat zwischen der Situation, dass wir hier mit Menschen zu tun haben, die man einigermaßen vertretbar eben unterbringen muss, und auf der anderen Seite die Situation dieser völligen Ungewissheit, wann kommen neue Flüchtlinge, wann werden sie anerkannt, wann verlassen sie uns wieder, bleiben sie? Das ist also eine unter dem Strich sehr unbefriedigende Situation der Ungewissheit.
Frenzel: Jetzt hat das Bundesamt für Migration, das ja zuständig ist für die Verfahren, die Asylverfahren, gesagt, man hat schon die Wartezeit deutlich verkürzen können – spüren Sie das in Ihrer Kommune, also haben Sie den Eindruck, dass da diese Verfahren wirklich schneller bearbeitet werden?
Reiners: Wir spüren das eindeutig nicht, denn das müsste sich ja darin zeigen, dass sozusagen ein schnellerer Umschlag stattfindet beziehungsweise die Menschen, die nicht anerkannt werden, uns auch schneller wieder verlassen. Das ist konkret noch nicht erkennbar, aber ich bin überzeugt, dass der Schlüssel genau an dieser Stelle liegt, dass die Verfahren klar beschleunigt werden müssen.
Bei den politischen Gesprächen hakt es
Frenzel: Der Schlüssel liegt an der Stelle, liegt er auch an anderen Stellen? Sie haben ja – deswegen sind wir auch heute verabredet – das Land Nordrhein-Westfalen kritisiert jetzt auch für diese schnelle Zuweisung von 100 weiteren Flüchtlingen. Hat denn das Land überhaupt irgendeine andere Wahl? Auch da steht man ja vor der Situation, dass man mit einer großen Zahl von Flüchtlingen einfach eine politische Lösung finden muss.
Reiners: Ich denke, jetzt sind alle Ebenen gefragt, miteinander ins Gespräch zu kommen, und ich beginne da auf der europäischen Ebene. Da ist die Bundesregierung, fragt alle Landesregierungen und am Ende natürlich auch die Kommunen. Aber wenn ich sehe, dass zum Beispiel bei einem Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung erst vor wenigen Wochen erstmals eine Vertreterin der Kommunen mit am Tisch gesessen hat, dann sieht man, dass es da auch in diesen Gesprächen nach wie vor hakt.
Frenzel: Wir haben ja jetzt die politische Debatte auch sehr stark angefeuert durch die CSU, durch – wenn ich das jetzt mal sagen darf – Ihre Schwesterpartei. Sie sollen das nicht politisch bewerten, aber der Generalsekretär Scheuer, der hat gesagt, viele Kommunen kommen angesichts der Flüchtlingssituation ihren eigentlichen Aufgaben gar nicht mehr nach. Ist das in Mönchengladbach der Fall?
Reiners: Ich glaube, man kann das nicht alleine an dieser Flüchtlingsproblematik festmachen, die uns natürlich sehr stark belastet. Wir sind als Stadt Mönchengladbach dem Stärkungspakt, dem sogenannten Stärkungspakt beigetreten und haben ganz klare Vorgaben von Seiten des Landes, was wir haushaltstechnisch tun dürfen und was wir nicht dürfen. Ein Beispiel: Wir sind gezwungen, in doch sehr, sehr starkem Maße auch Personal abzubauen in der Verwaltung, aber die Betreuung dieser Flüchtlinge erfordert natürlich auch wieder Personal, das aber dann nicht angerechnet wird auf diese Abbaunotwendigkeit.
Das ist ein kleines Beispiel dafür, wo man schon merkt, dass diese Situationen eine Kommune extrem stark belastet, und es gibt sozusagen keine Sonderregelung, dass Belastungen aufgrund der Flüchtlingssituation dann auch in besonderem Maße anerkannt werden. Wir als Kommune haben keine Möglichkeit mehr, da das, "Problem" weiterzureichen an eine andere Ebene, und deshalb muss man da in Gesprächen zu vernünftigen Lösungen kommen.
Solidarische Hilfe in Mönchengladbach
Frenzel: Wie reagieren denn eigentlich die Bürgerinnen und Bürger bei Ihnen in Mönchengladbach, ist da noch eine solidarische Stimmung oder fürchten Sie, dass es da auch kippen könnte?
Reiners: Ich habe diese Befürchtung. Derzeit ist die Stimmung gut, es gibt eine sehr, sehr große Zahl von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich in den Flüchtlingsunterkünften engagieren, um die Menschen kümmern, versuchen, sie auch aus den Unterkünften rauszuholen, wo sicherlich nicht an allen Stellen besonders tolle Umstände herrschen. Alleine das jüngste Beispiel dieser plötzlichen Zuweisung von 150 neuen Flüchtlingen zeigt, wie es geht. 34 Ehrenamtler haben uns geholfen, teilweise rund um die Uhr, mit dieser Situation fertig zu werden, und vor solchem Engagement, das ja dann auch mit Urlaub nehmen und solchen Dingen verbunden ist, kann ich wirklich nur sprichwörtlich den Hut dann ziehen.
Frenzel: Das sagt der Oberbürgermeister von Mönchengladbach, Hans Wilhelm Reiners. Ich danke Ihnen für das Interview!
/Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//
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