Flüchtlinge

Ärzte helfen ehrenamtlich

Ein Mediziner untersucht in der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen (Baden-Württemberg) zusammen mit einem Dolmetscher die Kinder einer Syrerin. Foto: Stefan Puchner/dpa
Gestik und Mimik sind bei der Untersuchung manchmal genauso wichtig wie die fachärztliche Diagnose. © picture alliance / dpa / Stefan Puchner
Von Susanne Arlt · 04.11.2015
Wer in der Berliner Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne unentgeltlich Schichten schiebt, der kommt selten pünktlich raus. Ohne die engagierten Ärzte und Pfleger wäre die Versorgung der 1000 Flüchtlinge vermutlich längst zusammengebrochen. Manchmal zählt dabei eine Geste mehr als ein Wort.
"Wie viele Patienten können wir noch annehmen, die sind teilweise relativ ungeduldig. Ja ..."
Thomas Cronen beugt sich über den kleinen Tresen, wirft einen Blick auf die Patientenakten, die Gabriele Hussainow in ihren Händen hält. Direkt vor der offenen Tür, im Flur, sitzen 16 Frauen, Männer und Kinder. Sie alle möchten noch an diesem Nachmittag den Arzt sehen.
"Wir haben jetzt noch einen jungen Mann, der eventuell eine Geschlechtskrankheit hat ... ein Jahr und zwei Monate altes Kind mit Durchfall, Erbrechen. ... Also die Kinder nehmen wir auf jeden Fall noch an, egal."
In einer Stunde endet eigentlich die Sprechstunde in der Notunterkunft auf dem Gelände der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau. Doch wer hier ehrenamtlich Schichten schiebt, der kommt selten pünktlich raus. Thomas Cronen ruft jetzt den Namen einer Mutter auf, läuft mit ihr und der Tochter ein halbes Stockwerk tiefer in den Behandlungsraum. Gabriele Hussainow seufzt. Ohne die engagierten Ärzte, Pfleger und Verwaltungsangestellten wäre die Versorgung der 1000 Flüchtlinge auf dem Gelände vermutlich längst zusammengebrochen. Seit Monaten läuft die medizinische Versorgung der Flüchtlinge in der Hauptstadt nicht wirklich optimal. Gabriele Hussainow:
"Das ist die Bürokratie und das sind unfähige Politiker. Die Ehrenamtlichen müssten hier endlich mal alle streiken, damit die Politiker mal zu Stuhle kommen."
Die 63-Jährige schiebt sich energisch den Atemschutz über die Nase, bittet höflich einen jungen Mann vor der Tür im Flur zu warten, wendet sich dann zwei Ärztinnen zu.
"Nehmt ihr die mit der Erkältung, die drei Kinder, die machen mir hier schon die Bude heiß."
Der Kinderarzt ist selber krank
Die blonden Frauen schauen sich fragend an. Eigentlich sind sie gekommen, um Patienten mit Karies zu versorgen. Aber der Kinderarzt ist heute selber krank. Zahnärztin:
"Wir sind eigentlich der Zahnarzt, jetzt sind wir abkommandiert als Allgemeinmediziner. Eben haben wir Blutdruck gemessen, vorher haben wir Krätze angeguckt und haben uns aber nicht verständigen können, weil wir nicht aus Eritrea kommen. (...) Wait for the doctor!"
Der sitzt unten im Behandlungszimmer, wo früher die Sanitätsstelle der Polizeikaserne untergerbacht war. Auf einer Bahre liegt ein kleines Mädchen, hält sich den Bauch. Mit ihrer Mutter ist sie aus dem Irak geflohen – aus Angst vor der Terrormiliz IS. Ein ehrenamtlicher Dolmetscher übersetzt. Thomas Cronen tastet vorsichtig den Bauch des Kindes ab. Die Dreijährige verzieht schmerzerfüllt das Gesicht.
Patienten ohne Krankenakte
Thomas Cronen stellt der Mutter viele Fragen. Wann haben die Schmerzen angefangen, sind sie in der vergangenen Stunde stärker geworden, hatte Dalia schon einmal dieses Problem. Anders als in einer Rettungsstelle hat der angehende Internist hier nicht so viele Möglichkeiten für seine Diagnostik:
"Wir haben zum Beispiel kein Sonographie-Gerät, wir haben nicht die Möglichkeit, Laborwerte zu bestimmen, das heißt, man ist mehr drauf angewiesen, was man vom Patienten an Anamnese, also an Krankengeschichte erfährt. Das heißt, es ist ein anderes, etwas grundlegenderes Arbeiten, was einen hier und da mehr fordert."
Aber nie überfordert. Der 32-Jährige entscheidet, das Mädchen muss ins Krankenhaus. Zur Sicherheit. Die Mutter schaut besorgt, Thomas Cronen winkt mit einem Lächeln ab. Gestik, Mimik - manchmal genauso wichtig wie die fachärztliche Diagnose. Thomas Cronen:
"Ich habe oft das Gefühl, dass vielen Patienten allein dadurch schon ein bisschen geholfen ist, dass sie einfach mal ein bisschen erzählen können, wo sie herkommen, wie die Umstände vor der Flucht waren, was sie auf der Flucht erlebt haben. Das allein ist schon eine große Hilfe, die man auch spürt."
Drei Minuten später steht der junge Mediziner wieder am Tresen. Hat auch für Gabriele Hussainow ein Lächeln übrig.
"Dann mit dem nächsten Patienten weitermachen, ... also der nächste ist der hier, der hat schon Theater gemacht, ich hab schon fast den Sicherheitsdienst gerufen."
Eigentlich würde Thomas Cronen den Patienten auf morgen vertrösten. Aber der Syrer, Mitte 40, lässt nicht locker. Diesmal übersetzt die Ehefrau. Thomas Cronen nimmt sich für das Gespräch 20 Minuten Zeit. Hört geduldig zu, als die junge Syrerin ausgiebig die Symptome ihres Mannes beschreibt. Reicht den beiden quengelnden Kindern abwechselnd mal ein Halsbonbon, mal ein Stofftier.
Und bleibt auch ruhig, als das Handy des Ehemannes erst vibriert und dann geräuschvoll eine SMS ankündigt - und der in aller Ruhe antwortet. Schließlich weiß er längst: Sein Patient hat nur eine eitrige Halsentzündung. Und dagegen helfen Antibiotika. Das Ehepaar bedankt sich lächelnd bei Thomas Cronen. Der lächelt zurück - und ist in Gedanken schon beim nächsten Patienten.
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