Flower Power 3.0

27.02.2009
In Blogs und Lifestyle-Magazinen wird der ehemalige Chefredakteur der SPEX, Dietmar Dath, seit Jahren als Grenzgänger zwischen Science-Fiction, linker Gesellschaftskritik und schnell drehender Pop-Literatur gefeiert. Sein Hörbuch "Der erwachte Garten" ist ein Science-Fiction-Märchen über Biotechnologie, Zeitreisen und die Freuden der freie Liebe.
Es beginnt mit einer Rückblende. Am frühen Morgen schaltet sich das High-Tech-Blätterdach der Baumhütte ein und lädt die nicht ganz jugendfreien Erinnerungsfragmente der vergangenen Stunden aus dem Zwischenspeicher auf die organischen Displays:

"In der Mitte des Raumes sieht Lisa - wenn sie den entsprechenden Trick mit der Phasenverschiebung riskiert - Nachbilder des gestrigen Abends: der kleinen Party mit Freunden, der langsamen Tänze; Wange an Nacken, Kuss auf den fremden Bauchnabel, Federhändchen auf dem fremden Hintern, Quecksilber-Zunge in fremdem Lästermündchen."

Das sind die Ausschweifungen in den Zeiten des fortgeschrittenen Körperdesigns: Lisa, die sexy Programmiererin mit den gefiederten Armen, vergnügt sich unter anderem mit einer Dornhai-Fischfrau, einer Ringelrobbe und einem sprechenden Hund. Diese gentechnisch modifizierten Wunderwesen entstammen einer fernen Zukunft, mit der der Schriftsteller Dietmar Dath uns im vergangenen Jahr bereits in seinem voluminösen Science-Fiction-Roman "Die Abschaffung der Arten" bekannt gemacht hat.

Dieses Hörbuch ist mit knapp 60 Minuten Länge der ideale Einstieg in den Dietmar-Dath-Kosmos: "Der erwachte Garten" ist eine eigenständige Erzählung, ergänzt durch einen passgenau abgestimmten Soundtrack vom Kammerflimmer Kollektiv. Trip Hop trifft auf Elektro Jazz, und Dietmar Daths berüchtigte Wissenschaftsprosa, die er selbst fast ein bisschen schüchtern vorträgt, beginnt zu tanzen:

"offene Mengen hier, Koty-Homophorismen da, komplexe Mannigfaltigkeit, Kohomologie und freie Felder, Beweise, Beweise, noch mehr Beweise, kompaktifizierter Minkowski-Raum (. . . ) Entschuldige, aber das geht mir alles über den Scheitel..."

...stöhnt der sprechende Hund. Die Geschichte ist kompliziert, aber wenn man sich auf die Mischung aus Biotechnologie, Quantenphysik und großen Gefühlen einlässt, macht es richtig Spaß: Lisa hat die Spielchen mit ihren mutierten Gefährten satt und sehnt sich nach der großen Liebe.

Sie lernt die schöne Sternenfahrerin Suri Pfote kennen, doch Suri ist sozusagen nicht ganz sie selbst. Ihr Bewusstsein ist in den Körper ihrer Geliebten Izou verpflanzt worden. Izous Gedankenstrom ist dabei deaktiviert worden, und das ist...:

"... eurer Liebe eher hinderlich gewesen, lästert Lisa und fragt sich, ob es wohl irgendeine Art der romantischen, wechselseitigen Verwurstelung gibt, die weiter entfernt ist von dem, was sie selbst als regelrechte Liebe auffassen kann, als dieses komische Sich-einen-Körper-teilen."

Jetzt will Suri ihren beziehungsweise Izous Körper duplizieren und hat ihre Hoffnungen auf den "erwachten Garten" gesetzt, einen riesigen Bio-Computer in Form einer blühenden Parkanlage. Ausgerechnet die eifersüchtige Lisa soll ihr dabei helfen:

"Es beginnt mit Gerüchen. Eibisch und Kamille verfangen sich in den Härchen in Lisas Nase, Moschus, Lavendel, Birke zupfen Pizzikato an Lisas Nerven... Suris Haut schimmert wie Wachs und Lanolin, die Luft sirrt unter ihrer Stirn, die Zeit wird cremig."

Punktgenau verwandelt sich das Kammerflimmer-Kollektiv in ein Hippie-Orchester. Warme Sixties-Gitarren begleiten ab jetzt dieses bezaubernde Märchen von der freien Liebe. Das ist die große Überraschung, die "Der erwachte Garten" bereithält: Dietmar Dath, der bisher eher düstere Zukunftsvisionen entworfen hat, träumt von einer Gesellschaft, in der alles geht: ein feuchter Kuss von einer Ringelrobbe oder ein computer-gestützter Flower-Power-Liebesakt, bei dem Körper sich nicht vereinigen, sondern verdoppeln und verdreifachen.

Lisa verliert Suri nicht, sondern darf zusammen mit ihr und Izou auf der intelligenten Blumenwiese kuscheln. Und Dietmar Dath, der vor Kitsch genau so wenig Angst hat wie vor Quantenphysik, schickt rasch noch einen Schmetterling vorbei:

"Es geht so leicht, wie der da fliegt, in die Sonnenstrahlen und dann wieder raus, denn bei der regelrechten Liebe machen nicht die Regeln die Liebe, sondern die Regeln machen die Liebe..."

Rezensiert von Kolja Mensing

Dietmar Dath & Kammerflimmer Kollektiv: Im erwachten Garten (Hörbuch)
Implex Verlag/Staubgold/Verbrecher Verlag
ca. 60 Minuten, 17,90 Euro