Florian Werner liest Musik

Gott ist ein Azubi

"Die Erschaffung Adams" ist ein Ausschnitt aus dem um 1510 geschaffenen Deckenfresko des Malers Michelangelo Buonarroti in der Sixtinischen Kapelle in Rom, das die biblische Schöpfungsgeschichte darstellt.
"Die Erschaffung Adams" (Michelangelo Buonarroti) - Wurde der Mensch von Gott schlampig zusammengesetzt? © dpa / picture alliance / Musei Vaticani/Ansa/Claudio Peri
29.10.2015
"Ton Scheine Sterben" - so heißt die neue Platte des Hip-Hop-Duos Manfred Groove. Der Rapper Milf Anderson und sein Produzent Yellowcookies kritisieren in ihren Songs Franz Kafka, Sigmund Freud und in "Die Gesetze der Mechanik" womöglich sogar Gott.
Ich hab zwei Beine, zwei Füße, einen Bauch
einen undurchsichtigen Haufen Innereien
mit einem Blinddarm, den ich eigentlich nicht brauch
und zwei Handrücken hab ich auch
Das erste Wort, das in "Die Gesetze der Mechanik" fällt, lautet "Ich". Doch kaum ist das Subjekt etabliert, zerfällt es auch schon in seine Einzelteile: Distanziert, fasziniert, verstört beschreibt Rapper Milf Anderson seinen Körper, als gehörte er zu jemand anderem. Die Gliedmaßen. Der undurchschaubare Torso. Und nicht zuletzt dieses merkwürdig sinnlose Organ, das sich nur bemerkbar macht, wenn es sich lebensbedrohlich entzündet - und dadurch die Frage aufwirft, warum der menschliche Körper eigentlich so skandalös fehleranfällig konstruiert ist.
Doch alles scheint an den Nahtstellen nur dürftig verschraubt
Ich trag ein Kreuz, das ist krümmer als nötig
Und mir scheint, mein Kopf versteht mich nicht
Und da wohnt heimlich ein Landstreicher in meinem Haus.
Der Gedanke, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, geht auf Sigmund Freud zurück. Die Vorstellung, dass der dazugehörige Körper nichts weiter sei als eine Maschine, wurde Mitte des achtzehnten Jahrhunderts von Julien de La Mettrie formuliert. "Der Mensch ist eine Maschine", schrieb der Philosoph, "welche so zusammengesetzt ist, dass es unmöglich ist, sich zunächst von ihr eine deutliche Vorstellung zu machen."
Die Betriebsanleitung der Mensch-Maschine
In der Popkultur hat sich dieses mechanistische Weltbild gründlich durchgesetzt. Die robotischen Bewegungen des Breakdance zeugen ebenso davon wie die verzerrten Vocoder-Stimmen sowie die animierten Roboter-Puppen der Gruppe Kraftwerk. Doch während Letztere seit Jahrzehnten monoton-selbstzufrieden vor sich hin knarzen, leidet der Sprecher in dem Manfred Groove-Song so an seinem Dasein, dass er einen Mechaniker aufsucht:
Und mein Hausarzt sagt: Das ist völlig normal
Ich glaub, mein Hausarzt ist selbst nicht völlig normal
Doch als ich ihm das in einem verständigen Ton gesagt hab
Sagte er: Sie können mich mal
Kein Wunder, dass der Doktor nicht weiterhelfen kann. Erstens handelt es sich bei ihm vermutlich ebenfalls nur um eine unzulängliche Mensch-Maschine. Und zweitens ist das Problem seines Patienten nicht medizinischer, sondern metaphysischer Natur:
Wer hat mich so schlampig zusammengesetzt?
Egal, wie ich mich drehe, irgendwas blockiert
Irgendwas verhindert, dass ich glücklich bin
Irgendwer hat die Gesetze der Mechanik nicht kapiert
Es steckt also ein stümperhafter Schöpfer-Azubi hinter dem ganzen Schlamassel. Oder liegt das Problem womöglich darin begründet, dass der Sprecher glaubt, dass ihn ein Demiurg zusammengeschusselt hat? Wäre er vielleicht freier, glücklicher, weniger blockiert, wenn er die Gesetze der Mechanik in die eigene Hand nähme? Die Betriebsanleitung für Mensch-Maschinen des alten La Mettrie würde ihm jedenfalls recht geben: "Die Welt wird niemals glücklich sein", schrieb er, "wenn sie nicht atheistisch ist."
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