Flirrende Zwischenzonen der Wörter

24.11.2009
Ausgangspunkt dieses Gedichtbands sind die "falschen Freunde" aus der Sprachwissenschaft: Wörter, die im Deutschen und Englischen gleich klingen, aber eine andere Bedeutung besitzen. Hier wird also die Sprache ganz konkret als Material untersucht, am Beispiel deutsch-englischer Wortbeziehungen, fast könnte man das Buch als einen zweisprachigen Band bezeichnen, in dem die Lyrikerin hinterrücks, unvorhergesehen und unablässig von einer Sprache in die andere übersetzt, wobei die jeweilige Richtung des Übersetzens zunächst nicht ganz klar ist.
Im ersten Zyklus legt Uljana Wolf eine alphabetische Sammlung "falscher Freunde" an, das Englische und das Deutsche geraten in flirrende Zwischenzonen und ergeben etwas Drittes. In ihrem "DICHTionary" weisen die Wörter durch offenkundige Doppelbedeutungen in immer wieder neue Richtungen, wobei sich die Doppelbedeutungen sofort in noch viel mehr Bedeutungsebenen verflüchtigen. Ausgangspunkte sind "kau” und "cow”, "kind” und "Kind”, "kiss" für "Kuss" und das dazugehörige Kissen auf dem Bett. Ein anderer Assoziationskomplex ist beispielsweise "instance – instanz – iceland – island".

Der Zyklus "Subsisters" spielt mit Filmen und Schauspielerinnen. Und so, wie das Sehen eines Films mit anderssprachlichen Untertiteln immer auf zwei Zeitschienen läuft, die sofort durcheinandergeraten, geht es auch hier. Es stehen zwei Parallelgedichte nebeneinander: die Version mit Untertiteln verändert und verfremdet das Original um ein irritierendes Bisschen. Und natürlich gerät Marlene Dietrich hier in ein ganz anderes Spannungsfeld als etwa Barbara Stanwyck, weil die Herkunft unterschiedlich ist und auch später auf neue Weise herausgelöst werden kann.

Die Zyklen "alien I" und "alien II" handeln von den Einwanderungsbedingungen damals und heute. Die autobiographische Grundlage dafür ist wohl, dass Uljana Wolf mittlerweile die Hälfte des Jahres im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebt, wo ihr amerikanischer Ehemann und Dichter Christian Hawkey zuhause ist. Die Liste, mit der Einwanderer im neunzehnten Jahrhundert auf Krankheiten untersucht worden sind, strukturiert "alien I". Die 17 Gedichte fangen die Atmosphäre auf Ellis Island ein, wo die Neubürger landen. "alien II" ist dagegen in der unmittelbaren Gegenwart angesiedelt, die Gedichte nähren sich aus juristischer Fachsprache und Regierungsdekreten von heute. Sie entstehen zum Beispiel durch Streichung von Textpassagen aus einer Gebrauchsanweisung der Firma Bosch für ein Gerät zur biometriegestützten Grenzkontrolle.

Uljana Wolf bewegt sich mit ihrem neuen Gedichtband auf der Höhe der globalisierten Wirklichkeit und der globalisierten Lyrik-Diskussion. Dass sich die Sprach-Maschinerie manchmal verselbständigt, gehört zum Programm. Ihr Ansatz ist hochinteressant. Und manchmal blitzt sogar etwas auf, wovon man sich in Zukunft mehr wünschen würde: das Risiko des Ich abseits der vorhandenen Theorien.

Besprochen von Helmut Böttiger

Uljana Wolf: falsche freunde
Gedichte.,Verlag kookbooks, Idstein 2009
87 Seiten, 19,90 Euro
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