Flimmernde Kunstwerke

Von Laf Überland · 15.08.2013
Gerade mal 24 Zeilen in 40 Spalten und nicht mehr als sechs Farben: Der Videotext gibt grafisch nicht viel her. Genau das macht ihn aber für Künstler interessant. 16 von ihnen zeigen ihre Pixel-Bilder nun auf dem International Teletext Art Festival in Berlin - und im ARD-Videotext.
Grelle Farben oder hartes schwarz-weiß, verspieltes Getupfe oder minimalistische Linien, erzählende Bilder oder reine Geometrie: Manche Bilder lassen ein Motiv erahnen, erkennbar ist es aber nicht. Stattdessen: dicke, farbige Pixel und manchmal ein paar Buchstaben! Und wenige Pixel reichen aus für ein Gesicht: Das ist Teletext-Kunst.

Teletext: Ein analoges Fernsehbild nach mitteleuropäischer Fernsehnorm PAL hat 625 Bildzeilen. Davon werden aber nur 576 Zeilen für die Übertragung eines Bildinhalts benutzt, wobei der Rest die so genannte "Austastlücke" ist, während der sich das Fernsehgerät auf den Empfang des nächsten Bildes vorbereitet. Diese Austastlücke aber kann man benutzen, um zusätzliche Informationen zum Bildschirm zu transportieren, zum Beispiel: kurze Textnachrichten. 1973 kamen Techniker der BBC auf diese Idee, 1980 wurde Teletext dann bei ARD und ZDF eingeführt.

Früher war der Teletext ein Superservice
Bei diesem – oft auch Videotext genannten – Dienst konnte der Zuschauer präzise Informationen abfragen – in knappesten Texten und schön übersichtlich geordnet: Verzeichnis auf Seite 100, Nachrichten ab 101, ab 170 das Wetter und ab 301 das Fernsehprogramm. Das war ein Superservice damals: Nachrichten und Informationen auf Abruf, wann immer der Zuschauer es will, unabhängig vom laufenden Fernsehprogramm.

Natürlich wirkt das ziemlich niedlich, wenn man sich die Halden von Informationen, Bildern, Nachrichten und Links anguckt, die das Internet pausenlos und in einem Affentempo über den Monitor auf unsern Schreibtisch erbricht: Aber damals vor drei Jahrzehnten war das die Zukunft! Und die hat das Internet erstaunlicherweise bis heute nicht abgewürgt: Allein in Deutschland wird Teletext immer noch 16 Millionen mal am Tag aufgerufen - davon 5 Millionen mal allein bei der ARD.

An der Technik des Teletextes hat sich übrigens seither im Wesentlichen nichts geändert: 24 Zeilen in 40 Spalten und nicht mehr als sechs Farben stehen zur Verfügung. Trotzdem haben Künstler immer wieder Gefallen an der Arbeit mit den groben Bildpunkten gefunden: von Post-Punk bis Konzeptkunst, "abstrakt, poppig, politisch oder sogar expressiv", sagt Juha van Ingen von der finnischen Künstlerkooperative FixC aus Helsinki. Die organisierte 2012 (in Zusammenarbeit mit dem finnischen Fernsehen und dem ARD-Text) in Deutschland das erste Internationale Teletext-Kunst-Festival ITAF. Heute Abend ging das Festival in die zweite Runde mit 16 internationalen Künstlern, von denen eine Expertenjury einen Sieger kürt - und die Zuschauer können mitwählen.

Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind dabei, aus Spanien, England und den USA. Das sind ein Algorithmen-Designer und ein Comiczeichner, ein Grafiker und ein Netzaktivist, ein Videojockey oder ein Webdesigner - anerkannte Avantgarde-Künstler oder Kulturterroristen. Einige lieben den Charme dieser grobklotzigen Retrotechnologie, andere hassen sie und pixeln deshalb schreckliche Sachen wie blutrünstige Comics über eine unglückliche Reise zur Sonne: Ja, diese irgendwie brutal wirkenden Klötzchen-Imitationen von ägyptischen Pyramiden-Zeichnungen kann man sogar einfach entschlüsseln, für andere braucht man schon ziemlich viel Fantasie, um die Bilder zu erkennen – zum Beispiel bei den angeblichen Architekturabbildungen aus Finnland...

Gezeigt werden Winkekatzen und Klowandmotive
Einige der Pixelwerke bleiben unbewegt, andere blinken mit den Augen und dergleichen – die chinesische Winkekatze auf schrill pinkem Grund winkt mit der Pfote, na klar, und es gibt winzig kurze Videos in Nintendo-Ästhetik. Bei der Deutschen Cordula Ditz schreiben sich schmucklose, unheimliche Botschaften auf den Bildschirm: Ich beobachte Dich! Und der Engländer Dan Farrimond knallt förmlich Motive von Klowänden und asiatischen Billigshop-Schaufenstern zusammen. Pro Teletextseite (ab ARD-Text 850) gibt es bis zu sechs Bilder von jeweils einem der 16 beteiligten Künstler.

Angeblich entspricht die Rückbesinnung auf einfache Formen jenem allgemeinen Retrotrend in der Popkultur, und Teletext ist ja archaisch - das Gegenteil von höchstauflösenden HD-Bildschirmen mit den Ausmaßen eines kleinen japanischen PKW. Aber viel mehr geht es diesen Künstlern wohl darum, "mit möglichst wenig Drumherum eine große Aussage treffen zu können", wie einer von ihnen sagt. Minimale Ästhetik, limitierte Möglichkeiten, das Ziel sind: Bilder von ikonografischer Kraft.

Parallel zur Fernsehausstrahlung (übrigens auch beim ORF und im Schweizer Fernsehen) werden die Teletext-Installationen auch im Berliner ARD-Hauptstadtstudio und bei der ars electronica in Linz gezeigt, aber ihre Wirkung entfalten sie natürlich dort, wofür sie auch kreiert wurden: zuhause am Fernseher, wo sie plötzlich elektronische Kunst ins Wohnzimmer befördern – wenn man will, 24 Stunden am Tag. (Genaueres ab ARD-Textseite 850.)
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