Fischen und Ernten in der Stadt

Von Thomas Gith · 20.04.2013
Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei züchten Fische und Tomaten in einem Gewächshaus. Sie suchen nach einer Landwirtschaft für Ballungsräume und wollen dabei Umweltbelastungen vermeiden.
Ortsbesuch am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin-Friedrichshagen. Hier am Stadtrand, direkt am Ufer des Müggelsees gelegen, steht ein auf den ersten Blick gewöhnliches Gewächshaus: Es ist hoch wie ein einstöckiges Wohnhaus, lang wie eine Scheue und ganz transparent, so dass Tageslicht einfällt. Doch im Gewächshaus findet ein einmaliges Experiment statt. Professor Werner Kloas schließt die Eingangspforte auf.

Bei 26 Grad Celsius wachsen hier, in Plastikkästen gepflanzt, Tomatenstauden in die Höhe, direkt daneben schwimmen in mehreren kreisrunden Kunststoffbecken einige hundert Buntbarsche umher. Und es rauscht: laut und beständig.

"Das Rauschen, was hier ist, ist die Klimatisierung, wir haben hier auch eine Klimaanlage, die der Wasserrückgewinnung dann, von dem Wasserdampf, der von den Pflanzen abgegeben wird, dient. Und generell ist es eigentlich so, dass mittlerweile Klimatisierung in Gewächshäusern auch üblich ist."

Die Klimatisierung dient den Tomaten und Fischen in gleicher Weise: Denn beide benötigen ähnliche Umweltbedingungen, um wachsen zu können. Temperaturen von rund 26 Grad gehören dazu. Und der künstliche Lärm ist für die Fische erträglich, meint Werner Kloas:

"Der Lärm ist für die Fische, weil er auch sich in Wasser nicht ganz so überträgt, nicht so laut wie für uns, also für unsere Ohren zu hören, dass sind eher Vibrationen, die dann im Wasser vorhanden sind. Aber das haben die Fische in der natürlichen Umwelt, wo eben das Wasser auch fließt, selbstverständlich auch."

Mit natürlicher Umwelt hat das Tomatenfisch-Projekt im Gewächshaus allerdings nichts zu tun: Es ist vielmehr eine hochtechnisierte Umgebung, die ideale Wachstumsbedingungen für Fische und Tomaten schaffen will. Die Tomaten wachsen dabei in Mineralwolle heran. Hydroponik nennt sich das, erklärt Biologe Hendrik Monsees und geht durch die Pflanzung:

"Hinter uns stehen die Tomaten. Und man kann das auch sehen, unten sieht man die Wurzeln direkt, also die stehen nicht in Erde. Deswegen: Hydroponik ist ja auch die erdlose Anzucht von Pflanzen. Und die sind alle schön grün und man kann auch schon die ersten Tomaten sehen, hier zum Beispiel."

Hendrik Monsees streicht ein Blatt zur Seite und zeigt auf die noch grünen Tomaten. Neu ist diese Art des Anbaus nicht: Weltweit wird in Gewächshäusern so Gemüse gezüchtet. Und auch dass Fische in Aquakultur gehalten werden, ist seit langem weitverbreitet. Neu ist allerdings, dass das verbrauchte Wasser aus den Fischbecken für die Tomatenzucht genutzt wird, sagt Werner Kloas.

"Wir haben beide Systeme, die Aquakultur wie auch die Hydroponik als separate Kreisläufe. Es wird nur über ein Einwegventil das Fischwasser aus dem Fischbereich zu den Pflanzen in eine Richtung eben abgegeben. Das heißt, wenn die Pflanzen Wasser und Nährstoffe verbrauchen, wird es eben dann vom Fischkreislauf nachgeliefert. Und das ist eigentlich der große Knackpunkt, dieses Einwegventil."

Die Wissenschaftler verbinden also die beiden Systeme miteinander - und schaffen es so, Wasser und Nährstoffe zu sparen. Sie nutzen dabei Ammonium, dass die Fische ausscheiden. Das mit dem Ammonium versetzte Wasser ist für die Barsche selbst giftig, muss also aus den Haltungsbecken abgepumpt werden. Doch statt es zu entsorgen, wird es im Gewächshaus über Abflussrinnen in große Tanks weitergeleitet. Und die dienen als Biofilter.

Werner Kloas steht vor so einem mannshohen, schwarzen Tank und zeigt auf ein kleines Bullauge, durch das man in den Tank hineinblicken kann.

"Also hier sind Plastikteilchen drin, so kleine Kügelchen, mit vielen Einstülpungen, das heißt, die haben eine sehr große Oberfläche. Da kommt Wasser dazu. Gleichzeitig wird auch Luft dazu gebracht, damit das Ganze eben auch sauerstoffgesättigt ist, die Atmosphäre da drin. Und auf diesen Plastikteilen siedelt sich ein Biofilm aus Bakterien an, die auch ganz normal in der Luft vorkommen, Nitrosomas und auch Nitrobacter. Und die machen dann aus Ammonium, die eine Sorte macht dann eben Nitrit und die andere Sorte macht dann aus dem Nitrit dann eben Nitrat. Das sind eigentlich die chemischen Umsetzungen, die dabei stattfinden."

Und Nitrat ist ein Hauptbestandteil von Pflanzendünger. Das so aufbereitete Fischwasser wird jetzt durch Rohre zu den Kästen mit den Tomatenpflanzen geleitet. Die entziehen dem aufbereiteten Fischwasser die Nährstoffe und dünsten den Rest als Wasserdampf über ihre Blätter aus. Der Wasserdampf wird schließlich von drei großen Trichtern eingesaugt, die unter dem Dach des Gewächshauses hängen.

"Wir haben hier eine Klimatisierung. Drei große Öffnungen dabei. Die dann die Luft auch einsaugen und dann eben wieder auch temperieren. Hier sind Kühlfallen drin und auf diesen Kühlfallen kondensiert der Wasserdampf und kommt dann in Tropfenform wieder in eine Leitung, wo es dann aufgefangen wird. Und dieses aufgefangene Wasser, was eben einfach reines Wasser ist, das kann dann wieder im Aquakulturkreislauf zugeführt werden."

Durch den eingefangenen Wasserdampf wird zusätzlich etwas frisches Wasser eingespart, dass täglich in die Barschbecken nachfließt. Der Kreislauf in der Tomatenfischanlage ist jetzt geschlossen. Knackpunkt ist allerdings der Energiebedarf. Denn allein um die Anlage zu heizen, ist viel Wärmeenergie nötig. Genutzt werden soll daher Abwärme. Denn die sei vor allem in Städten reichlich vorhaben, sagt Werner Kloas.

"Das heißt also, ob das jetzt aus dem Industriebereich ist, mit Kühlwasser, ob das Blockheizkraftwerke sind, Biogasanalgen, spielt da eigentlich gar nicht die Rolle. Aber es muss quasi ein Abwärmeemittent da sein. Weil, wenn wir die Aquaponic betreiben, in dem wir dann eben eine Gasleitung 'ranlegen müssen und dementsprechend Primärenergie verbrauchen, ist es von der Nachhaltigkeit her natürlich eben nicht sinnvoll."

Solch eine Lebensmittelproduktion in der Stadt kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn viele äußere Bedingungen stimmen. In der ehemaligen Malzfabrik im Berliner Stadtteil Schöneberg sind einige dieser Voraussetzungen erfüllt. Hier wird bereits versucht, dass wissenschaftliche Projekt praxistauglich umzusetzen.

Nicolas Leschke ist in den dunklen, fast hallenartigen Gängen der ehemaligen Fabrik unterwegs. Das aus rotem Klinkerstein gemauerte und rund 100 Jahre alte Fabrikgebäude steht zum großen Teil leer. Die trichterförmigen Becken, in denen jahrzehntelang Gerste eingeweicht wurde, sind bis heute im Gebäude - und ideal für die Fischzucht.

"Also wir befinden uns hier auf der Malzfabrik, in der dritten Etage, vor uns sind die alten Weichbecken. Wir haben 22 von diesen Becken. Die sind im Durchmesser circa fünf Meter, haben ein Fassungsvolumen von 20 bis 22 Kubik. Und in diesen Becken können wir im Jahr circa 220 Tonnen Fisch herstellen. Und neben diesen Becken, auf dem Dach der Malzfabrik, steht dann das Gewächshaus, in dem wir Gemüse hydroponisch anbauen werden."

Nicolas Leschke will mit seiner Firma Efficient City Farming ein erster kommerzieller Betreiber einer Tomatenfisch-Anlage sein. Ihm kommt dabei zu Gute, dass die alte Malzfabrik saniert werden soll. Auf dem umliegenden Gelände wird dann auch ein Blockheizkraftwerk entstehen. Und die in ihm anfallende Abwärme soll für das notwendige Klima in der Tomatenfischanlage sorgen. Auch wenn das Gemüse in einem separaten Raum wachsen wird - Nicolas Leschke glaubt an seine Idee.

"Die Fischzucht an sich ist anders gedämmt. Das heißt, die kann man mit einem geringen, energetischen Aufwand ganzjährig betreiben. Das Gewächshaus kann nicht so gedämmt werden. In unseren Breitengraden lohnt sich dann ein Betrieb auf neun Monate."

Ansonsten aber wird die Anlage nach dem wissenschaftlichen Vorbild funktionieren: Auch der Wasserkreislauf wird daher geschlossen sein. Erste praktische Züchtungs- und Anbauversuche hat es im vergangenen Sommer gegeben: In einem kleinen Container auf dessen Dach ein Gewächshaus gebaut wurde.

"Also wir selbst haben Experimente gemacht mit Barscharten und mit Karpfen. Es gibt verschiedene Arten, die sich dafür eignen. In der Hydroponik ist es so, dass einfach sehr, sehr viele Pflanzen für ein hydroponisches System ausgelegt sind: Salate, Gurken, Kräuter, Chilis, Tomaten, Maracuja aber auch Erdbeeren oder Schnittblumen."

In unseren Städten könnten also zahlreiche Fisch- und Gemüsesorten gemeinsam gezüchtet werden. Alte und ungenutzte Industrie- und Gewerbeflächen dafür gebe es reichlich, meinen die Forscher. Allerdings: Die Produktionskosten sind hoch - weil die oft begrenzten Anbauflächen nur kleine Ernten ermöglichen. Auch Nicolas Leschke räumt das ein.

"Die Farmsysteme in der Stadt rentieren sich nur in der Direktvermarktung. Das heißt, ohne Zwischenhändler. Ab einer gewissen Größe, ab einem Hektar, also 10.000 Quadratmetern, in Stadtnähe, treten diese Farmsysteme in Konkurrenz zu der herkömmlichen Landwirtschaft. Also können preislich dann auch mithalten."

Und nachhaltig wäre so eine städtische Lebensmittelproduktion vor allem dadurch, dass die Bevölkerung direkt vor Ort versorgt wird. Hoher Schadstoffausstoß durch lange Transportwege fällt so weg. Landwirtschaft in der Stadt ist also keine spinnerte Idee, sondern eine ökologisch sinnvolle Alternative, glaubt Johannes Graupner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.

"Ich denke, diese Produktion wird sich in den Städten etablieren. Einerseits, weil es ein wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung dafür gibt, dass Nahrung nachhaltig produziert werden muss. Und die andere Sache ist, wenn man es global betrachtet, dass die Verstädterung stark zunimmt, eine große Dynamik hat. Und da brauchen wir dringend Lösungen, um die Transportwege zu verkürzen und die Bevölkerung vor Ort zu versorgen."

Am Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin arbeiten die Forscher erstmal jedoch am nächsten Schritt: Denn unter anderem der phosphatreiche Fischkot soll künftig für die Pflanzenzucht genutzt werden. Und auch anderes Gemüse wird hier bereits versuchsweise angebaut, sagt Biologe Hendrik Monsees und beißt herzhaft zu.

"Wir verkosten gerade die köstlichen Gurken, die wir hier noch in der Anlage haben."

Und dann geht er durch die Pflanzung, hebt ein paar Blätter hoch und pflückt eine weitere Gurke.

"Bitteschön, die ist gleich lecker."

Der Geschmackstest zeigt es: Auch Gurken scheinen hier gut zu gedeihen. Sie schmecken nicht schlechter als anderes Gemüse aus dem Gewächshaus. Und die von Interessenten oft geäußerte Furcht, das Gemüse könnte einen leichten Fischgeschmack haben, erweist sich als unbegründet.
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