Fischedick: Grundkonzept von Desertec ist nach wie vor richtig

Manfred Fischedick im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 25.01.2013
Der Energieexperte Manfred Fischedick hält das Wüstenstromprojekt Desertec auch nach dem Ausstieg der Technologiekonzerne Siemens und Bosch für zukunftsträchtig. Im europäischen Verbund seien derartige zentrale Strukturen "ein Puzzlebaustein für die deutlich komplexere Energieversorgung der Zukunft."
Jan-Christoph Kitzler: In Zeiten, in denen die Welt immer mehr Energie verbraucht, wäre das natürlich ein Traum: Strom aus der Kraft der Sonne für möglichst alle und Energie ohne Ende. Desertec – dieses Wort steht für den Traum: Im Süden Marokkos soll ein gewaltiges Solarkraftwerk entstehen und Strom irgendwann auch nach Europa liefern. Doch nun gibt es schlechte Nachrichten für das Projekt aus Deutschland: Zwei große deutsche Technologiekonzerne ziehen sich von Desertec zurück. Bei Siemens stand das schon länger fest, dort will man sich von der Solarenergiebranche verabschieden, und jetzt will zum Jahresende auch Bosch aussteigen. Ist das vielleicht auch ein Beleg dafür, dass solche Großprojekte ein Traum bleiben müssen? Darüber will ich mit Manfred Fischedick sprechen, er ist Energieexperte beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Schönen guten Morgen nach Wuppertal!

Manfred Fischedick: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Herr Fischedick, können Sie denn nachvollziehen, dass Konzerne wie Siemens und Bosch aussteigen bei Desertec?

Fischedick: Also ich kann natürlich keine Detailauskünfte geben über die internen Gründe, aber grundsätzlich habe ich natürlich Verständnis dafür, wenn Großunternehmen sich in heutiger Zeit – in Zeiten von Finanzkrisen, von Wirtschaftskrisen – versuchen, auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Und der Ausstieg in beiden Fällen ist, glaube ich, aus meiner Sicht kein Indiz dafür, dass beide Unternehmen an den Technologien kein Interesse haben – ich glaube, dieses Interesse besteht nach wie vor –, sondern sind im Wesentlichen kurzfristige Entscheidungen, die ich bedingt nachvollziehen kann, aus langfristiger Sicht aber nicht unbedingt für sinnvoll halte.

Kitzler: Wie sehen Sie denn die Zukunft von Desertec jetzt? Also das ist ja auch kein gutes Omen, wenn Großkonzerne wie Siemens und Bosch aussteigen.

Fischedick: Das ist auch sicherlich so, dass diese Grundidee von Desertec, was die Realisierung anbelangt, wahrscheinlich länger bedarf, als das mancher gedacht hat. Auf der anderen Seite darf man nicht verkennen: Man hat es hier mit einem Projekt zu tun, was durchaus große Dimensionen hat, was zunächst mal auch mehrstufig gedacht werden muss. Es muss ja zunächst mal darum gehen, die Technologien auch in den Ländern selber in Nordafrika anzusiedeln, dort heimisch zu machen, zur Energieversorgung beizutragen – und erst im zweiten Schritt dann erst in Richtung von Exportstrategien zu gehen. Und dann hat man es mit einer Technologie zu tun, die große Infrastruktursysteme braucht, also transkontinentale Infrastruktur aufbauen, dann brauche ich die Stromnetze, die erforderlich sind, und das geht tatsächlich nicht so schnell, wie mancher gedacht hat.

Ich glaube aber nach wie vor, dass das Grundkonzept richtig ist, weil man, glaube ich, in der Vergangenheit eines gelernt hat, das ist, Technologie offener zu denken, nicht nur bezogen auf solarthermische Kraftwerke zu denken, sondern auch die Photovoltaik, die Windenergie mittlerweile dort diskutiert wird, und zum Zweiten man, glaube ich, jetzt verstanden hat, auch in vielen Projekten, die jetzt angedacht werden, dass man zunächst einen Beitrag für die heimische Versorgung leistet und im zweiten Schritt erst in Richtung Export geht.

Kitzler: Die Bundesregierung will auf jeden Fall bei Desertec an Bord bleiben, will das Projekt weiter fördern, dabei ist ja Deutschland doch schon jetzt Stromexporteur und wir wollen ja eigentlich den Stromverbrauch noch weiter senken. Warum brauchen wir überhaupt so ein Großprojekt wie Desertec?

Fischedick: Ja, wenn man sich heute viele Szenarien anguckt, die erst in Richtung 2030, 2040, vielleicht sogar 2050 gehen, dann sind das alles Szenarien, die sehr, sehr stark auf die Nutzung erneuerbarer Energien abheben, und dort nicht nur auf die heimische Nutzung erneuerbarer Energien schauen, also nicht nur die heimische Windenergie, die heimische Solarenergie, sondern durchaus auch in Richtung Süden oder Norden schauen, günstige Wasserkraftvorkommen aus Skandinavien versuchen, einzubeziehen, aber eben auch darüber nachdenken, wie man aus dem Süden Europas oder aus dem Norden Afrikas günstige solare Quellen mit einbinden kann.

Das hat Kostengesichtspunkte natürlich als Hintergrund, aber hat natürlich auch als Hintergrund, dass wir in der Zukunft, glaube ich, mehr denn je die Energieversorgung auch europäisch denken müssen und dann natürlich Strukturen durchaus eine Rolle spielen, die in eine Richtung gehen, die Standorte, die günstige Möglichkeiten bieten, dann auch für Deutschland zu nutzen. Und das ist eigentlich die Grundidee von Desertec, und deswegen hat, glaube ich, auch die Bundesregierung Interesse daran, dieses Projekt zu unterstützen, mal abgesehen davon, dass für Deutschland das industriepolitisch von hoher Bedeutung ist, weil viele dieser Technologien in Deutschland entwickelt worden sind und die Technologien aus Deutschland heraus dann auch produziert werden könnten.

Kitzler: Also wenn man das in so großem Rahmen denken muss, von der Wüste Afrikas bis zu den Wasserkraftwerken in Norwegen, dann bräuchte man ja einen europäischen Plan zum Beispiel für die Energieversorgung. Wie weit ist Europa denn in dieser Frage?

Fischedick: Konzeptionell ist Europa durchaus schon relativ weit. Es gibt zwei große Dokumente seit 2011, die dort eine große Rolle spielen, das ist auf der einen Seite die sogenannte "EU low-carbon economy roadmap", die im Grunde vorgibt, wie soll es weitergehen auch im Bereich des Klimaschutzes – dort im Übrigen sehr ähnliche Ziele definiert, wie das in Deutschland der Fall ist –, und das Zweite sind die sogenannten Energie-2050-Fahrpläne, wo sich die Europäische Union mal versucht hat, in sechs, sieben Zukunftspfaden mal an eine Energieversorgung 2050 zu nähern, um sie danach jetzt europaweit auch zu diskutieren. Das heißt, auf der konzeptionellen Ebene ist man durchaus schon so weit, dass man über solche alternativen Pfade nachdenkt. Nur die Umsetzung ist natürlich ungleich schwieriger, weil wir haben es mit 27 sehr, sehr unterschiedlichen Ländern zu tun, die mit sehr unterschiedlichen Strukturen auch starten, das heißt, das wird alles noch ein bisschen Zeit brauchen. Aber die Anfänge sind gemacht, und der Startpunkt ist gesetzt für auch eine europaweite Diskussion.

Kitzler: Und das sind natürlich auch große Bauwerke, die da geschaffen werden müssen, also Sie haben angesprochen die transkontinentalen Energieleitungen zum Beispiel. Wir haben ja in Deutschland schon das Problem, die Windparks in der Nordsee anzuschließen an unser Stromnetz. Ist die Zukunft nicht eh die dezentrale Stromversorgung, das heißt, wir müssen uns die Frage stellen: Brauchen wir diese Riesen-Stromleitungen überhaupt?

Fischedick: Ich denke, es wird in der Zukunft eine Mischung sein. Sicherlich wird die Energiewelt, gerade auch die Energiewelt in Deutschland, deutlich dezentraler werden als das bisher der Fall ist, wobei man natürlich schwerlich darüber streiten kann: Was ist überhaupt eine dezentrale Energieanlage? Sind große Windparks, die in Niedersachsen stehen beispielsweise, in Schleswig-Holstein stehen, sind das überhaupt noch dezentrale Anlagen? Oder denken Sie an die zukünftigen Anlagen in Nord- und Ostsee, große Windparks: Sind das noch dezentrale Anlagen? Da darf man durchaus ein Fragezeichen dahinter setzen. Also auch das sind für mich durchaus zentrale Strukturen, auch wenn sie mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

Aber trotzdem wird es viele kleinräumige Strukturen geben mit kleineren Windenergieparks, mit viel Solarenergie in Deutschland. Trotzdem glaube ich, dass im europäischen Verbund durchaus auch solche zentralen Strukturen, wie die von Desertec angedacht werden, dann in zwei, drei, vier Jahrzehnten durchaus Bedeutung haben werden und auch einen Beitrag zur Absicherung der deutschen Energieversorgung leisten werden. Sie sind nicht ein Königsinstrument, sie sind ein Puzzlebaustein für die deutlich komplexere Energieversorgung der Zukunft.

Kitzler: Und das heißt, auch die Frage, ob wir die großen Stromleitungen brauchen oder nicht, die stellt sich eigentlich nicht, die Frage?

Fischedick: Also wir werden sowieso zukünftig mehr Stromleitungen brauchen, um auch die heimische Versorgung sicherzustellen. Selbst wenn wir nur auf heimische Windenergie setzen würden, brauchen wir, glaube ich, ein Stückchen weit mehr Stromleitungen – vielleicht nicht so viele wie heute diskutiert werden, da gibt es möglicherweise auch eine ganze Reihe von Alternativen, die meines Erachtens noch nicht hinreichend analysiert worden sind, aber wir werden vermutlich nicht umhin kommen, größere Stromleitungen zu bauen. Und dies gilt dann letztendlich auch, wenn die Idee verfolgt werden soll, wirklich einen transkontinentalen Verbund zu realisieren, der dann Nordafrika mit einbindet – was aus energiewirtschaftlicher Sicht mittel- bis langfristig Sinn machen könnte, was aber sicherlich auch aus entwicklungspolitischer Sicht und auch aus Sicht von Risikominimierung durchaus Sinn macht, etwas intensiver auch im Energiebereich mit diesen Ländern zu kooperieren.

Kitzler: Manfred Fischedick war das, Energieexperte beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Haben Sie vielen Dank dafür und einen schönen Tag!

Fischedick: Gern!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie
Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie© picture alliance / dpa / Alina Novopashina
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