Finanzkrise

"Ich habe keine Monster, aber monströse Organisationen gefunden"

Finanzzentrum City of London mit 30 St Mary Axe Hochhaus (the Gherkin)
Das Finanzzentrum City of London © Daniel Kalker, dpa picture-alliance
Joris Luyendijk im Gespräch mit Nana Brink  · 22.05.2015
In seinem neuen Buch "Unter Bankern" versucht der niederländische Autor Joris Luyendijk die Finanzwelt von innen heraus auszuleuchten. Die Gefahr einer neuen Krise ist aus seiner Sicht vor allem wegen verbreiteter Inkompetenz nicht gebannt.
"Ich hatte erwartet, Monster zu treffen", sagte der niederländische Sachbuchautor Joris Luyendijk im Deutschlandradio Kultur. Diese klischeehaften Bilder fänden sich in Büchern oder Hollywoodfilmen wie "American Psycho". "Aber ich habe eigentlich keine Monster gefunden, ich habe monströse Organisationen gefunden." Im Londoner Finanzzentrum "The City" könne man in fünf Minuten gekündigt werden, deshalb könne man von Bankern auch keine langfristigen Perspektiven erwarten, sagte der Journalist. "Man hat dieses Damoklesschwert über seinem Kopf."
Auf seinen Aufruf meldeten sich 200 Banker
Luyendijk hatte in der britischen Zeitung "Guardian" einen Aufruf veröffentlicht, dass er mit Bankern direkt ins Gespräch kommen wolle, ohne die Kommunikationsabteilungen der Finanzinstitute zu kontaktieren. Der Journalist bot die Möglichkeit an, offen zu sprechen und Anonymität zu garantieren. Zur Überraschung seiner britischen Kollegen meldeten sich zahlreiche interessierte Banker bei ihm. "Insgesamt habe ich etwa mit 200 Bankangestellten gesprochen."
Arbeiten in einer "Blase"
Aus diesen Interviews habe sich das Bild von einem System ergeben, dass selbst weder stabil noch produktiv sei, sagte Luyendijk. "Ich habe sehr wenige glückliche Menschen getroffen." Vor allem jüngere Banker arbeiteten 80 bis 90 Stunden in der Woche, sodass sie kein soziales Leben mehr hätten. "Dann wird es ja sehr schwer, nicht in eine Art Blase hinein gezogen zu werden und langsam den moralischen Kompass und moralisches Bewusstsein zu verlieren."

Das Interview im Wortlaut:
!Nana Brink:!! Fast sieben Jahre ist es her, dass der Zusammenbruch der amerikanischen Bank Lehman Brothers eine internationale Finanzkrise nie dagewesenen Ausmaßes auslöste und den Steuerzahler – nicht zuletzt dem deutschen – eine Stange Geld kostete, weil die Banken in Serie gerettet werden mussten. Erst nach und nach haben wir ja gelernt, mit welchen Summen und auch mit welcher Kaltschnäuzigkeit und Unverantwortlichkeit an der Wallstreet in New York oder dem Finanzdistrikt in London mit Milliarden jongliert wurde.
Wir haben Begriffe gelernt wie "too big to fail" oder "Hedgefonds", und spätestens seitdem gibt es auch ein neues Feindbild, den Banker. Ist das gerecht? Der holländische Autor Joris Luyendijk war lange Nahost-Korrespondent, ist dann 2011 nach London gezogen und hat für den "Guardian" aus der Bankenwelt berichtet. Und daraus ist sein neues Buch entstanden: "Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt". Und das Buch erscheint morgen. Guten Morgen!
Joris Luyendijk: Guten Morgen!
Brink: Ich nehme mal den Titel, "Eine Spezies wird besichtigt". Was ist denn das für eine Spezies, sind die anders als andere Menschen?
!Luyendijk:!! Ein bisschen. Ich glaube, sie haben einen sehr starke Geltungssucht und Geltungsdrang, und das vereint alle Banker. Aber sie sind wie wir: Die wollen ja leben, die wollen ja ein Haus kaufen und ihren Kindern einen guten Unterricht geben. Aber die leben ja in einem System voller falscher Anreize. Die schaffen viele Möglichkeiten, um ohne das Gesetz zu brechen sehr viel Geld zu verdienen. Und ja: Die Banker sind wie wir, die machen das!
Brink: Nach dem Motto, das ist so ein ganz menschlicher Zug: Wenn man darf, macht man das auch!
Kündigung in fünf Minuten
!Luyendijk:!! Ja! Und das ist das Problem. Ich habe diese Untersuchung angefangen und hatte erwartet, Monster zu treffen. Denn das ist immer, was man sieht in Hollywood-Filmen und auch in Büchern wie "American Psycho", das sind die klischeehaften Bilder. Aber ich habe eigentlich keine Monster gefunden. Ich habe monströse Organisationen gefunden!
Brink: Also, ich muss mich – weil Sie diesen Film ansprechen –, ich muss mich auch immer so an Tom Wolfes Buch erinnern, "Fegefeuer der Eitelkeiten", da wird ja auch dieser Bankertypus beschrieben. Was haben Sie denn erlebt, was ist das für eine Arbeitsatmosphäre, in die Sie ja mit vielen Gesprächen da auch hineingucken konnten?
!Luyendijk:!! Es gibt einen sehr wichtigen Unterschied zwischen der „City" und Ländern wie Holland und Deutschland, und der ist, dass man in der „City" in fünf Minuten gekündigt werden kann.
Brink: Also im Finanzdistrikt in London, das nennt man die „City".
!Luyendijk:!! Ja. Also, man hat dieses Damoklesschwert über seinen Kopf. Wie können wir dann erwarten, dass diese Angestellten eine langfristige Perspektive nehmen, wenn sie selbst in fünf Minuten rausgeschmissen können?
Und ich habe sehr wenige glückliche Menschen getroffen
Brink: Also, dieses „Hire-und-fire"-Prinzip in der Bank. Ist das dann eigentlich das System der Bank, das faul ist? Wie funktioniert das, wie haben Sie das recherchiert?
!Luyendijk:!! Ich habe einen Artikel geschrieben im "Guardian" und habe gesagt: Liebe Bank, ich weiß, dass es Ihnen nicht erlaubt ist, mit Journalisten zu sprechen ohne jemand von PR und Communications dabei. Und dann ist es natürlich völlig nutzlos zu sprechen, denn es wird nur PR- und Communications-Parolen geben. Also, ich biete Ihnen die Möglichkeit, offen mit mir zu sprechen, und ich werde Ihre Anonymität garantieren! Und die Engländer beim "Guardian" haben alle gelacht. Sie haben gesagt, ah, du dummer Holländer, niemand wird mit dir sprechen!
Aber nach einer halben Stunde gab es schon einen Freiwilligen und dann mehr und mehr und mehr. Und insgesamt habe ich etwa mit 200 Bankangestellten gesprochen und es hat sich dann ein Bild gezeigt von einem System, das selbst wirklich nicht stabil ist und auch nicht produktiv. Und ich habe sehr wenige glückliche Menschen getroffen. Und man muss so viel arbeiten!
Vor allem die Jüngeren, die „Juniors", die ja etwa zwischen 25 und 30 sind, die arbeiten ja 80, 90 Stunden pro Woche und haben überhaupt kein soziales Leben! Und dann wird es ja sehr schwer, nicht in eine Art „Blase" hineingezogen zu werden und langsam ihren moralischen Kompass, ihr moralisches Bewusstsein zu verlieren.
Inkompetenz ist ernster als Gier
Brink: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben – das fand ich sehr bemerkenswert –, wir sind 2008 nur haarscharf an einer unvorstellbaren Katastrophe vorbeigeschrammt, was Al Quaida 2001 nicht annähernd gelungen war, hätte der Finanzsektor 2008 um ein Haar geschafft, nämlich die tiefgreifende Zerrüttung unserer Gesellschaft.
!Luyendijk:!! Ja.
Brink: Wer war denn nun schuld an dieser Krise? Dann ist es doch das Bankensystem, also die Banken, die nicht funktionieren?
!Luyendijk:!! Ja, es war Inkompetenz. Es ist ja viel ernster als Gier. Denn Gier ist etwas rationales, ich sehe etwas und nehme es. Aber Inkompetenz - man war sich überhaupt nicht bewusst der Gefahren im System. Denn man nahm Risiken, und wenn es gut läuft, bekommt der Banker sehr viel Geld, aber wenn es schief läuft, bezahlt jemand anderes die Rechnung. Also die Anleger oder der Steuerzahler oder jemand anderes.
Und das ist natürlich, die Essenz des kapitalistischen Systems ist, dass derjenige, der die Risiken nimmt, auch derjenige ist, der die Risiken trägt. Und das ist jetzt das tief liegende Problem mit der Finanzwelt: Die Banken profitieren von den Risiken, die gut laufen, aber sie bezahlen nicht den Preis für die Risiken, die schief gehen.
Kann Globalisierung überhaupt demokratisch bleiben?
Brink: Und die Gretchenfrage ist ja jetzt auch: Wird sich das wiederholen? Kann man das verhindern?
!Luyendijk:!! Ich glaube, die Lektion von 2008 war nicht, dass wir versuchen müssen, einen neuen Sturz zu vermeiden. Denn das ist unvermeidlich, es gibt immer dumme Menschen. Wir müssen ein System entwerfen oder finden, in dem eine Bank pleitegehen kann, ohne dass das ganze System zusammenbricht. Und das haben wir noch nie gefunden. Und deswegen kann es noch immer geschehen und ...
Brink: Ja, will man das überhaupt finden?
!Luyendijk:!! Das ist so schwer! Denn man muss die Banker ja viel kleiner machen. Ein Land kann das nicht allein, dann zum Beispiel sagt hier die englische Regierung, wir werden die Banker kleiner machen, dann sagen die Banker, ja, aber dann fahren wir ab, dann gehen wir nach Frankfurt oder nach Zürich oder nach Hongkong! Also, die Banken sind jetzt stärker als die Regierungen. Und deswegen können wir uns fragen: Kann Globalisierung überhaupt demokratisch bleiben, wenn Banken stärker geworden sind? Und auch Ölfirmen und ... Es gibt auch andere Industrien, die stärker geworden sind als demokratische Regierungen.
Brink: Der holländische Journalist Joris Luyendijk, sein neues Buch entstanden "Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt". Und das erscheint morgen bei Klett-Cotta. Schönen Dank für das Gespräch!

Joris Luyendijk: Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt
Klett-Cotta-Verlag
19,95 Euro

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