Finanzkrise

Der Fehler im System

Euro und US-Dollar
Braucht unser Geldsystem eine grundlegende Reform? © picture alliance / dpa / Foto: Kay Nietfeld
Thomas Mayer im Gespräch mit Moderator Korbinian Frenzel · 14.11.2014
Der Investmentmanager Thomas Mayer fordert eine Geldreform, um die Finanzkrise zu bewältigen. Der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank widmet sich dieser These in seinem neuen Buch "Die neue Ordnung des Geldes".
Für den früheren Chefvolkswirt der Deutschen Bank stellt sich nach seinen persönlichen Erfahrungen mit der Internetblase 2000 und der großen Finanzkrise seit 2007 zunehmend die Frage, ob es da nicht ein systemisches Problem gibt. "Es ist ungefähr so, wie wenn Sie Flugingenieur sind und es stürzen auf einmal mehrere Flugzeuge ab, an denen sie mit konstruiert haben und Sie müssen sich fragen, waren das wirklich nur Pilotenfehler oder steckt da nicht ein Fehler in der Konstruktion selbst", sagte Mayer im Deutschlandradio Kultur.
Es gebe heute zwei grundlegend verschiedene Auffassungen von Geld, die nicht zusammenpassten. Es werde einmal als Tauschmittel definiert und andererseits als Finanzmittel und damit als Maß für Schuld. Auf diese Weise könne der Staat sich selbst verschulden. "Es ist ein Problem, weil die Auffassung von Geld als Finanzinstrument, die sich durch die Geschichte zieht, dazu geführt hat, dass eben das Geld zur Finanzierung von nicht-nachhaltigen Aktivitäten missbraucht wurde", sagte Mayer.
Ihm schwebe vor, dass der Bürger dank einer Geldreform ein Konto habe, dass vollständig abgesichert sei, weil bei einer Zentralbank der Gegenwert hinterlegt werde. "Er müsste sich nicht mehr sorgen, dass seine Bank kaputt ginge." Auch in einer Finanzkrise bliebe das Geld erhalten. Stattdessen befürchte er, sagte Mayer, dass wir von einem Systemwechsel nur eine Krise entfernt seien. "Wir sind noch gar nicht aus der Krise raus, wir sind immer noch drin", sagte er. Die derzeitige Niedrigzinspolitik sei auf Dauer nicht durchzuhalten.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es sind immerhin mittlerweile 20 und nicht nur sieben respektive acht, die das Steuerrad für die globale Wirtschaft in die Hand nehmen. Die G20 treffen sich, die Führer der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt, in Australien. Und dort versuchen sie einmal mehr, die Weltkonjunktur anzutreiben, ohne sie dabei in neue Blasen oder Krisen zu stürzen. Man kann von einer Sache ausgehen: Es werden keine revolutionären Entscheidungen sein, die auf dem Gipfel fallen. Dabei ist es genau das, was wir bräuchten – sagt Thomas Mayer, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Gerade ist sein Buch erschienen, "Die neue Ordnung des Geldes. Warum wir eine Geldreform brauchen". Herr Mayer, guten Morgen!
Thomas Mayer: Guten Tag, Herr Frenzel!
Frenzel: Die Deutsche Bank war eine Station in Ihrem Leben, Goldman Sachs, die Investmentbank, eine andere. Sie kennen die alte Ordnung des Geldes also nur zu gut. Was haben Sie da erlebt, dass Sie sich so von ihr abwenden?
Mayer: Hören Sie, ich war in der Mitte von zwei wichtigen Ereignissen auf den Finanzmärkten. Das erste war das Platzen der Internetblase im Jahr 2000 und das zweite war die große Finanzkrise, die uns seit 2007 begleitet. Wenn man das miterlebt, muss man sich fragen: Lag es nur an den Fehlentscheidungen Einzelner oder gibt es da ein systemisches Problem? Es ist ungefähr so, wie wenn Sie Flugingenieur sind und es stürzen auf einmal mehrere Flugzeuge ab, an denen Sie mit konstruiert haben, und Sie müssen sich fragen: Waren das wirklich nur Pilotenfehler oder habe ich nicht einen Fehler gemacht, steckt da nicht ein Fehler in der Konstruktion selbst?
Frenzel: Sie richten jetzt Ihr Hauptaugenmerk auf das Geld. Dabei hätte ich jetzt erst mal gedacht, Geld ist doch eine einfache Sache, man hat es entweder oder man hat es nicht. Wenn man keins hat, dann leiht man es sich für Zinsen. Warum muss man am Geld etwas ändern?
Tauschmittel oder Finanzmittel?
Mayer: Der Begriff des Geldes ist nicht so einfach, wie man sich das normalerweise vorstellt. Was ist denn Geld überhaupt? Dazu gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen in der Geschichte. Auf der einen Seite wurde Geld definiert als Tauschmittel, also eine Ware, die bestimmte Eigenschaften hat, die sich dann gut zum Tausch von anderen Waren gegen wieder andere Waren eignete. Das ist der eine Strang in der Auffassung von Geld, der sich durch die Geschichte zieht. Die andere Auffassung, eine völlig andere Auffassung ist, dass Geld eigentlich ein Finanzmittel ist, ein Maß für Schuld, das dann gebraucht wird, wenn Gesellschaften größer und anonymer werden. Damit ist es aber auch letztendlich eine Maßeinheit für die Schuld, die der Staat machen kann. Und wenn der Staat diese Maßeinheit festlegt und ausgibt, kann er sich natürlich mit dieser Einheit selbst verschulden und kann dadurch selbst sich Mittel erwerben. Das sind zwei völlig unterschiedliche Konzeptionen von Geld, über die wir eigentlich im täglichen Leben nicht nachdenken.
Frenzel: Und warum ist aber das nun gerade ein Problem? Beides, was Sie beschrieben haben, finde ich erst mal komplett nachvollziehbar und in sich logisch.
Mayer: Es ist ein Problem, meiner Meinung nach, meiner Recherchen nach, weil die Auffassung von Geld als Finanzinstrument, die sich durch die Geschichte zieht, dazu geführt hat, dass eben das Geld zur Finanzierung von nicht nachhaltigen Aktivitäten missbraucht wurde.
Frenzel: Herr Mayer, was Sie vorschlagen jetzt, das fällt unter das Stichwort Vollgeldsystem. Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, muss ich darunter verstehen: Wir müssen eigentlich alle privaten Hände aus diesem Geldgeschäft herausnehmen und es in die Hand der Öffentlichkeit geben, in die Hand der Staaten?
Mayer: Es ist interessant, dass Sie das sagen. Das sagen manche Leute, die durchaus auch Vollgeld fordern. Ich möchte das Gegenteil. Ich gehe mit diesen Leuten so weit übereinander, dass ich sage, die öffentlich-private Partnerschaft der Geldproduktion durch die Banken wollen wir abschaffen. Dann sagen aber diese Leute, wir wollen deshalb das Geld verstaatlichen. Also, ich schaffe die öffentlich-private Partnerschaft ab und verstaatliche das Geld. Das heißt also irgendwie, gewissermaßen wieder zurück zu den Anfängen. Ich sage: Nein, lasst uns die öffentlich-private Partnerschaft zur Produktion des Geldes abschaffen und das Geld privatisieren!
Frenzel: Herr Mayer, wenn ich Sie gerade fragen darf: Was bedeutet das ganz konkret, wie muss man sich das vorstellen, was würde sich im Vergleich zu heute ändern für einen ganz normalen Bürger oder auch für die Wirtschaft?
Ohne Sorge um das Geld auf dem Konto
Mayer: Der Bürger hätte ein Konto, das vollständig abgesichert ist durch die Hinterlegung des Geldes bei einer Zentralbank. Das heißt also, er müsste sich nicht mehr sorgen, dass seine Bank kaputtginge, in einer Finanzkrise ist, das Geld wäre immer da.
Frenzel: Aber das haben ja eigentlich damals Angela Merkel und Finanzminister Steinbrück garantiert. Sie haben gesagt, bis 100.000 – also eine Summe, die für fast alle ja gar nicht erreichbar ist – sind eure Einlagen sicher. Ist das nicht etwas Ähnliches?
Mayer: Das war ein Bluff, fragen Sie den Herrn Steinbrück heute. Das konnten die gar nicht garantieren. Das war auch rechtlich gar nicht abgesichert.
Frenzel: Aber wie könnte denn ein System, das Sie jetzt vorschlagen, das wirklich garantieren? Da müsste das Geld also wirklich da liegen?
Mayer: Das müsste da sein, genau, das ist der Punkt. Das ist der Punkt, es müsste da sein. Also, die Bank ist praktisch nur noch die Verwahranstalt für das Geld, das ganz woanders liegt und ganz woanders geschaffen wird. Das heißt, stellen Sie sich vor, Sie investieren in einen Investmentfonds. Dieser Investmentfonds kauft Ihnen Aktien oder Anleihen. Jetzt geht dieser Investmentfonds pleite, die Aktien und die Anleihen sind ja immer noch da, die gehören ja Ihnen. Nur die Hülle drum herum ist weg. So wäre das mit diesem Vollgeld: Sie haben das Geld auf der Bank, die Bank verwahrt es für Sie, das Geld ist aber wirklich was anderes, das woanders auch geschaffen wird, nicht von der Bank. Die Bank geht pleite, Ihr Geld ist immer noch da, Sie können das immer noch abholen. Nur die Hülle drum herum ist nicht mehr da. Jetzt ist halt die Frage, was ist dieses andere? Und ich sage, dieses andere ist eine private Sache. Das war in der Vergangenheit Gold. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Bankkonto, dieses Bankkonto erlaubt Ihnen den Zugriff auf die entsprechende Menge Gold, die bei der Zentralbank lagert.
Frenzel: Wenn wir jetzt nach Australien schauen zum G20-Gipfel: Was müsste denn passieren, damit so was auf die Agenda kommt? Müssen wir da eine richtig massive Krise erleben?
Niedrigzinspolitik ist auf Dauer nicht durchzuhalten
Mayer: Ich fürchte, dass wir von einem Systemwechsel eine Krise entfernt sind. Jetzt könnte man sagen, na ja, warum sollen wir uns darüber den Kopf zerbrechen? Die letzte Finanzkrise vor der in 2007/08, die war 1929/30. Also, darum können sich doch unsere Kinder und Enkelkinder den Kopf zerbrechen! Na ja! Meine Antwort darauf ist: Wir sind noch gar nicht aus der Krise raus, wir sind immer noch drin. Schauen Sie, diese Niedrigzinspolitik, die wir jetzt haben, die ist ja auf Dauer nicht durchzuhalten, die führt ja selbst wieder zu Nebenwirkungen. Wie Medikamente, die starken Mittel, die andere Nebenwirkungen machen. Diese Niedrigzinspolitik kann ja nicht auf Dauer sein. Wie aber wollen wir diese Niedrigzinspolitik, wie wollen wir da wieder herauskommen, ohne dass uns das Haus umfällt? Deshalb denke ich: Die nächste Finanzkrise ist wahrscheinlich nicht so weit entfernt, wie wir glauben. Deshalb ist es notwendig, über die Statik des Hauses nachzudenken.
Frenzel: Das sagt der Ökonom Thomas Mayer, ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Autor des Buches "Die neue Ordnung des Geldes". Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Mayer: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Thomas Mayer: Die neue Ordnung des Geldes

FinanzBuch Verlag, 256 Seiten, 17,99 Euro

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