Filz und Vetternwirtschaft

Von Frank Überall · 03.12.2008
Korruption gibt es bei der Stadt Köln nicht. Davon waren Verantwortliche Jahrzehnte überzeugt, denn in der Hauptstadt des Klüngels sollte nicht sein, was nicht sein durfte. Anfang Dezember 1998 geschah dann das Unglaubliche: Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchten Büros und Privatwohnungen wegen Korruptionsverdachts im Bauamt.
Sofort wurde ein Ehrenrat eingerichtet, eine mobile Prüfgruppe, ein zentrales Vergabeamt. Wie nachhaltig aber sind diese Kontrollmechanismen? Eine kritische Bestandsaufnahme mit anschaulichen Fallbeispielen und der Frage, wo der Klüngel aufhört und die Korruption anfängt.

Wir sind in einem idyllischen Park mitten in der Kölner Innenstadt. Enten schwimmen über einen Weiher, Menschen gehen spazieren, manche sind auf dem Weg ins benachbarte Ostasiatische Museum. Kaum jemand ahnt, dass hier der Schauplatz von einem der kuriosesten Korruptionsfälle der Kölner Stadtgeschichte ist.

Denn auf dem Spaziergang rund um den imposanten See kommt man auf eine Holzbrücke. Diese Brücke wurde in den 90er-Jahren immer und immer wieder repariert. Angeblich wurden die Holzbohlen mehrfach komplett ausgetauscht. Zumindest hat die Stadt Köln dafür wiederholt bezahlt. Tatsächlich wurden die angeblichen Bauarbeiten gar nicht ausgeführt. Damit sie das duldeten, wurden die Mitarbeiter im städtischen Bauamt geschmiert – mit Bargeld, aber auch mit wertvollen Geschenken und Einladungen ins Bordell. Jahrelang fiel das offenbar niemandem auf – bis vor zehn Jahren die Fahnder anrückten. Mit ihrer groß angelegten Razzia suchten sie nach Beweisen für die Korruption an der Holzbrücke – und sie wurden reichlich fündig. Zuvor war die Stadt Köln nicht mit Bestechung in Verbindung gebracht worden – die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung reagierten völlig überrascht. Josef Breuer, Anti-Korruptionsbeauftragter der Stadt Köln:

"Ja, das muss man leider so sagen. Wir haben nicht daran geglaubt, dass es das gibt und haben am Anfang auch kein Verhältnis gehabt zu den Strafverfolgungsbehörden. Die haben wirklich gegen uns ermittelt, mittlerweile ermitteln wir da zusammen. Da wusste nicht jeder, wer muss jetzt was machen? Sodass auch teilweise falsche Kündigungen ausgesprochen worden sind und man sich viele Fragen zum ersten Mal stellen musste, wo wir mittlerweile eine gewisse Routine entwickelt haben."

Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Bestechung und Bestechlichkeit bei Auftragsvergaben im städtischen Baubereich seit Jahrzehnten Routine waren. Unternehmer trafen sich regelmäßig zu sogenannten Frühstücksrunden in Kölner Cafés.

Bei Brötchen und Kaffee wurden die neusten Aufträge diskutiert – und wer die lukrativen Bauvorhaben realisieren durfte. Jeder der beteiligten Unternehmer war mal an der Reihe, und damit die illegale Absprache nicht auffiel, legte man detailliert fest, wer welche Angebote abgeben sollte. Diese Angebote waren immer überteuert – aber der Wettbewerb wurde durch die morgendlichen Absprachen einfach ausgehebelt. So wurde ausgeschlossen, dass günstigere Konkurrenten auf den Markt kamen. Das System war genau überlegt: Mal war der eine günstiger, mal der andere. Außenstehende, die nicht bei den Unternehmerfrühstücken dabei waren, bekamen konsequent keine städtischen Aufträge aus dem Baubereich. Anfang Dezember 1998 wurden deshalb Dutzende Mitarbeiter der Stadtverwaltung und mehrere Firmenchefs festgenommen, außerdem wurden bei Razzien bergeweise Akten und Computerfestplatten sicher gestellt. Der heutige Generalstaatsanwalt Jürgen Kapischke erinnert sich, dass die Auswertung dieser Beweismittel große Schwierigkeiten mit sich brachte:

"Wir hatten bei der Staatsanwaltschaft ich schätze mal nicht mehr als 50 Computer. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte damals 650 Bedienstete. Allein schon das ist natürlich ein großes Hindernis. Und was der Staat damals an technischer Ausstattung hatte, war manchmal schon sehr bescheiden. Dann waren das Aktenberge. Das Gebäude der Staatsanwaltschaft Köln war damals nicht alt, aber war natürlich für solche Aktenberge nicht eingerichtet. Wo konnten wir die lagern, das war unsere Frage. Wo konnten wir die lagern und sie zugleich greifbar haben?"

Und es wurden immer mehr Akten – denn regelmäßig fanden neue Razzien statt. Kaum war der erste große Korruptionsfall in den Medien bekannt geworden, gab es eine ganze Reihe von Hinweisen aus der Bevölkerung auf ähnliche Verhaltensweisen in anderen städtischen Ämtern. Norbert Wagner, heute Chef der Kölner Kriminalpolizei, war sich schon damals sicher, dass die Affäre um die Holzbrücke nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs war:

"Es war damals bereits zu befürchten, und auch absehbar. Weil eben, vor zehn Jahren war Korruption, auch Korruption unter Beteiligung öffentlicher Bediensteter ein Tabuthema. Und die Strafverfolgungsbehörden haben sich damals eben teilweise in ein Wespennest hinein gewagt."

Die Stadt Köln bemühte zunächst die Argumentation der berühmten Einzelfälle, von einem strukturellen Problem mangelnder Kontrolle wollte man nichts wissen. Erst Monate später wurde unter dem Druck der öffentlichen Diskussion reagiert: Man führte einen Verhaltenskodex ein, setzte konsequenter auf das Vier-Augen-Prinzip bei Auftragsvergaben und überarbeitete die Vergaberichtlinien. Neu geschaffen wurde auch die Kontrolle städtischer Bauarbeiten vor Ort. Denn immer wieder hatte die Stadt Köln hohe Preise für minderwertige Baumaterialien bezahlt – und wenn bei den entsprechenden Häusern einmal der Putz aufgetragen war, konnte man die Verfehlungen kaum noch feststellen. Der städtische Anti-Korruptionsbeauftragte Josef Breuer beschreibt, wie ein solcher Fahnder die überraschenden Überprüfungen organisiert:

"Naja, er kennt den Vorgang bereits aus dem Stadium der Vergabe. In der Regel sogar, bei größeren Maßnahmen, aus dem Stadium der Planung. Hat selber möglicherweise gesagt, ich stimme der Planung so nicht zu sondern hätte gerne was anderes, ein anderes Material. Und wenn dann die Arbeiten zur Ausführung kommen, geht der vor Ort gucken, hält man sich daran, wird so gebaut, wie es im Leistungsverzeichnis vorgesehen war."

"Kann ich als Tiefbau- oder Hochbauingenieur feststellen, dass da alles ordnungsgemäß passiert, oder stelle ich einfach fest, wenn ich da jetzt nicht einschreite, dass möglicherweise hinter der Verkleidung nachher Mängel entstehen, die nicht mehr zu erkennen sind. Von daher ist es nach wie vor sinnvoll, während der Bauausführung sich ein Bild zu machen."

Neben Frankfurt am Main war Köln die Stadt, die zur Jahrtausendwende die meisten Korruptionsfälle im Baubereich aufzudecken hatte. Die meisten Schlagzeilen machte dabei der so genannte Kölner Müllskandal. Drei Prozent der Auftragssumme des Milliardenprojekts zum Bau einer Müllverbrennungsanlage sind als Schwarzgelder in dunkle Kanäle geflossen. Teilweise wurden sie als Schmiergeld an beteiligte Manager und Bedienstete der Stadt ausgezahlt, teilweise landeten sie in der Kasse der Kölner SPD. Die Politiker sollen von den Firmen, die am Bau der Anlage beteiligt waren, so genannte Dankeschön-Spenden kassiert haben. Das heißt, sie erhielten die Gelder nicht vor der politischen Zustimmung zu dem Projekt, denn das hätte die Justiz ja als Bestechung werten können – nein, sie kassierten erst nach der Realisierung, und man hoffte so, die Korruptionsvorschriften wirksam umgehen zu können. Weil das jahrelang gut gegangen war, sieht Rainer Zinkel, der in einer Initiative gegen Müllverbrennung aktiv ist, den Müll- und Spendenskandal inzwischen sehr differenziert:

"Ich denke, da sind vielleicht Leute auch rein gerutscht, die sich gar nicht große Gedanken gemacht haben, die einfach gesagt haben, ach, wir haben da Beziehungen, das wird schon in Ordnung sein. Die sich da auch gar nicht mehr genau schlau gemacht haben. Aber die Leute müssen natürlich auch dafür selbst die Verantwortung übernehmen, dass ihnen das passiert ist und dass auf einmal die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelte."

Noch immer ist der Verbleib von Millionen-Schmiergeldern aus dem Kölner Müllskandal nicht vollends aufgeklärt – und noch immer streiten sich die Experten darüber, ob die Verbrennungsanlage durch Bestechungs-Zahlungen zu groß geplant und gebaut wurde. Überhaupt sind nicht nur kleine Auftragsvergaben, sondern auch Großprojekte in Köln nach wie vor heiße Eisen. Den Vorwurf der Korruption mag sich zwar niemand gefallen lassen, umfassende Transparenz gibt es bei Entscheidungen im Kölner Rathaus trotzdem häufig nicht. Der Präsident der Kölner Handwerkskammer, Franz-Josef Knieps, erklärt das mit dem berüchtigten Kölner Klüngel:

"Die bürokratischen Hemmnisse und die bürokratischen Hürden, die wir haben, sind manchmal so hoch, dass eben Entscheidungen, die wichtig und wünschenswert sind, einfach zu lange dauern. Und wenn ich die dadurch beschleunigen kann, wunderbar!"

Der Begriff des Klüngel umfasst eben nicht nur die handfeste Korruption, nein, er hat auch positive Seiten. Gesprächsrunden in Hinterzimmern haben als Möglichkeit der ruhigen Sondierung und Absprache nicht nur in der Kölner Stadtpolitik ihren festen Platz. Hier haben diese Gespräche aber eine Selbstverständlichkeit und eine Tradition, die besonders fest im gesellschaftlichen Leben verankert sind.

Zum Beispiel auf den zahllosen Karnevalsveranstaltungen in der Domstadt. So manches wird hier in bierseliger Laune verabredet, zunächst ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Markus Ritterbach, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval:

"Klüngel ist für mich gar nicht das Böse, sondern es ist für mich das Herzliche, es ist eigentlich was Liebes, was Nettes, es ist so was – wie Adenauer es mal tatsächlich formuliert hat, man kennt sich und man hilft sich. Aber in keinster Weise kriminell, in keinster Weiser mit bösen Absichten. Ich glaube, die Basis ist da eher: Es ist schöner mit jemand zusammen zu arbeiten, den man kennt. Den man einschätzen gelernt hat und wo es einfach mehr Spaß macht."

Jede Klüngel-Vereinbarung im Bereich der Politik muss sich später jedoch der öffentlichen Diskussion und der demokratischen Abstimmung stellen. Gerade bei Großprojekten wurde dieser Weg von den Volksvertretern aber gerne abgekürzt: Entscheidungen wurden mit vorgeschobenen Argumenten als besonders dringlich gekennzeichnet, so dass der Diskurs angesichts des Zeitdrucks nahezu ausblieb. Kein Wunder, dass das auf Außenstehende einen befremdlichen Eindruck macht. Staatsanwalt Jürgen Kapischke, der ursprünglich aus Schwaben kommt:

"Die Kölner Kommunalpolitik ist mir ein Rätsel, da bin ich ganz ehrlich."

Um dieses Rätsel in seinen Einzelfällen immer wieder aufs Neue zu lösen, bedarf es viel Personal. Bei der Stadt, bei der Polizei, bei der Staatsanwaltschaft – und nicht zuletzt vor Gericht.

So mussten sich an der Sicherheitsschleuse im Kölner Landgericht etliche Angeklagte aus Politik und Verwaltung durchsuchen lassen. Korruptionsprozesse gehören hier inzwischen zum Alltag. Weil es aber so wenige spezialisierte Richter dafür gibt, dauert die Terminierung oft monate- oder jahrelang. Die Beschuldigten in den Spendenskandalen von SPD und CDU in Köln sind zum Beispiel seit Jahren angeklagt, wann ihr Prozess stattfinden kann, ist aber völlig offen. Die Justiz ist offenbar noch ausgelegt auf frühere Zeiten, als Korruptionsbekämpfung keinen so hohen Stellenwert hatte. So ist es heute fast unvorstellbar, dass anonymen Strafanzeigen damals nicht einmal nachgegangen wurde. Generalstaatsanwalt Jürgen Kapischke:

"Man hat also – ich sag mal vor 98, man kann das nicht genau auf’s Jahr festlegen, anonyme Anzeigen hoch misstrauisch betrachtet. Weil man sich eben fragte, warum zeigt jemand etwas anonym an? Da kann doch eigentlich nichts dran sein. Soll ich irgendein Verfahren, vielleicht auch eine Durchsuchung anschließen, bei einer anonymen Anzeige, bei der ich nicht einmal weiß, von wem sie ist? Es gibt ja Beispiele, da hat man gesehen, es fängt eben mit anonymen Anzeigen an. Und warum, das wissen wir auch? Weil die Leute Angst haben, vielleicht nicht Angst um ihr Leben, aber Angst um ihren Job."

Um auch anonymen Hinweisen konsequent nachzugehen, hat die Kölner Stadtverwaltung vor fast zehn Jahren einen Anti-Korruptionsbeauftragten eingesetzt. Er kann von jedem Mitarbeiter, aber auch von jedem Bürger eingeschaltet werden. Wenn einem Bediensteten Bestechlichkeit vorgeworfen wird, prüft der Anti-Korruptionsbeauftragte das zunächst intern und diskret. Sollte sich der Verdacht erhärten, muss er Polizei und Staatsanwaltschaft einschalten. Das muss er nach jüngsten Gesetzesänderungen in Nordrhein-Westfalen sogar. Norbert Wagner, Kölner Kripo-Chef:

"Die Behörden, alle, egal welche Behörden, sind verpflichtet, frühzeitig das Landeskriminalamt zu informieren. Und auf örtlicher Ebene erfolgt auch ein frühzeitiger Austausch in Richtung der Staatsanwaltschaft oder des Polizeipräsidiums."

Kritiker fordern, um dieser Aufgabe umfassend nachzukommen, müsste es viel mehr Anti-Korruptionsbeauftragte geben: Bei der Kölner Stadtverwaltung zum Beispiel möglichst in jedem Dezernat, und auch in den städtischen Gesellschaften. Doch in finanziell schlechten Zeiten scheut man sich vor derart hohen Ausgaben. Der SPD-Politiker Axel Kaske, Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, fordert trotzdem, dass weiterhin stark in diesen Bereich investiert wird:

"Was ist mir lieber? Ich verliere Millionen durch Korruption – oder ich setze an einer Stelle zwei oder drei Mitarbeiter zu, die das kontrollieren, und ich gewinne vielleicht sogar noch dadurch, in Form von vernünftig kontrollierten Ausschreibungen und dergleichen mehr."

Auch wird es bei der Stadt Köln als immer wichtiger angesehen, die Mitarbeiter konsequenter in Sachen Korruptions-Bekämpfung zu unterrichten. Denn viele wissen gar nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn ihnen ein Unternehmer etwas schenkt – erst vielleicht nur einen billigen Kugelschreiber, und später teuren Wein oder gar luxuriöse Urlaubsreisen. Berater Klaus Scholz, der auch Beamte und Angestellte der Kölner Stadtverwaltung geschult hat:

"Hier habe ich jetzt einen Straftatbestand vor mir, der mich meinen Job kosten kann oder drei bis fünf Jahre Gefängnis, der wird keine Sekunde überlegen, der schmeißt ihn raus, holt einen Zeugen dazu und macht eine Anzeige. Da liegen die Fehler der Verwaltung, dass nicht mehr geschult wird, nicht mehr aufgeklärt wird. Die eigenen Leute hat man damit quasi hilflos gemacht."

Es sind eben nicht immer die bewusst korrupten Beamten, die strafbar werden – manchmal sind es auch Bedienstete, die von Unternehmern angefüttert werden, wie es in der kriminologischen Fachsprache heißt. Das bedeutet, man wird mit immer größeren Geschenken angelockt, zunächst ohne dass eine Gegenleistung gefordert wird. Erst nach einiger Zeit, wenn man schon gar nicht mehr zugeben kann, etwas Wertvolles angenommen zu haben, ohne bestraft zu werden, beginnt die eigentliche Bestechung. Unternehmen fordern dann zum Beispiel Baugenehmigungen, die eigentlich gar nicht erteilt werden dürften. Solche Verbindungen, die zum Teil über Jahre wachsen, sind von außen schwierig nachzuvollziehen. Das weiß auch Rüdiger Thust vom Bund Deutscher Kriminalbeamter in Köln:

"Selbstverständlich muss Polizei auch schauen, was ist letztendlich Input, Output, wie viel Personal stecke ich in welche Bereiche und welche Ergebnisse letztendlich produziere ich. Und wenn wir feststellen, dass im Bereich der Korruptionsbekämpfung wirklich viele Urteile nach wie vor ausgehandelt werden, teilweise Verfahren eingestellt werden, dann trägt das nicht dazu bei, dass Polizei oder auch Politik den Fokus sehr stark auch im personellen Bereich in diese Bereiche kriminalpolizeilicher Arbeit investiert."

Und die Kölner Ermittler haben bei ihrer Arbeit auch nicht immer auf die richtigen Fälle gesetzt. Großen Streit gab es zum Beispiel um die Frage, ob Kommunalpolitiker mit den vergleichsweise laschen gesetzlichen Regeln verfolgt werden müssen, die bei der so genannten Abgeordnetenbestechung gelten, oder mit den strengeren Vorschriften für Amtsträger. Die Kölner Staatsanwaltschaft sah Politiker als Amtsträger, das bedeutet, dass sie ähnlich behandelt würden wie Beamte. Der Bundesgerichtshof lehnte das zwar prinzipiell ab. Aber wenn Politiker in Aufsichtsräten öffentlicher Betriebe – zum Beispiel in der Gas- und Wasserwirtschaft – säßen, seien die Amtsträger. Die Folge dieser Festlegung war eine Welle von Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer an zu luxuriösen Aufsichtsratsreisen, die bundesweit Beachtung fand. Aber die Kölner Ermittler verfolgten auch Politiker, die zu Weihnachten Geschenkkörbe der städtischen Abfallwirtschaftsbetriebe mit Lebensmitteln angenommen hatten. Das ist für Generalstaatsanwalt Jürgen Kapischke ein Negativbeispiel einer Ermittlung:

"Das sage ich heute ganz ehrlich: Aus der Rückschau war sicherlich nicht alles ganz richtig. Wir haben schon manchmal, ich nehme dieses Wort, überzogen."

In den weitaus meisten Fällen lagen die Fahnder mit ihrem Verdacht aber richtig. Etwa zwei Drittel der mehr als Hundert Beschuldigten in den diversen Kölner Korruptionsverfahren wurden sanktioniert. Häufig wurden die Verfahren dabei gegen Zahlung einer Geldauflage zu den Akten gelegt – was der Staatsanwaltschaft in den Medien den Ruf als so genannte Einstellungsbehörde einbrachte. Staatsanwalt Kapischke verteidigt das Vorgehen mit dem Hinweis auf die bloße Vielzahl der bearbeiteten Fälle:

"Wir haben nur damals gesehen, dass sich eben manche Sitten, um das positiv zu sagen, eingeschliffen haben, und wir haben die Hoffnung gehabt, dass das auf diese Art und Weise auch geändert werden könnte. Wir haben bei sehr vielen betroffenen Personen auch immer mehr, am Anfang war das schwierig, Einsicht gesehen, so dass wir der Meinung waren, strafrechtliche Verurteilung mit einem Eintrag ins Zentralregister, der bedarf es nicht, und dann eine Einstellung gegen Geldauflage, die eben nicht eingetragen wird."

Außerdem wird versucht, den durch die Korruptionsfälle entstandenen Schaden festzustellen – und dieser Schaden soll dann durch die Beschuldigten wieder ausgeglichen werden. Und das, wohl gemerkt, zusätzlich zum strafrechtlichen Verfahren. Denn vor den großen Razzien Ende 1998 war es in Köln durchaus üblich, dass aufgefallene Bestechungsfälle intern abgewickelt wurden. Das heißt beispielsweise, der Unternehmer besserte die bei Bauprojekten festgestellten Mängel nach, und man forschte nicht weiter, ob womöglich Mitarbeiter der Verwaltung bestochen wurden. Josef Breuer, Anti-Korruptionsbeauftragter der Stadt Köln:

"Nee, das wäre heute nicht mehr denkbar. Also zum einen habe ich selber ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden, zum anderen sieht jetzt das Korruptionsbekämpfungsgesetz die Pflicht vor, solche Fälle zu melden. Wir haben aber auch schon vorher genau aus dem Fall gelernt, und der Rat hat gesagt, liebe Verwaltung, so bitte nicht! Wenn so ein Verdacht aufkommt, bitte strafrechtlich verfolgen."

So bekommen Polizei und Justiz in schöner Regelmäßigkeit neue Fälle auf den Tisch. Alleine in den letzten Wochen wurden wieder Unregelmäßigkeiten bei der Volkshochschule, im Grünflächenamt oder bei der Zulassungsstelle für Autos in Köln aufgedeckt. Nicht immer lassen sich die Hintergründe vollends aufklären – denn bei Korruptionsdelikten gilt eine Verjährungsfrist von nur fünf Jahren. In dieser kurzen Zeit die zum Teil über Jahre im Geheimen aufgebauten Netzwerke nachzuvollziehen, fällt den Fahndern bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht leicht. Und wenn ihnen das mal gelingt, gibt es gerade für Politiker oft milde Strafen. Ein Umstand, der für die damit befassten Kripo-Kommissare kaum motivierend ist. Rüdiger Thust:

"Dann können Sie sich vorstellen, dass Kollegen dann sagen: Wofür mache ich das überhaupt. Völlig klar. Völlig normale Reaktion."

Oft ist es nämlich gar nicht so einfach, handfeste Korruption von bürokratischer Schlamperei zu unterscheiden. Denn zum Beispiel viel Geld für die Sanierung eines Bauwerks auszugeben, ohne dass tatsächlich etwas Sinnvolles gemacht wird, das geht leider auch ohne Schmiergelder: Nachdem die erwähnte Holzbrücke an einem Weiher in der Kölner Innenstadt durch Korruption an den Rand der Zerstörung gebracht wurde, versucht man seit zehn Jahren, sie wirklich zu sanieren. Dabei werden immer wieder neue, teure Gutachten vergeben, und die Experten in der Stadtverwaltung können sich über den richtigen Weg zur Instandsetzung einfach nicht einigen – dauerhaft gesichert ist das Bauwerk aber immer noch nicht.