Filmstar mal ganz uneitel

Von Waltraud Tschirner · 10.05.2011
Meist gibt Henry Hübchen den gewitzten, gaunerhaften Schelm. In "Polnische Ostern" erleben wir ihn jedoch als traurigen alten Grantler mit Windjacke und Schiebermütze, der versucht, seine Enkeltochter zurückzubekommen.
Das wäre ihm nicht im Albtraum eingefallen, dass er, Werner Grabosch, Bäckermeister aus Rendsburg, irgendwann einmal zu Ostern im polnischen Wallfahrtsort Czestochowa stehen und den Herrgott um Hilfe bitten würde. Denn nach dem Unfalltod seiner Tochter Kati hat nun das Schicksal erneut zugeschlagen:

Filmszene:
"Herr Grabosch, es tut mir wirklich sehr leid, aber nach reiflicher Prüfung sind die polnischen Kollegen und ich der Meinung, dass Mathilda bei ihrem Vater am besten aufgehoben ist."
"Das darf doch nicht wahr sein! Ihr wollt meine Mathilde diesem Typen geben?"
"Es tut mir leid, aber ich bin mir sicher, dass das in Katis Sinne ist."
"Du hast doch keine Ahnung, Melanie! Kati hätte Mathilda niemals diesem Polen anvertraut."

Henry Hübchen also spielt diesen Werner Grabosch, und auch der Schauspieler hätte wohl noch kürzlich an einen Albtraum gedacht, wenn man ihm das Plakat seines neuesten Kinofilms hingehalten hätte: Hübchen – sonst doch eher der Kerl, charismatisch, gut aussehend, wortgewandt, gewitzt, einer, um den sich die Welt dreht, und jetzt steht er da mit merkwürdiger Windjacke, unvorteilhafter Schiebermütze und traurig-leerem Blick. Meine Güte, da hat er ja jede Eitelkeit abgelegt, denkt man, aber genauso wollte er aussehen als Grabosch – und die Konturen seiner Figur betrachtet er als "Chefsache":

Henry Hübchen: "Nee, da mach ich keine Kompromisse, ich mach das, was ich glaube, was richtig ist. Da bin ich sozusagen nicht weisungsgebunden ..."

Was aber nicht heißen soll, dass er am Set generell ein schwieriger Partner ist:

"Nö, ich bin überhaupt nicht kompliziert, bin im Moment total einfach."
Zum Glück habe die Chemie mit Ziemnicki gestimmt, denn natürlich braucht es ein paar Voraussetzungen, die stimmen müssen – ein Denken in ähnlichen Kategorien, einen ähnlichen Blick auf die Welt, einen ähnlichen Humor vielleicht ...

Filmszene:
"Opa sagt, die Polen klauen."
"So hab ich das nicht gesagt!"
"Polnischer Triathlon."
"Was ist das – polnischer Triathlon?"
"Zu Fuß zum Freibad, dort schwimmen, dann mit'm Fahrrad wieder zurück."

So einen verknöcherten alten Mann habe er jetzt zum ersten Mal gespielt, sagt Henry Hübchen, und das Witzige daran ist: Seine Filmfigur ist 64 – genauso alt wie er. Aber das "gefühlte Alter" weicht in beiden Fällen weit davon ab. Hübchen kleidet sich ganz anders, hat eine andere Körpersprache und wirkt als einstiger Surfmeister und Rockkomponist sowieso irgendwie jung. Mit einer gewissen Sorge blickt er auf die demnächst kommenden Angebote:

"Weil die Besetzungspolitik immer so fantasielos ist: Man wird immer so besetzt, wie man das letzte Mal gesehen wurde. ich möchte jetzt doch eigentlich wieder so einen potenteren, eloquenteren und schnelleren Typen spielen als diesen Grabosch."

Wobei der ja auch im Laufe des Films seine Verbissenheit ablegen und sich sogar ein wenig verlieben darf in Irena, die Ärztin, die ihn anfangs so ironisch-feindselig begrüßt hat:

"Werner Grabosch - ich bin der Opa von Mathilde!"
"Erbarmen - die Invasion der Deutschen geht weiter."

Wie gesagt – die Temperatur zwischen den beiden steigt und sofort blitzt ein wenig vom alten Hübchen durch. Wenn er mit der berühmten, großartigen polnischen Kollegin Grazyna Szapolowska durch den Raum schwebt, dann schwebt sogar ein Hauch Erotik mit.

Filmszene:
"Wissen Sie was, Frau Irene, ich könnt jetzt 'n Wodka gebrauchen."

Henry Hübchen, der mit Frank Castorf Volksbühnengeschichte geschrieben hat, für seinen schlitzohrigen Jacky Zucker den Deutschen Filmpreis bekam und dessen Filmografie schon aus Papierersparnis auch im aktuellen Presseheft wieder nur auszugsweise gedruckt wird, läuft sicher nicht Gefahr, demnächst ohne Angebote dazustehen. Wenn da nicht das Problem mit den Stoffen wäre:

"Ja, ich bin natürlich im Gespräch mit Leuten, wo wir versuchen, Sachen zu entwickeln, aber es ist eben sehr schwer, gute Drehbücher zu finden und das ist die Grundlage von allem. Das ist das A+O: Gutes Drehbuch, gutes Drehbuch, gutes Drehbuch. Aber es ist sauschwer und es gibt och wenig Talente, die gute Drehbücher schreiben und wenn dann Talente da sind, dann powern die sich selber so aus, dass sie dann irgendwann auch nur noch so'ne mittelmäßigen konsumierbaren Produkte basteln."

Wobei er dennoch auf künftige gute Rollen hofft, die zu ihm passen, die vielleicht sogar genau auf ihn zugeschnitten sind. Er hat diese Filme schon vor Augen.

"Also, wenn Sie die Filme von Nicholson sehen ... Wie alt ist Nicholson? Da haben Sie ja die ganze Zeit 'n älteren Mann, der in Geschichten spielt, die komödiantisch sind, aber auch traurig - 'About Schmidt' oder so ... Also, die Amis machen uns das ja vor, dass es nicht nur 'Romeo und Julia'-Geschichten sein müssen. Und sicher könnten hier Drehbücher auftauchen, die hier auch deutsche Geschichten mit solchen Figuren beschreiben."

Denn Henry Hübchen möchte schon – wie bisher - meist Rollen spielen dürfen, die ihm, dem komödiantischen Vollblutmimen,auch selbst Genugtuung bringen und ihn – wenn möglich - auch nicht unnötig alt aussehen lassen.

"Herzblut hört sich immer so gewaltig an. Ist immer so wie fast existenziell. So ist es nicht, aber ich denke mal den Beruf, den muss man machen mit einem Spaß, mit Elan ... sonst quält man sich mehr, als wenn man am Fließband steht - glaub ich."

Deutschland/Polen 2011. Regie: Jakob Ziemnicki. Darsteller: Henry Hübchen, Grazyna Szapolowska, Paraschiva Dragus, Adrian Topol, Barbara Wysocka, Violetta Bronner u.a. Länge: 94 Minuten

Filmhomepage "Polnische Ostern"