Filmregisseurin Marjane Satrapi

Über den nettesten Serienmörder, den es je gab

Jerrys (Ryan Reynolds) Schizophrenie führt zu einschneidenden Ereignissen in einer Szene des Kinofilms "The Voices" (undatierte Filmszene).
Jerrys (Ryan Reynolds) Schizophrenie macht ihn zum Massenmörder. © picture alliance / dpa / Ascot Elite Filmverleih
Marjane Satrapi im Gespräch mit Patrick Wellinski · 02.05.2015
Die iranisch-französische Regisseurin Marjane Satrapi verfilmt in ihrer Horror-Komödie "The Voices" die Geschichte eines kranken Serienmörders, der Hunden und Katzen hörig ist. Im Interview erzählt sie von der Unschuld des Killers und den unheimlichen Augen ihres Hauptdarstellers.
Patrick Wellinski: Das Drehbuch von "Voices" haben Sie nicht selbst verfasst. Aber was hat Sie an dieser Geschichte fasziniert, die Michael Perry für Sie geschrieben hat?
Marjane Satrapi: Die Welt, in der ich mich bewege, in der ich meine eigenen Geschichten schreibe, ist eine sehr angenehme Welt für mich, weil ich jeden Winkel davon kenne. Das ist großartig. Aber manchmal hat man eine Geschichte, die kommt einfach so. Ich werde nie an meinem Schreibtisch sitzen und denken, ach, heute schreibe ich mal eine Geschichte über einen Serienmörder, der manchmal mit seinem Hund und seiner Katze redet und ansonsten Leute umbringt. Nein, das würde ich nie tun.
Aber wenn so eine Geschichte zu mir kommt und sie mir gefällt, und warum gefällt sie mir? Wenn ich diese Geschichte lese, spüre ich plötzlich ganz viel Mitleid mit diesem Serienmörder. Ich verstehe ihn, ich verspüre Empathie. Ich mag den Mann. In gewisser Weise ist er ein Monster, in gewisser Weise auch nicht, weil er seine Taten nicht mit Absicht begeht. Er hat einen kranken Geist und die Umstände bringen ihn dazu, all das zu tun. Und ich liebe diese Katze. Die bringt mich wirklich zum Lachen. Die Kombination der beiden ist nicht gerade alltäglich und es ist nicht wie ein Film, den ich schon mal gesehen hätte. Normalerweise kriegt man ein Skript und es ist die 19. "Bonnie and Clyde"-Version oder die zwölfte von irgendetwas anderem. Bei diesem hatte ich überhaupt nicht diesen Eindruck. All das hat mich dazu gebracht, diesen Film machen zu wollen.
Wellinski: Trotzdem haben Sie auch das erste Mal das Skript eines Fremden verfilmt, die ersten Filme, da haben Sie immer selbst noch das Comic dazu geschrieben, dann das Drehbuch und dann waren Sie Regisseurin. Gab es denn Schwierigkeiten, jetzt einen fremden Stoff zu adaptieren?
Satrapi: Einerseits ist es leichter, andererseits schwieriger. Wenn man etwas selber schreibt, stammt alles von einem selbst und es wiegt wie das Wort Gottes. Wenn man dann gesagt bekommt, man soll kürzen, dann bekommt man Angst! Was? Was soll ich tun? Das stört einen dann richtig. Man hat einfach nicht genug Distanz. Aber wenn man ein fremdes Skript bekommt, sagt man sich, ich muss daran arbeiten, um es umsetzbar zu machen. Wenn da steht, sie nahmen die Rakete und flogen zum Mond, dann hat man manchmal weder das Geld für die Rakete, noch für den Mond, aber man hat ein Fahrrad und eine Straße. Und muss das dann mit dem Fahrrad aufregend und spannend gestalten.
Man muss also daran arbeiten, aber man hat genug Abstand um zu wissen, was nicht funktionieren wird. Das ist die gute Seite daran. Die schwierige Seite besteht darin, dass es nicht ausreicht, dass ich mich in ein Skript verliebe. Der Autor muss auch meinen Film mögen. Ich denke dann dauernd nur, ich hoffe, das gefällt dem Autor so! Aber das ist doch eine sehr bereichernde Erfahrung. Heutzutage und besonders in Europa gibt es die Tendenz zu denken, dass man immer seine eigene Geschichte schreiben muss. Aber sehen Sie sich Kubrick an, er hat Autoren, die für ihn schreiben, oder Polanski, die Größten und Besten beschäftigen Autoren! Es sind zwei sehr verschiedene Jobs und ich arbeite sehr gerne mit den Texten anderer Leute. Es ist also gleichzeitig leichter und schwieriger.
Die iranisch-französische Regisseurin Marjane Satrapi, aufgenommen 2014 bei der Premiere von "The Voices" auf dem Sundance Film Festival in Utah.
Die iranisch-französische Regisseurin Marjane Satrapi, aufgenommen 2014 bei der Premiere von "The Voices" auf dem Sundance Film Festival in Utah.© picture alliance / dpa / George Frey
Wellinski: Der Film ist eigentlich die Geschichte von Jerry, einem, ja, Serienkiller, der Stimmen hört, der junge Frauen umbringt. Es ist ein sehr interessanter Mensch, eine sehr interessante Figur, aber nicht wirklich, ja, nett, nicht wirklich likeable. Aber Sie haben ja gerade gesagt, Sie mochten Jerry. Was war das Faszinierende an dieser Person, an diesem Serienkiller?
Satrapi: Wenn man darüber nachdenkt, was er tut, ist er natürlich nicht liebenswert, aber wenn man sich ihn als Person ansieht, ist er liebenswert. Er ist dieses Kind, das in einem bestimmten Alter ein Trauma erlitten hat, und es kann passieren, dass, wenn man in einem gewissen Alter ein Trauma hat, man in diesem Alter steckenbleibt. Da ist also dieser zwölfjährige Junge im Körper eines 30-jährigen Mannes. Er sagt ja selber über sich, er möchte ein herausragendes Mitglied der Gemeinschaft sein, nicht der Gesellschaft allgemein. Sein Ehrgeiz ist nicht sehr stark ausgeprägt, er will einfach nur Freunde haben. Er ist sehr einsam und er ist krank. Man hat hier also keinen Jäger vor sich, der rausgeht und nach Beute sucht, sie kommen mehr zu ihm, sie klopfen an seine Tür. Man will sie warnen, geh da nicht hin, lass den in Ruhe! Das ist das Problem, man weiß es nicht. Wenn er es mit Absicht tut, ist es schrecklich, aber er ist süß, er ist unschuldig, der netteste Serienmörder, den es je gab.
Wellinski: Ryan Reynolds spielt diese Hauptfigur. Warum ist Ryan Reynolds der beste Hauptdarsteller für den Jerry, was macht er so gut?
Satrapi: Ich muss ehrlich sagen: Wenn man an einen Serienmörder denkt, ist der erste Name, der einem einfällt, nicht Ryan Reynolds, natürlich nicht. Erst mal finde ich, dass Ryan Reynolds ein sehr guter Schauspieler ist. Er ist wie ein Ferrari, der oft wie ein Fahrrad benutzt wird, er hat all diese Talente, aber sie kommen nicht immer zum Tragen. In manchen Filmen kann man sie sehen, in "Buried" zum Beispiel. In einigen Filmen sieht man, dass er unglaublich talentiert ist.
Aber eigentlich lief es diesmal umgekehrt. Er wusste, dass ich bei einem Film Regie führen würde, und er wollte mit mir arbeiten. Ich wurde angerufen und mir wurde gesagt, dass Ryan diesen Film machen möchte. Ich sagte, okay, aber lass uns erst mal treffen. Ich dachte schon, dass er ein großartiger Schauspieler ist, trotzdem wollte ich seine Herangehensweise an den Stoff sehen. Und er hat den Film nicht nur genau so verstanden, wie ich, er wollte die gleiche Art von Film drehen. Und er hat auch noch diese Augen, die echt unheimlich sind, diese sehr tiefen, dunklen Augen und dazu dieses jungenhafte Lächeln. Egal, was er macht, sobald er dich anlächelt, denkst du dir: Okay, egal, mach, was du willst, erstich mich meinetwegen! Er hat etwas an sich, das einen dazu bringt, ihm alles zu verzeihen. Da ist etwas sehr Unschuldiges, Kindliches in seinem Gesicht. Das war die beste Kombination. Meine Erwartungen waren sehr hoch und er lieferte noch viel mehr, als ich je erhofft hätte!
Wellinski: Die anderen Hauptdarsteller sind ja die Stimmen. Das eine Mister Whiskers, die Katze, das andere der Hund. Die kommentieren alles, die sprechen ihm auch so einiges ein. Man sagt ja, es ist nichts schwerer, als mit Kindern und mit Tieren zu arbeiten. Wie waren die Dreharbeiten mit den Tieren?
Satrapi: Unglaublich, aber wahr, das war wirklich schwierig! Ein Hund bleibt ein Hund, er hört auf "Sitz" und "Platz" und so weiter. Aber unser Hund war extrem sentimental. Immer wenn man ihn streichelte, bekam er eine Riesenerektion, und Sie sehen ja, wie groß der Hund ist! Dann können Sie sich auch die Größe der Erektion vorstellen! Das konnte man so natürlich nicht filmen. Ich habe also ständig allen gesagt, bitte streichelt diesen Hund nicht, er nimmt das sehr persönlich! Lasst ihn in Ruhe, sonst geht nichts mehr!
Kinder und Tiere unter Wasser filmen
Damit konnte man ja noch umgehen. Aber der Kater! Wenn man dem "Sitz" befiehlt, wird er dir nicht folgen, auch wenn er das versteht, was ich schon glaube! Weil ich eine Katze bin und nur mache, was ich will! Außerdem ist eine Katze ein sehr kleines und sensibles Tier! Wenn man also ein Team von 50 Leuten hat, spürt sie den Stress und wird extrem nervös. Mein Cutter Stéphane Roche, der auch der Regisseur des zweiten Teams war, hat sehr viel Geduld mit Tieren. In 90 Prozent der Szenen befindet sich die Katze nicht im selben Raum mit dem Hauptdarsteller, sie musste separat gefilmt werden. Die Zeit, die man braucht, bis die Katze an der richtigen Stelle ist und er dann auch, das ist einfach unmöglich. Damit musste man klarkommen. In meinem Film davor habe ich mit Kindern gearbeitet und habe mir danach gesagt: Nie wieder! Und jetzt Tiere! Nächstes Mal werde ich bestimmt Kinder und Tiere im Wasser filmen! Aber wir brauchten sie, ohne Katze und Hund wäre es nicht dieselbe Geschichte. Aber es stimmt, dass es sehr schwierig war.
Wellinski: Wir müssen über den Ton des Films sprechen, weil, es ist kein klassischer Horror-Thriller, es ist auch eine Art Komödie, es hat Komödienelemente drin, die Katze hat einen wunderbar britischen Humor, jedenfalls im Original ist das sehr gut zu hören. Es gibt auch Musicalnummern, Tanznummern …
Satrapi: Und auch Drama!
Wellinski: Und auch Drama! Aber wie wichtig waren Ihnen diese Komödienelemente, die den Film immer wieder in so eine Art Traumsphäre heben?
Satrapi: Das war eins der Elemente, die mir wirklich attraktiv an diesem Film erschienen. Man konnte ihn keinem Genre zuordnen. Man kann nicht sagen, das ist eine Komödie, das ist ein Horrorfilm oder ein Drama, er ist all das gleichzeitig! Aber so ist auch das Leben, es hat auch kein Genre. Niemand bewegt sich nur in der Dramatik. Das Leben besteht aus diesen Momenten, in denen alles zusammenkommt. Die fantastischen Elemente sind wichtig, weil wir ja immer über Jerrys fantastische Welt reden können, wegen der er seine Medikamente nicht nehmen möchte, aber wir müssen sie auch mal zeigen. Was ist das für eine fantastische Welt?
Das ist auch deshalb ein interessanter Aspekt, weil er mir plötzlich die Freiheit gibt, eine ganz neue Welt zu gestalten. Ich habe versucht, eine Welt zwischen diesem Traum und der Realität zu erschaffen. Nehmen wir den pinkfarbenen Overall! Pinkfarbener Overall? Hm, okay, aber es ist eine Badewannenfabrik! Weiß wäre Medizin, orange wäre Autowäscher, blau Mechaniker. Jede Farbe hat ihren Code. Ich habe Pink gewählt. Der Produzent fragte: Pink? Und ich sagte: Ja, es ist eine Badewannenfabrik! In einer Badewannenfabrik wäre das auch in der realen Welt gerechtfertigt, aber ich habe ein Kaugummipink ausgesucht, dessen spezielle Farbnuance es zu einem Traum werden lässt! Aber man kann es logisch rechtfertigen.
Wellinski: Es ist ja auch ein Horrorfilm, weil Sie, glaube ich, Ihr Publikum, das Ihre Filme kennt, etwas schockieren werden. Also, wenn man Sie kennt aus "Persepolis", wenn man Ihre Handschrift kennt aus "Huhn mit Pflaumen" und auch aus Ihrem dritten Film, dann ist man geschockt. Ist es Ihnen egal, dass die Leute sich vielleicht auch abwenden? Oder denken Sie, das müssen sie aushalten, weil, das bin ich auch, das ist auch Marjane Satrapi, die Regisseurin?
"Ich werde gerne geschockt"
Satrapi: Sicher bin das auch ich, ich habe nie etwas gemacht, um dem Publikum zu gefallen. Das heißt nicht, dass ich nicht an die Zuschauer denken würde, sie sind mir sehr präsent, weil ich ja etwas erzähle. Und wenn ich ihnen ein Bild zeige, eine Szene aus einem Film, und sie verstehen sie nicht, dann würde ich nicht sagen, sie sind dumm, sondern dass ich meinen Job nicht gut gemacht habe. Ich bin davon besessen, dass das, was ich zu sagen habe, von den Leuten auch so verstanden werden soll. Wenn sie es nicht verstehen, ist das nicht ihr Fehler, sondern meiner, dann habe ich keine gute erzählerische Arbeit geleistet.
Aber ob etwas gefällt, ob Leute geschockt sein werden oder nicht, das kann ich nicht kontrollieren. Wenn man niemanden schockieren möchte, muss man romantische Komödien machen. Damit schockiert man nicht. Aber das ist so verdammt langweilig. Ja, der Film schockiert manchmal, aber ich werde gerne geschockt. Wenn ich einen Robert-Rodriguez-Film sehe, denke ich, nein, aber ja, so muss er es machen, und es bringt mich zum Lachen! Ich frage mich: Hat er das jetzt echt gemacht? Ja, hat er! Und die Dinge, die es uns ungemütlich werden lassen, sind immer die besten! Die kitzeln einen auf eine Art und Weise, die man nicht gewohnt ist. Und ja, ich mag Blut und gespielte Gewalt. Ich mag viele verschiedene Dinge. Ich habe einen Animationsfilm gemacht, ich wollte einen Liebesfilm machen, ich habe diesen hier gemacht, und hoffentlich werde ich genug Zeit haben, zehn weitere über ganz andere Themen zu drehen!
Ich bin keine Horrorspezialistin, werde ich auch nie sein. Nachdem ich diesen Film gemacht habe, erhalte ich lauter Drehbücher über Serienmörder, aber ich möchte auch keine Spezialistin zu Serienmördern werden! Aber ja, das bin auch ich. Es gibt doch eigentlich nur zwei Sorten Filme: gute und schlechte. Dabei kommt es nicht aufs Genre an. Man kann einen amerikanischen Blockbuster nehmen wie "Spider-Man 1", das ist ein echt cooler und gut gemachter Film. Der eine "Batman" ist auch ein sehr guter Film. Aber andere sind echt Schrott. Manchmal gibt es diese Unterschiede auch bei einer Person. Pasolinis "Erotische Geschichten aus 1001 Nacht" ist ein sehr schlechter Film. Wenn man Pasolini sonst kennt, wirkt das wie Karneval in Nizza, man will ihm sagen: Pier Paolo, was hast du da gemacht? "Teorema" ist ein sehr guter Film, aber der eben nicht!
Es gibt gute und schlechte Filme! Ich kann es sehr genießen, ins Kino zu gehen und mir Tarkowski-Filme anzusehen, weil sie mich in eine bestimmte Stimmung versetzen, eine faszinierende Reise stattfinden lassen. Ich kann aber auch einen Unterhaltungsfilm sehen, wenn der gut gemacht ist. Dann ist er gut gemacht! Dagegen gibt es jede Menge von intellektuellen französischen Filmen mit Riesenanspruch und ich denke, oh, langweilig! Es kommt nicht aufs Genre an! Ich versuche einfach nur, den besten Film zu machen, den ich kann.
Wellinski: Es gibt Regisseure, die, bevor sie einen Film machen, sich drei, vier Vorbilder ansehen und sagen, okay, das geht jetzt in die Richtung. War das bei "The Voices" auch so? Es kommt natürlich einmal "Psycho" vor von Hitchcock, haben Sie so Referenzpunkte gehabt oder versuchen Sie zu sagen, nein, das darf jetzt nicht sein?
Satrapi: Man hat natürlich seine Referenzpunkte, ob man will oder nicht. Ich war immer ein sehr cinephiler Mensch, habe sehr viele Filme gesehen. Ich habe für diese Szene ein Storyboard angelegt und bin damit zu meinem Filmdesigner gegangen, und er hat gesagt: Machst du Witze? Das ist die Szene aus "The Big Lebowski"! Ich habe diesen Film natürlich schon ganz oft gesehen und liebe ihn und ich habe dieses Stück reproduziert, aber ich möchte die Coen-Brüder nicht kopieren, weil sie es so gut gemacht haben. Ich mag die Coen-Brüder, deshalb sind sie einer meiner Referenzpunkte. Nicht, weil ich ihren Stil kopieren wollen würde. In ihren Filmen erinnert man sich an jeden Nebendarsteller, auch wenn er nur eine Minute im Bild war. Man hat sehr klare Vorstellungen davon, um wen es sich jeweils dabei handelt. Und das fasziniert mich immer wieder, wie machen sie das? Wieso erinnere ich mich auch fünf Jahre später noch an diesen Typen, den ich vielleicht nur 30 Sekunden gesehen habe? Das ist beeindruckend.
"Einer der besten Lehrer meines Lebens ist Roman Polanski"
Wie macht Hitchcock das in seinen Filmen? Aber die Sache mit der Hommage an Antonioni, da hieß es, ich sei faul, also imitiere ich Antonionis Arbeit und nenne es Hommage an Antonioni, das ist hassenswert. Aber man kann ja lernen. Zum Beispiel ist einer der besten Lehrer meines Lebens Roman Polanski. Wenn man seine Filme ansieht, merkt man, dass er nie eine Kamerabewegung zu viel macht. Jede Bewegung, die er macht, muss genau so sein. Er macht nie so etwas wie, dass die Kamera kommt und hochgeht, weil die Kamera etwas sagt. Mein Eindruck ist, dass er an einen Drehort kommt und sich überlegt: Von hier aus möchte ich die Handlung sehen, aus diesem Winkel, und so werde ich das filmen. Er macht das sehr elegant. Das ist ein Beispiel, dem kann man folgen. Ich versuche niemals zu kopieren. Sollte mir das doch passieren, habe ich Freunde, die sagen, hey, pass auf. Man liebt diese Dinge und plötzlich merkt man, oh, ich habe eine geniale Idee, aber nein, das war nicht deine, das war die von jemand anderen und du kopierst ihn bloß!
Wellinski: Polanski ist ein gutes Beispiel, weil ich finde, Sie haben wirklich viel von Polanski, der ja auch in verschiedenen Sprachen gedreht hat, Polnisch, Englisch, Französisch. Das ist nun Ihr erster englischsprachiger Film. War es schwer für Sie in einer anderen Sprache oder ist die Sprache gar nicht so wichtig für Sie?
Satrapi: Sprache ist wichtig! Wenn man die Sprache nicht versteht, hat man ein echtes Problem! Ich erinnere mich, dass ich in Japan war, und ich war mir sicher, dass er sehr gemein zu mir war. Aber mein Übersetzer sagte dann, er fragt, wie es dir geht! Und ich sagte: Nein, macht er nicht, er schreit mich nur an! Das liegt an der unterschiedlichen Intonation! Die Japaner, die vor mir gespielt haben, ich verstehe ihre Absicht nicht. Sie fragen, wie sie es machen sollen, und wenn ich sage, mach das mal sensibler, ist er vielleicht schon auf dem Höhepunkt seiner Sensibilität und ich kann das nur nicht beurteilen.
Ich vergleiche mich nicht mit Polanski, aber Polnisch, Englisch und Französisch sind die Sprachen, die er spricht. Jede Sprache, die ich spreche oder von der ich eine Ahnung habe, funktioniert für mich. Es gibt Leute, die das auch mit fremden Sprachen schaffen. Ich weiß nicht, wie, ich kann das nicht Vielleicht mache ich ja eines Tages mal einen Film auf Deutsch, weil ich die Intonation verstehe. Ich verstehe Deutsch, also kann ich das machen. Nein, es war nicht schwieriger, den Film auf Englisch zu drehen.
Wellinski: Vielen Dank für Ihren Film, für Ihre Zeit, und ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg!
Satrapi: Danke vielmals, auf Wiedersehen!
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