Filmlegende mit Hang zur Akribie

Von Bernd Sobolla · 10.01.2013
Martin Scorsese überzeugt Fans und Kritiker gleichermaßen durch seine teilweise opulenten Filme. Wie er dabei vorgeht und sich auf seine Filme vorbereitet, kann man jetzt im Berliner Museum für Film und Fernsehen nachvollziehen. Rund 600 Exponate aus Scorseses Privatarchiv wie Fotos und Storyboards sind hier zu sehen.
Ursprünglich wollte Martin Scorsese, der Sohn sizilianischer Einwanderer, Priester werden. Doch es kam anders. Er flog aus der Jesuitenschule und begann 1960, in seiner Heimatstadt New York Film zu studieren. Gleich zu Beginn der Ausstellung, die weitgehend chronologisch aufgebaut ist, sieht man Fotos aus Little Italy in Lower Manhattan, die Martin Scorsese selbst gemacht hat. Und in einer Dokumentation schildert er seine Kindheit, u.a. wie er mit seiner Großfamilie jeden Freitag im Fernsehen italienische Filme sah.

"Das war genau hier, Elisabeth Street 253. Die Elisabeth Street gehörte den Sizilianern, wobei in jedem Haus ein anderes Dorf wohnte. Es dauerte Jahre, bis Leute aus verschiedenen Häusern heirateten."

Die rund 600 Exponate stammen aus Scorseses Privatarchiv bzw. aus der Robert de Niro Stiftung. Anlässlich des 70. Geburtstages wollten die Kuratoren Nils Warnecke und Kristina Jaspers den Filmemacher und sein Gesamtwerk präsentieren.

Kristina Jaspers: "Und wir haben Herrn Scorsese daraufhin angesprochen, ob das möglich wäre, und haben dann erst erfahren, dass wir damit die ersten sind. Dass es weltweit bisher noch keine Ausstellung gab. Und er hat uns Exponate auch noch von Zuhause bereit gestellt. Wir zeigen hier also Plakate, die bei ihm privat hängen. Wie zeigen Briefe, wir zeigen Originaldokumente."

Scorsese erlebt eine Jugend zwischen Katholizismus und Gangs. Das wiederum spiegelt sich in den Filmen wieder: Seine Charaktere leben in einer Welt geprägt durch inneren Zusammenhalt aber auch Abhängigkeit. Nach ersten Anerkennungserfolgen mit dem Mafiafilm "Hexenkessel" und dem Roadmovie "Alice lebt hier nicht mehr", feiert Scorsese 1976 mit "Taxi Driver" seinen Durchbruch. Die Geschichte über einen traumatisierten Vietnamveteran, der jede Nacht durch den Moloch New York fährt.

Szene aus "Taxi Driver"
"Wenn es dunkel wird, taucht das Gesindel auf: Huren, Betrüger, Amateurnutten, Sodomiten, Trinen, Schwuchteln, Drogensüchtige, Fixer, kaputte Siffkranke. Ich hoffe, eines Tages wird ein großer Regen diesen ganzen Abschaum von der Straße spülen."

In der Ausstellung gibt es dazu einige wunderschöne Schwarz-Weiß-Fotos, sodass man sich fragt, ob "Taxi Driver" als Schwarz-Weiß-Film nicht noch eindrucksvoller gewesen wäre. Das Filmplakat, das Robert de Niro und sein Taxi zu einem Kreuz vereinigt, deutet die Suche nach Spiritualität an, die sich in Scorseses Filmen immer wieder findet. Mit Michael Ballhaus dreht er 1985 "After Hours" und findet einen kongenialen Kameramann.

Michael Ballhaus: "Ein kleiner Film, ein schmutziger Film für dreieinhalb Millionen Dollar in Downtown Manhattan nur nachts gedreht. Und auf einmal merkte ich: 'Das ist der Film, mit dem ich Marty zeigen kann, was meine Kollegen in dem Moment vielleicht nicht so können. Nämlich sehr schnell zu sein'. Und das hat eigentlich unsere Freundschaft begründet."

Gemeinsam drehen sie sieben Filme, darunter Mafia-Werke wie "Good Fellows" oder "Gangs of New York". Aber auch "The last temptation of Christ", Scorseses Vision von Jesus letzten Tagen und den Zweifeln an seiner Mission. Hier im Original.

"Why are you trying to save the world? Aren't your own sins enough for you? What arrogance to think you can save the world."

Ausführlich widmet sich die Ausstellung Scorseses Arbeit mit Storyboards. Im Gegensatz zu anderen Regisseuren entwirft er nicht nur kleine Zeichnungen zu einzelnen Szenen, sondern Storyboards, die Kunstwerken ähneln, und zwar für jede Einstellung. Darüber hinaus zeigt die Ausstellung, wie sich Scorsese ganz unterschiedlichen Genres widmet: Mit "New York, New York" dem Musical, mit "Raging Bull" dem Boxermilieu oder mit "Kundun" dem Buddhismus. Die Kritiker hat er meist auf seiner Seite. Das Publikum aber folgt ihm nicht immer, wie Kristine Jaspers erläutert.

"Bestimmte Filme von Scorsese sind tatsächlich erst im Nachhinein zu Klassikern geworden. Gerade 'Raging Bull' ist ein Film, der im Nachhinein zu einem der wichtigsten Filme der Filmgeschichte gewählt wurde und zur Entstehungszeit noch gar kein großer Erfolg war. Vielleicht war er da seiner Zeit auch etwas voraus. Das war ein Film in schwarz-weiß, mit sehr raffinierten Schnitten."

Den visuell schönsten Teil erleben die Besucher im vierten Stock, wo ein großes New Yorker Stadtmodell aufgebaut ist. Ebenso interessant, aber weniger spektakulär, ist Scorseses Einsatz für das Filmerbe: Er gründet eine Filmstiftung, lässt Klassiker restaurieren und kämpft für farbbeständigeres Filmmaterial.

Es gelingt den Ausstellungsmachern überzeugend, drei wesentliche Aspekte von Scorseses Filmwelt zu präsentieren: Seinen Hang, monumentales Kino zu kreieren, die Akribie der Vorbereitung und sein persönliches Engagement der Filmkunst gegenüber. Das Ganze spannend und vielseitig präsentiert. So schickt Leonardo di Caprio als Flugzeugpionier Howard Hughes in "Aviator" eine ganze Staffel in die Luft, um einen spektakulären Film über das Fliegen zu drehen.

Service:
Die Ausstellung "Martin Scorsese" ist vom 10. Januar bis 12. Mai 2013 im Film- und Fernsehmuseum Berlin zu sehen.
Der amerikanische Filmregisseur Martin Scorsese
Der amerikanische Filmregisseur Martin Scorsese© AP
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