Filmgeschichte

Die dunkle Seite des Kinos

Moderation: Dieter Kassel · 03.03.2014
40 Filme aus der Nazi-Zeit dürfen bis heute nur mit Sondergenehmigung gezeigt werden. Felix Moeller widmet sich ihnen in einer Doku. Er sagt, man sollte die Filme wieder freigeben, um dem Mythos um sie entgegenzuwirken.
Dieter Kassel: Rund 1.200 Filme wurden zwischen 1933 und 1945 in Deutschland produziert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs galten noch rund 300 davon als reine Nazipropaganda und durften deshalb nicht gezeigt werden. Diese Zahl hat sich im Laufe der Jahrzehnte deutlich reduziert, aber noch immer gibt es rund 40 sogenannte Vorbehaltsfilme. Sie dürfen, wenn überhaupt, nur mit Sondergenehmigung und unter ganz bestimmten Umständen öffentlich gezeigt werden. Und mit diesen Filmen beschäftigt sich der Regisseur Felix Moeller in seiner Dokumentation "Verbotene Filme", die in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt. Felix Moeller sitzt jetzt für uns im Studio in München bei den Kollegen vom Bayerischen Rundfunk, schönen guten Tag, Herr Moeller!
Felix Moeller: Hallo!
Kassel: Vor fünf Jahren haben Sie sich schon mal mit diesem Thema im weitesten Sinne beschäftigt, mit Veit Harlan damals, "Harlan im Schatten von Jud Süß" hieß dieser Film. Jetzt die "Verbotenen Filme". Was interessiert, ja vielleicht sogar fasziniert Sie so sehr an der NS-Filmgeschichte?
Moeller: Ja, ganz richtig. Der Harlan-Film war ein bisschen die Initialzündung auch für das neue Projekt. Und dann habe ich festgestellt, weitere 40 Filme sind immer noch nicht frei zugänglich. Und das hat mich natürlich neugierig gemacht. Ich will nicht sagen, dass das eine Faszination ist, weil, das ist im Zusammenhang mit Nationalsozialismus immer ein bisschen problematisch. Aber auf jeden Fall neugierig, was sind das für Filme, sind die heute noch gefährlich, wie wirken die, wie gehen wir überhaupt mit dem NS-Filmerbe um? Und das wurde dann sozusagen zu so einer Reise, ja, auf die dunkle Seite des Kinos.
Kassel: Was macht das denn mit einem, wenn man sich monatelang mit diesen Filmen beschäftigt, sie sieht, die Ausschnitte raussucht, die man haben möchte? In was für eine Welt gerät man da?
Moeller: Ja, das ist ganz richtig, die Frage, da muss man sich ein bisschen vor schützen. Das war vor allen Dingen dann am Schneidetisch doch teilweise problematisch, wenn immer wieder diese Märsche, diese Lieder kamen, immer wieder die gleichen Szenen, die gleichen Parolen. Das bleibt nicht aus, dass man da und da auch … das einem nachts weiter durch den Kopf geht. Also, in der Häufung sicher schwierig, damit umzugehen, aber das ist ja nun mein persönliches Problem und nicht das des Zuschauers.
Schreckliche Botschaft, aber sehr gut gemacht
Kassel: In Ihrem Film sagt Oskar Roehler, der Regisseur: Das ist ein brillanter Unterhaltungsfilm. Und er meint damit "Jud Süß". Ging Ihnen das – den Film kannten Sie ja schon längst, aber bei den anderen Filmen – manchmal auch so, dass Sie zugeben mussten: Die Botschaft ist schrecklich, aber das sind wirklich brillant gemachte Filme zum Teil?
Moeller: Brillant sind vielleicht die wenigsten, aber gut gemacht, sehr gut gemacht sind wirklich einige, hervorragende Schauspieler auch. Ich meine, Heinrich George und Emil Jannings, das waren ja wirklich die Größten der deutschen Schauspieler auch ihrer Zeit, Werner Krauß, auch in "Jud Süß" zu sehen. Also auch vom Aufwand, von der Technik, von der Musik, von der Ausstattung, ja, das sind wirklich sehr, sehr gute Filme. Und wenn man sich in die damaligen Zuschauer hineinversetzt hat das sicherlich die Wirkung nicht verfehlt, die es heute vielleicht nicht mehr ganz so hat. Aber auch heute sind Filme wie "Jud Süß" oder auch "Ich klage an", die treffen durchaus noch einen Nerv in Deutschland wie im Ausland.
Kassel: Welche Bedeutung hatten denn damals die Filme für die Indoktrinierung der Bevölkerung? Ich finde, es gibt auch einen ganz kurzen Moment in Ihrem Film, der mich sehr beeindruckt hat, wo Sie mal Zahlen nennen, wie viel Menschen damals ins Kino gegangen sind, und das vergleichen mit Blockbustern, die es dann später in der Bundesrepublik gab. Wie wichtig war das Medium Film damals?
"Das Beeinflussungspotenzial der Menschen damals war sehr, sehr groß"
Moeller: Das Medium Film war absolut wichtig. Also für den Propagandaminister Joseph Goebbels sicherlich das wichtigste Medium. Es schließt ja auch die "Wochenschau" ein. Das Medium Film einfach, das können wir uns heute nicht mehr ganz so klar machen, aber das war ja eben nur Kino, die große Leinwand, da hat alles noch mal stärker gewirkt. Es gab kein Fernsehen, es gab kein Internet, das waren nicht irgendwelche kleinen Bildschirme gar auf dem Handy oder so. Sondern es war wirklich eine überwältigende Wirkung, auch ein Gemeinschaftserlebnis, wo viele Leute noch lange danach berichtet haben, wie das war, wenn man da im Kino sah, was da passiert ist auf der Leinwand und sich da auch hat mitreißen lassen. Und ja, die Zahlen sind natürlich gigantisch, wenn man sieht, dass es Filme gab von 20 bis zu 30 Millionen Zuschauern. Also, das Beeinflussungspotenzial der Menschen damals war sehr, sehr groß. Was nicht heißt, dass sie nicht im Einzelfall auch die Propaganda doch durchschaut haben.
Kassel: Es ist ja sehr unterschiedlich, wie vordergründig da vorgegangen wird. Ich will mal zwei Beispiele ganz kurz erwähnen: Der Film "Heimkehr" spielt eine Rolle bei Ihnen, es gibt auch eine Vorführung in München, die man da miterleben kann. Das ist ein Film, in dem so getan wird, als seien es die Polen gewesen, die die deutsche Minderheit in Polen verfolgt und gequält und umgebracht hätten. Ich finde das heute sehr, sehr vordergründig, da versteht man sofort, wie es gemeint ist. Das Gegenbeispiel ist ein Film wie "Ich klage an". Da geht es von der Handlung her einfach um einen Mann, der seine Ehefrau, die todkrank ist, in seinen eigenen Worten erlöst. Anders ausgedrückt, er bringt sie um. Das ist nun wieder so ein Film, wo ich das Gefühl hatte: Wenn man da das Drehbuch ein bisschen modernisiert, könnte man den heute neu drehen und es wäre ein ernst zu nehmender Beitrag zur Sterbehilfedebatte.
Moeller: Absolut. So haben das auch die Zuschauer empfunden, wir haben ja auch mit Zuschauern eben diesen Film angesehen. Und da hießt es auch: Mit ein paar Modernisierungen, nehmen wir Veronika Ferres oder auch eine Jüngere vielleicht in der Rolle der sterbenden Ehefrau, da würde das eine große Debatte heute auslösen. Und viele haben jetzt gar nicht so erkannt, dass das im Nationalsozialismus wirklich, mit welchem Dreh, mit welcher Ideologie, mit welcher Botschaft das denn eigentlich gemeint war. Er hätte auch nach dem Krieg entstehen können – also, gerade dieser Film, finde ich, ist hochinteressant, ihn sich anzuschauen vor dem Hintergrund der jetzt wieder aufkommenden Sterbehilfedebatte. Und das ist auch immer so mein Beispiel: Warum soll man sich diesen Film nicht anschauen können, wenn man es als interessierter Bürger will? Aber man kann es ohne Weiteres nicht.
Kassel: Da sind wir natürlich jetzt bei der Kernfrage, die in Ihrem Film einerseits beantwortet wird, der Historiker Götz Aly ganz zum Schluss äußert sich da sehr deutlich. Andererseits bleibt sie für den Zuschauer – was ich nicht schlecht finde – auch offen, nämlich die Frage: Sollte man diese Filme frei zeigen, auf DVD veröffentlichen, gar im Fernsehen zeigen? Nach der ganzen Arbeit an den Filmen, wie sehen Sie es inzwischen?
Hetzerisches Potenzial noch vorhanden
Moeller: Also, ich sehe schon noch das hetzerische Potenzial dieser Filme und ich akzeptiere auch Argumente, dass man sagt: Solange die Überlebenden des Holocausts noch unter uns sind, soll man denen wirklich zumuten, dass jetzt "Jud Süß" da im Fernsehen läuft? Oder will man, dass diese Filme für 4,99 da auf dem Tisch liegen bei Saturn oder an der Tankstelle? Das ist natürlich sehr plakativ, man kann das auch verhindern, dass es solche Ramschpreise gibt. Ich wäre schon dafür – weil wir gerade gesprochen haben von "Ich klage an" –, mal mit so einem Film anzufangen, einfach zu sagen, da bringen wir jetzt eine wirklich sehr gut gemachte DVD raus, das ist kein Film, der rassistisch ist, der antisemitisch ist, das wäre ein Film, mit dem könnte man anfangen. Würde man mit den anderen Filmen anfangen, wäre das wahrscheinlich wirklich ein bisschen viel jetzt gleich. Da gibt es dann auch Strafanzeigen und der Film ist ja auch wie "Jud Süß" laut Bundesgerichtshof volksverhetzend und so weiter. Da sind schon einige Probleme dabei. Aber man sollte einfach mal anfangen, um diesen ganzen Mythos auch ein bisschen abzubauen, der diese Filme umgibt.
Kassel: Der Mythos ist ja vielleicht auch ein gutes Stichwort. Es hat natürlich auch den Reiz des Verbotenen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen, die sich das illegal im Internet zusammensuchen, dass das gar nicht alles Nazis sind. Sondern manche auch einfach nur was sehen wollen, was man nicht sehen darf. Dadurch würde man natürlich auch einen Schritt weiter sein, wenn man sagt, ihr dürft es doch sehen.
Moeller: Ja, genau. Die Problematik, dass da manches im Internet zugänglich ist, allerdings in sehr, sehr schlechter Qualität teilweise, die existiert. Und das ist vielleicht auch der Reiz dabei, das dann so sich versuchen runterzuladen und zu sagen, jetzt habe ich hier die Best-of Drittes Reich auf meiner Festplatte. Und ja, ich finde schon, dem müsste man dann irgendwie entgegenwirken, indem man das dann rausnimmt, diese falschen Anreize, und einfach das nach und nach freigibt. Dann wird der Aufschrei auch nicht mehr so groß sein, wenn dann schon mal fünf dieser Filme draußen sind. Und ich denke schon, dass die Nachfrage da ist. Und wie Götz Aly sagt: Missbrauch wird man nie ganz verhindern können, aber der ist ja jetzt auch schon da.
Die Rettung der NS-Filme sollte Priorität haben
Kassel: Wir reden heute hier im Deutschlandradio Kultur mit Felix Moeller, dem Regisseur des Films "Verbotene Filme", der in dieser Woche ins Kino kommt. Es stellt sich ja nicht nur die Frage, Herr Moeller, ob man die Filme freigibt und sie jeder gucken darf. Es stellt sich auch die Frage, was macht man überhaupt, um sie zu erhalten. Das sind ja sehr alte Filme auf sehr altem, zum Teil problematischem Material. Ihr Film beginnt mit einer tollen Szene mit Gebäuden in Berlin-Hoppegarten, die ja so gebaut sind, dass sie bei einer Explosion schnell kaputt gehen, damit dann keine Massenexplosion entsteht. Das heißt, das Ganze ist auch technisch sehr, sehr schwierig. Sind Sie sich eigentlich sicher, dass wir nicht vielleicht in ein paar Jahrzehnten sagen müssen: Wir können diese Filme nicht freigeben, wir haben sie gar nicht mehr in einem abtastbaren Format?
Moeller: Ja, genau, das sollte man ja eben verhindern. Und das betrifft natürlich das deutsche Filmerbe insgesamt, was in Gefahr ist und was nur in Gänze mit erheblichen Mitteln jetzt zu halten und zu retten ist. Aber ich denke, gerade beim Thema nationalsozialistischer Filme sollte man also diesen Prozess und diesen Verdacht eigentlich auch gar nicht erst aufkommen lassen, dass man das hier so entsorgt und sagt irgendwann, na ja, also, das ist jetzt halt verfallen. Und ich denke, da sollte schon ein bisschen eine Priorität auch sein, diese dunklen Seiten der deutschen Filmgeschichte auch wirklich zu erhalten, dafür zu sorgen, dass das nicht verfällt. Und da ist die Diskussion, glaube ich, auch gerade im Gange, ob man eben auch öffentliche Mittel in die Restaurierung eines Nazipropagandafilms stecken darf oder ob man das eben so wie bisher für die Sonnenseiten des deutschen Films macht, wie "Cabinett Dr. Caligari", "Metropolis". Völlig unstrittig, das sind Beiträge zum Weltkino. Aber wir können diese – in Anführungszeichen – Tausend Jahre ja da nicht ganz ausnehmen,
Kassel: Die Filme kann man noch nicht so ohne Weiteres sehen, aber viele, viele Ausschnitte, übrigens auch in überwiegend hervorragender technischer Qualität, soweit das möglich war, kann man ab dieser Woche im Kino sehen. Der Film "Verbotene Filme" kommt am Donnerstag regulär überall in Deutschland ins Kino und morgen, am Dienstag gibt es eine Voraufführung mit anschließender Diskussion in den Kinos in den Hackeschen Höfen in Berlin. Wir haben über diesen Film mit dem Regisseur Felix Moeller gesprochen. Herr Moeller, ich danke Ihnen sehr!
Moeller: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema