Filmfestival von San Sebastián

Die kreative Vielfalt Spaniens

Die von der dänischen Schauspielerin und Regisseurin Paprika Steen (r.) angeführte Jury des Filmfestivals von San Sebastián.
Die von der dänischen Schauspielerin und Regisseurin Paprika Steen (r.) angeführte Jury des Filmfestivals von San Sebastián © picture alliance / dpa / EFE/Juan Herrero
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 19.09.2015
Beim Filmfestival von San Sebastián laufen vor allem spanische und lateinamerikanische Filme. Nach einer mehrjährigen Krise des heimischen Kinos soll dieses wieder an Bedeutung gewinnen.
Der rote Teppich vor dem hell erleuchteten "Kursaal", dem Zentrum des Filmfestivals in San Sebastián, ist von Kinofans und Autogrammjäger umlagert. Etwa 250 Filme laufen insgesamt; 17 davon im Wettbewerb um die "concha de oro", die goldene Muschel. Filme aus China, Japan, Frankreich und Grossbritannien und den USA. Ein deutscher Beitrag ist dieses Jahr nicht dabei. Stark vertreten ist dieses Jahr der spanische und lateinamerikanische Film:
Eröffnet wurde das Festival mit einem Psychothriller außer Konkurrenz: "Regression" führt zurück in die 90er-Jahre in die USA, und was als polizeiliche Ermittlung wegen sexuellem Missbrauch und Satanismus beginnt, endet - traurige Einsicht - in kollektiver Hysterie und Massenpanik. Alejandro Amenábar, der Meister des spanischen Genrekinos, hat seine sehr zurückhaltende, fast kalte Geschichte im herbstlichen Kanada gedreht.
"Ich wollte einen ganz zurückhaltenden Film, trocken, fast spröde, mit vielen Elemente dieser nordamerikanischen Thriller aus den 70er-Jahren. Die habe ich immer sehr gemocht und die ganz anders sind, als die Horrorfilme, die heute gemacht werden. Ich beginne im klassischen Horrorgenre, aber dann wird es ein psychologischer Thriller, ein persönliches Drama."
Melancholie, existenzielle Fragen, wunderbare Situationskomik
Auch der erste Wettbewerbsbeitrag heute Abend im Kursaal stammt von einem spanischen Regisseur und beginnt in Kanada, aber damit enden die Gemeinsamkeit. Der Katalane Cesc Gay ist ein Meister der Alltagsgeschichte, der urbanen Neurosen und ihrer Verwicklungen. Sein neuer Film "Truman" erzählt von zwei Freunden, die sich nach vielen Jahren wiedertreffen, von einem geliebten Hund und einer tödliche Krankheit und davon, wie Freunde mit dem Sterben umgehen. Cesc Gay gelingt auch hier wieder eine wunderbare Mischung zwischen Melancholie, existenziellen Fragen und einer wunderbaren Situationskomik:
"Solche Filme werden nicht häufig gemacht. In Spanien gab es einen Genreboom, viele handwerklich sehr gut gemachte Horrorfilme, aber es gibt nur wenige Filme, die vielleicht die Empathie und das Mitgefühl des Zuschauers suchen."
Vielleicht sind die Töne aber auch mit der schweren Wirtschaftskrise gedämpfter geworden, zwischen Realismus und bitterer Groteske: Ein Meister des skurrilen schwarzen spanischen Humors und aller Genrefacetten vom Horrorfilm zum Science Fiction ist Álex de la Iglesia. In San Sebastián präsentiert er "Mi Gran Noche" ("Meine große Nacht"): die Geschichte eines Arbeitslosen, der als Komparse in einer Fernsehshow unterkommt. Mitten im Hochsommer wird die rauschende Silvestergala aufgezeichnet, mit musikalischen Effekten und alten Kalauern, für Álex de la Iglesia Thriller und bittere Mediensatire gleichzeitig:
"Der Humor ist das Beste, was es gibt auf der Welt. Der Humor ist kein Blödsinn, der nur dazu da ist, sich die Zeit zu vertreiben, bis der wirkliche Ernst beginnt, wie viele glauben. Der Humor ist die Essenz des Lebens. Der Humor ist unser Schild und unsere Waffe um uns gegen die Schrecken und die Sinnlosigkeit unseres Lebens zu verteidigen. Im Film ist er viel viel wichtiger, als der eigentliche Inhalt."
"Wir müssen den spanischen Film unterstützen"
Für den Leiter des Festivals José Luis Rebordinos ist San Sebastián, gerade in Zeiten der Krise, die wichtigste Plattform des spanischen Films:
"San Sebastián muss auf den spanischen Film setzen. Wir sind das wichtigste spanische Festival und müssen den spanischen Film unterstützen. Das ist unsere Pflicht."
Dabei gehe es besonders darum, die Bandbreite des spanischen Films zu zeigen.
"Der spanische Film durchlebt in den letzten Jahren seine tiefste Krise, aber auch eine so unglaubliche kreative Vielfalt, wie schon seit Jahren nicht mehr."
San Sebastián setzt aber auch seit Jahren auf den lateinamerikanischen Film. Von den 17 Wettbewerbsfilmen kommen drei von lateinamerikanischen Regisseuren, drei weitere sind Koproduktionen mit Lateinamerika entstanden. In der Reihe "Horizontes Latinos konkurrieren auch dieses Jahr wieder 14 Filme aus Lateinamerika um den Horizonte Preis. Eröffnet wurde sie mit Berlinale-Preisträger "El Club" des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín, über kriminelle Priester, die die katholische Kirche vor dem Zugriff der Justiz versteckt.
In dem feinen und teils grotesken Kammerspiel zeigt sich wieder einmal Larraíns ganz besonders subtiler Umgang mit der dunklen Vergangenheit Chiles:
"Die unbewältigte Vergangenheit ist immer etwas, das uns bewegt und beschäftigt, auch kreativ beschäftigt: Dieser Holocaust in Deutschland, diese Militärdiktatur in Chile, diese Twin Towers in den USA, dieser Krieg in Großbritannien, das hat doch die Gesellschaften geprägt und diese Erinnerung wird auch künstlerisch aufgearbeitet, es wäre sehr seltsam, wenn man das einfach ignorieren würde."
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