Filmfestival

"Ich bin schwarz und ich bin schwul"

Teilnehmer der 21. Gay and Lesbian Parade in Johannesburg am 2. Oktober 2010
Teilnehmer der 21. Gay and Lesbian Parade in Johannesburg © picture alliance / dpa / Kim Ludbrook
Von Tilo Wagner · 24.09.2014
Kunst, die sich mit Fragen zur Homosexualität befasst, muss in vielen afrikanischen Ländern im Graubereich tätig sein. Das Lissabonner Filmfestival "Queer" zeigt, wie unterschiedlich die Situation von Schwulen und Lesben zwischen dem Maghreb und Südafrika ist.
Ein junges heterosexuelles Pärchen träumt davon, den Senegal zu verlassen und nach Paris auszuwandern. Der Plot des afrikanischen Filmklassikers Touki Bouki von 1973 scheint auf den ersten Blick nicht unbedingt in ein Schwulen-und Lesben-Filmfestival zu passen. Denn er streift das Thema Homosexualität nur am Rande. Doch die Kuratorin Ricke Merighi hat einen Schwerpunkt auf Afrika gesetzt und wollte sich nicht von Kategorien eingrenzen lassen. Sie stellte sich eine zentrale Frage:
"Macht es Sinn, den Begriff „Queer-Kino" auf afrikanische Filme oder auf Filme europäischer Regisseure über Afrika anzuwenden? Wir haben Queer nicht als Synonym für LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) verstanden, sondern als ein Konzept, um über Identität, über die soziale Rolle der Geschlechter und der Sexualität nachzudenken."
Es ist ein Thema, das jedes Filmfestival sprengen würde. Die Situation der Homosexuellen in Afrika könnte unterschiedlicher nicht sein. In Staaten wie Mauretanien droht Schwulen und Lesben in manchen Fällen die Todesstrafe, dagegen zählt Südafrika weltweit zu den Ländern mit der liberalsten Gesetzgebung. Dementsprechend vielfältig sind auch die Themen, mit denen sich die in Lissabon gezeigten Werke befassen: etwa eine Video-Installation über Transsexuelle in Algerien, oder ein Dokumentarfilm über den jüngsten Kampf eines schwulen Aktivisten gegen eine neues Anti-Homosexuellen-Gesetz in Uganda. Wie eng die Verbindungen zwischen Filmemachern und Aktivisten zuweilen sind, zeigt sich am Beispiel der südafrikanischen Regisseurin Beverley Ditsie. In ihrem Film "Simon and I" aus dem Jahr 2002 erzählt sie von ihrer Beziehung zum Vorreiter der südafrikanischen Schwulenbewegung Simon Nkoli:
"Simon Nkolis wichtigstes Statement war: 'Ich bin schwarz und ich bin schwul'. Leute aus dem ANC fragten ihn, warum er sich für die Rechte der Homosexuellen einsetzen, und nicht gegen die Apartheid kämpfen würde. Und seine schwulen Freunde fragten ihn, warum er gegen die Apartheid kämpfe, wenn er sich doch für die Homosexuellen einsetzen sollte. Und darauf antwortete Nkoli: 'Ich bin schwarz und ich bin schwul, und ich kann diese beiden Dinge nicht voneinander trennen und sagen, das eine ist mir wichtiger als das andere. Denn es ist das ein und dasselbe.' Wenn ich das heute erzähle oder höre, dann bekomme ich immer noch Gänsehaut."
Gleiche Rechte (nur) auf dem Papier
Die südafrikanische Verfassung garantiert den Homosexuellen heute die gleichen Rechte, die für heterosexuelle Paare gelten. Zumindest auf dem Blatt. Die Realität sieht anders aus. Das filmische Selbstportrait "Difficult Love" über das Leben der Fotografin Zanele Muholi erzählt von Diskriminierung und Angst im Alltag lesbischer Frauen in Südafrika. Beverley Ditsie sagt, die Kunst nehme heute eine wichtige Rolle ein, um auf die Missstände in der südafrikanischen Gesellschaft hinzuweisen. Denn der Aktivismus der Schwulen- und Lesbenbewegung habe in den vergangenen Jahren nachgelassen.
"Nachdem wir erfahrenen Aktivisten uns aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen haben, entstand ein Vakuum. Und das hat sich bis heute nicht mehr gefüllt, weil die Kräfte vereinende Idee fehlt. Die Bewegung ist sehr zersplittert in verschiedene Interessengruppen, und es scheint so, dass wir uns nur dann wieder zusammen tun und gemeinsam für etwas kämpfen, wenn die Verfassung wirklich auf dem Spiel steht."
Eine jüngere Generation von afrikanischen Filmemachern blickt zuversichtlicher in die Zukunft: "So I'm very optimistic that things change for the better". Die kenianische Künstlerin Ato Malinda ist in Lissabon mit einer Neufassung ihrer Performance "Mshoga Mpya" eingeladen, die im Mai auf der Biennale Dak'Art im Senegal zu sehen war. Malinda sitzt einem Publikumsgast direkt gegenüber, redet aber nicht mit ihm, sondern er hört auf einem Kopfhörer einen Text der Künstlerin über ihre eigenen sexuellen Erfahrungen. An die Wand des Veranstaltungsraums sind Berichte projiziert, die Malinda in der Schwulen- und Lesbenszene in Nairobi gesammelt hat:
"Hätte das senegalesische Kulturministerium gewusst, was ich in meiner Performance zeige, hätten sie mein Werk verboten. Die Kuratoren von Dak'Art wollten die Performance aber unbedingt im Programm haben, und deshalb haben sie dem Kulturministerium einfach nicht alles erzählt. Das war an sich schon ein Akt des subversiven Handelns."
Filme und Kunst, die sich in Afrika mit Fragen zur Homosexualität befassen, müssen in vielen Ländern im Graubereich tätig sein. Dennoch ist Ato Malinda zuversichtlich, dass sie in ihrer Wahlheimat Nairobi nicht mehr lange die einzige bekannte Performance-Künstlerin sein wird, die sich den drückenden Fragen vieler Schwulen und Lesben stellt.
"Die Zeit ist gekommen, dass die Kenianer über alternative Sexualitäten reden, damit Homosexualität endlich entkriminalisiert wird."
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