Filmfestival

Gegen den Strich gebürstet

Von Kirsten Dietrich · 28.03.2014
Sie wollte es einfach mal ausprobieren, erinnert sich Direktorin Nicola Galliner an die Gründung des Jüdischen Filmfestivals vor 20 Jahren. Inzwischen ist das Festival als Schauplatz für Filme mit jüdischen Themen aus aller Welt etabliert.
"Mein Name ist Assi Dayan. Ich bin 65 Jahre alt, wiege 130 kg, habe 80 Filme als Schauspieler gedreht, 16 als Regisseur und drei Selbstmordversuche hinter mir. Doch vor allem hatte ich einen Vater mit einem Auge."
Mit dieser Selbstbeschreibung beginnt "Life as aRumour", eine Dokumentation des bewegten Lebens von Assi Dayan und vor allem: eine furiose Familiengeschichte, Zeugnis einer lebenslangen Auseinandersetzung und des Ringens um Autonomie. Denn der Vater mit dem einen Auge war natürlich Moshe Dayan, General, Verteidigungsminister, zentrale Gestalt während der Gründung des Staates Israel. "Life as a Rumour" ist nur einer von vielen Filmen im Programm des diesjährigen Jüdischen Filmsfestivals Berlin und Potsdam, die um Fragen von Identität und Familie kreisen. Wenn man so will: das inoffizielle Leitmotiv, neben dem offiziellen Thema.
"Das Motto ist 20 Jahre Filme ohne Klischees, wir spielen ein bisschen mit dem, was Leute erwarten, wenn an Juden denken, denken, die sind reich, clever, und sind religiös. Denke, das trifft nicht immer zu. Man muss auch ein bisschen sich lustig machen über Vorurteile und Gedanken."
Nicola Galliner ist Gründerin und Leiterin des jüdischen Filmfestivals, seit 20 Jahren. Auch wenn zwischendrin immer wieder Fortbestand und Finanzierung unklar waren: Seit 20 Jahren wächst das jüdische Filmfestival. Nicola Galliner klingt immer noch erstaunt. 17 Spielfilme hat sie in diesem Jahr im Programm, so viele wie nie zuvor, von Komödien bis hin zum Horrorfilm. Auf den, auf "Big Bad Wolves", ist Nicola Galliner besonders stolz.
"Für mich ist es die Definition von jüdischem Horrorfilm, dass Mutter anruft mitten in Folterszenen, dass Vater mit Suppe kommt, da sind schon viele schöne jüdische Witze drin."
Und da wäre man auch im Horrorfilm wieder bei der Familie. Eine Familiengeschichte erzählt auch der israelische Spielfilm "A Strange Course of Events" - wie nämlich ein erwachsener Sohn sich nach Jahren des Schweigens ganz neu seinem Vater nähert – in dessen Leben inzwischen Yoga einen festen Platz hat und auch eine junge Yoga-Lehrerin. Der Vater scheint der Erfolgreichere, Gefestigte von beiden – bis sich die Verhältnisse doch umkehren, auf eine sehr stille, zurückhaltende Weise. Ein weiterer Familienfilm: "Anderswo", aus dem Programm der diesjährigen Berlinale, erforscht die deutsch-hebräische Sprachverwirrung eines jungen Paares. Und der polnische Film "Ida" ist benannt nach seiner Hauptfigur: Ida wusste gar nicht, dass sie eine Familie mit komplizierter Geschichte hat. Eigentlich war sie bereit, im Kloster die Gelübde als Nonne abzulegen, da erfährt sie, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt. Die Suche nach dem Grab der Eltern eröffnet deshalb vollkommen neue Welten – ob Ida sie auch erforschen wird, bleibt offen.
Das Flüchtlingsheim ist abgebrannt
In "Schnee von gestern" erforscht die junge Regisseurin Yael Reuveny eine packende israelisch-deutsche Familiengeschichte – ihre eigene. Geboren in Israel, hörte Yael immer mit Ehrfurcht die Überlebensgeschichte ihrer Großmutter. Diese dachte am Ende des Krieges, einzige Überlebende des Holocaust aus ihrer Familie zu sein. Bis sie die wunderbare Botschaft bekam: Ihr Bruder lebe noch. Doch das vereinbarte Treffen kam nicht zustande – das Flüchtlingsheim, in dem der Bruder in Lodz lebte, war in der Nacht vor dem Treffen abgebrannt, der Bruder in den Flammen umgekommen. So zumindest erzählte es die Großmutter. Doch der Bruder hatte überlebt – in dem Ort, in dem er zuletzt Häftling in einem Außenlager des KZ Buchenwald war. Kontakt zu seiner Schwester nahm er Zeit seines Lebens nicht auf.
"Ich hatte schon ein paar Jahre gefilmt, als ich eine Email von einem Unbekannten bekam: Du machst einen Film über meinen Großvater. Wenn ich das als Drehbuch geschrieben hätte, hätte sie mich aus der Filmschule geworfen. Das ist die Magie des Dokumentarischen: diese Dinge passieren wirklich."
Yael Reuveny erzählt über den Holocaust, über das Überleben und über zerstörte Leben. Aber vor allem erzählt sie eine Geschichte darüber, was Familien zusammenhält. Vielleicht, so sagt sie, musste ihre Großmutter daran glauben, dass der Bruder kurz vor dem Wunder des Wiedersehens tatsächlich starb, weil sie anders nie die Kraft zum Neuanfang gefunden hätte.
"Die Geschichte von ihrem Bruder war ganz klar: wenn ein Bruder und eine Schwester sich nicht treffen, kann das nur sein, weil er im Feuer gestorben ist, denn das wichtigste Element unserer Familienmythologie ist die Familie. Deshalb bin ich dankbar für die Geschichte, auch wenn sie nicht wahr ist. Meine Familie glaubt an die Familie, und das hat mich zu einer stärkeren Person gemacht."
"Schnee von gestern" ist eine der stärksten Familiengeschichten – und erzählt, wie spannend, wie berührend und auch wie unterhaltend die Suche nach der Identität mit den Mitteln des Filmes sein kann. Eine Aufgabe, die sich das jüdische Filmfestival Berlin seit 20 Jahren stellt.
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