Filmfest

Polens Männer leiden

Der polnische Schauspieler und Regisseur Jerzy Stuhr bei den Filmfestspielen in Cannes 2011.
Der Regisseur Jerzy Stuhr ist auf dem Filmfest mit dem Film "Das Wetter für morgen" vertreten. © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Ludger Fittkau · 18.11.2014
Die Modernisierung setzt den polnischen Männern zu: Frauen drängen in Führungspositionen, und die klassischen patriarchalen Rollenmuster gelten auch im katholischen Polen nichts mehr. All das reflektiert die "Woche des polnischen Films" in Darmstadt.
"Mach dich nicht lächerlich", sagt der Sohn zu seinem Vater, einem alten, dem Alkohol verfallenen Jazzmusiker, der nach langer Zeit mal wieder zur Klarinette greift. Peinlich findet man sich zunächst gegenseitig. Dann spielt man doch zusammen.
Das ist die hoffnungsvolle – bisweilen insbesondere durch die Filmmusik auch etwas kitschig überzeichnete - Botschaft der Tragikomödie "Mein Fahrrad" von Piotr Traskalski: Selbst reichlich zerrüttete Beziehungen zwischen Männern verschiedener Generationen in einer Familie lassen sich wieder kitten, wenn man sich Zeit nimmt füreinander und lernt, Gefühle nicht ständig durch Machosprüche zu übertünchen.
Der Film lebt sehr von melancholischen Bildern, die ein atemberaubend schöner polnischer Binnensee liefert. Er zeigt aber auch: In der polnischen Gesellschaft gehen heute Frauen auch noch mit 70 selbstbewusst ihre eigenen Wege, wenn ihre Ehen nicht mehr stimmen.
Die Männer haben zwar den Alkohol – müssen sich aber vielleicht noch was anderes einfallen lassen, um heute auch ohne die Frauen klarkommen zu können, wenn es nötig ist. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut hat die Darmstädter Filmwochen zu "Testosteron und anderen Kleinlichkeiten" organisiert.
Klassische Beziehungsmuster aufgebrochen
"In Polen haben wir auch in den letzten 20 Jahren eine Modernisierung erlebt, die dahin geht, dass es immer weniger klassische Beziehungsformate gibt. Immer weniger Familien werden gegründet. Immer weniger Menschen gehen diesen klassischen Weg, der in Polen doch in der Tradition sehr stark verankert war. Es werden auch wenig Kinder geboren, Polen gehört mit Deutschland zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate. Das zeigt sich auch als Konsequenz dieses enormen Bildungsbooms, der aber vor allem Frauen zu Gute kommt. Wenn man sich anschaut, wer in Polen studiert, dann sind das mehrheitlich Frauen. Sie beanspruchen später die gehobenen Positionen."
Das Männerbild in Polen wandelt sich auch dadurch, dass Männer-Subkulturen, die sich im katholischen Polen in der Vergangenheit kaum an die Öffentlichkeit trauten, längst ein neues Selbstbewusstsein entwickelt haben und sichtbar geworden sind. "Polen unter dem Regenbogen. Die drei Emanzipationswellen der Schwulen in Polen" ist der Titel eines der Aufsätze im Jahrbuch 2014 des Deutschen Polen Instituts in Darmstadt. Andrzej Kaluza hatte die Redaktion und widmete es den polnischen Männern:
"Jetzt trauen sich verschiedene Gruppen, die bisher irgendwie in der Nische waren, an die Öffentlichkeit. Das steht auch in einem wunderbaren Artikel in unserem Jahrbuch über die polnische Schwulenbewegung, wie stark dieses Thema nun in der Öffentlichkeit vorhanden ist."
Polnisches Kino reflektiert Umbruchprozesse
Andrzej Kaluza hat für die Darmstädter Wochen des polnischen Films bewusst Regiearbeiten ausgewählt, die ein breites Publikum erreichen können. Gestern Abend zum Auftakt war das Kino gut gefüllt. Das Deutsche Poleninstitut in Darmstadt erhofft sich, dass noch mehr junge polnische Filme in die deutschen Kinos kommen.
"Das polnische Kino ist seit vielen Jahren wirklich sehr aktuell an den gesellschaftlichen Umbruchprozessen, zeigt die Rolle der Frauen, zeigt die Rolle der Männer, zeigt die Rolle der Jugend. All diese Themen, mit neuen Medien, mit neuen Konsummöglichkeiten und mit den Brüchen, die damit verbunden sind, das ist auf jeden Fall aktuell da.
Woran das polnische Kino mangelt, ist ein Mangel an Interesse in der westlichen Gesellschaft. Die Filme werden ab und zu mal auf Festivals gezeigt, aber in der Regel, wenn das nicht Co-Produktionen sind, findet sich kein Verleih im Westen. Von daher sprechen wir wirklich von ein paar Ko-Produktionen, die mit einem polnischen Hintergrund in die deutschen Kinos kommen."
Der Ehemann im Kloster
Nach "Mein Fahrrad" von Piotr Traskalski gibt es bei den Darmstädter Wochen des polnischen Films am kommenden Montag eine weitere Tragikomödie. Ein ehemaliger Lehrer und Sanitäter trifft nach 17 Jahren, die er in einem Kloster verbracht hat, zufällig seine Familie wieder. Seine Ehefrau, seine jüngere Tochter und sein Sohn haben ihm immer noch nicht verziehen, dass er eines Tages einfach fortgegangen und nicht wiedergekommen war. Daraus ergeben sich unterhaltsame Beziehungsverwicklungen, verspricht Filmwochenorganisator Andrzei Kaluza:
"'Das Wetter für morgen' – Jerzy Stuhr. Das ist der Lieblingsschauspieler von Kieslowski. Den kennen wir aus 'Der Filmamateur' zum Beispiel. Und Jerzy Stuhr macht mittlerweile seit vielen Jahren auch selber Filme und Jerzy Stuhr ist sozusagen der polnische Woody Allen. Und es ist auch immer so, man hat das Gefühl, als wenn man einen Woody-Allen-Film sieht ohne Woody Allen. Und in diesem Film in einer Woche sehen wir Jerzy Stuhr in einem Film von Jerzy Stuhr und sogar noch Maciej Stuhr, seinen Sohn, in der Rolle seines Sohnes. Besser kann es einfach nicht sein – Jerzy Stuhr in dem Film 'Das Wetter für morgen'.

Die Woche des Polnischen Films steht dieses Jahr unter dem Motto "Die Leiden der Männer. Testosteron und andere Kleinlichkeiten". Das Filmfest ist bis zum 8.12.2014 in Darmstadt zu sehen.