Filmfest München

Große Träume kleiner Leute

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Vorbild für "Ein Lied für Nour": Der palästinensische Sänger Muhammad Assaf gewann die Casting-Show "Arab Idol" © picture alliance / dpa / Balkis Press
Von Noemi Schneider · 28.06.2016
Auf dem Filmfest München gibt es in diesem Jahr einen Schwerpunkt "Arabische Welt" mit Filmen aus Ägypten, dem Libanon, Palästina und dem Irak. Noemi Schneider über drei besonders beeindruckende Filme, die etwas gemeinsam haben – es wird in ihnen jede Menge geträumt.
"Was passiert, wenn wir die menschliche Seite des Irak betrachten, nicht die politische? Ich habe eine Komödie gedreht, weil ich will, dass die Zuschauer lachen und Spaß haben an einer Geschichte aus dem Irak - denn die Menschen, die dort leben, weinen tagein tagaus."
… sagt der kurdisch-irakische Regisseur Halkwart Mustafa über seinen Film "El Clasíco", in dem die beiden kleinwüchsigen Brüder Alan und Shirwan aus ihrem kurdischen Heimatdorf zu einer Reise nach Madrid aufbrechen, um dem Real-Stürmer Christiano Ronaldo ein Paar Schuhe zu überreichen, das der Dorfpatriarch extra angefertigt hat.

Komödie um die Tochter des Dorfpatriarchen

"Natürlich geht es in Wahrheit nicht um Fußball, sondern um eine Frau. Alan will Gona, die Tochter des Patriarchen, heiraten, doch der Patriarch verweigert seine Zustimmung, weil Alan seiner Tochter nur bis zur Hüfte reicht. Nun will Alan mit Hilfe seines Bruders nach Madrid reisen, um zu beweisen, dass kleine Leute Großes vollbringen können."
Auch in Gaza wird geträumt: Basierend auf der Lebensgeschichte des Sängers Muhammad Assaf, der 2013 die erfolgreichste Musik-Casting-Show der arabischen Welt "Arab-Idol" gewann, drehte der palästinensische Regisseur Hany Abu-Assad den Film "Ein Lied für Nour".
Mit seiner Schwester Nour und seinen Freunden gründet Muhammed eine Band, sie machen Musik inmitten von Trümmern und träumen von richtigen Instrumenten und großen Auftritten im abgeriegelten Gazastreifen. Hiba Attalah, eine 12-jährige Laiendarstellerin aus Gaza, verkörpert auf beeindruckende Weise die burschikose und redegewandte Nour, die ihren Bruder Assaf dazu ermutigt, nicht aufzugeben und die Welt zu verändern.

Bei Pieter-Jan De Pues haben die Kinder das Sagen

Auch in Pieter-Jan De Pues Afghanistan-Film "The Land of the Enlightened" haben die Kinder das Sagen.
"Afghan Forces will take a lead in this war, come to an responsible end."
Afghanistan – der "Garten Gottes", ist ein vermintes Schlachtfeld, in dem eine Kinderbande umherziehende Karawanen überfällt, Opium schmuggelt, Lapislazuli schürft, Sowjet-Minen ausbuddelt und davon träumt, die zerstörten Paläste wieder aufzubauen, wenn die Besatzer das Land verlassen.
Über sieben Jahre verbrachte der belgische Regisseur und Kameramann Pieter-Jan De Pue in Afghanistan und beobachtete unterhalb des Pamir-Gebirges Kinder, Soldaten und Reisende.
Das Ergebnis seiner Beobachtungen "The Land of the Enlightened" ist eine poetisch-grausame, märchenhaft surreale Sinfonie aus Fiktion und Dokumentation mit atemberaubenden Bildern und sagenhaften Geschichten – ein gewaltiges Afghanistan-Porträt der Gegenwart.

Irak, Gaza, Afghanistan: Was wissen wir schon?

Irak, Gaza, Afghanistan – Was wissen wir schon abseits der Nachrichten von diesen Orten, wo der Ausnahmezustand Alltag ist?
Und die Bedingungen für Filmemacher sind alles andere als ideal. Bezeichnend ist, dass keiner der drei Filme den jeweiligen Ort als Projektionsfläche benutzt, die Orte dienen nicht als Kulisse für eine "Story", sie sind die "Story", und die Geschichten, die darin vorkommen, sind die Geschichten der Menschen, die dort leben, keine fiktionalen Geschichten, keine Schauspieler.
Halkwart Mustafa, Hany Abu-Assad und Pieter-Jan De Pue lassen die trotzigen Träumer vor Ort zu Wort kommen und vermitteln auf diese Weise humorvolle, schmerzhafte, absurde und sehr direkte Einblicke in das Kaleidoskop "Arabische Welt".
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