Filmen mit dem Herzen

Von Jörg Taszman · 15.11.2010
Miral heisst eine junge palästinensische Frau, der Regisseur Julian Schnabel im gleichnamigen Titel einen ganzen Film gewidmet hat. Die heute in Italien lebende, palästinensische Journalistin Rula Jebreal hat das Drehbuch nach ihrem autobiografischen Roman geschrieben.
Früher gab er gerne Interviews im Bademantel. Für seinen neuen Film "Miral" sitzt Julian Schnabel Anfang Oktober ganz amerikanisch in Shorts in einem Hamburger Hotel. Vor dem Gespräch beschwert er sich über die zu kalte Klimaanlage.

Dieser Mann hat Charakter. Das spürt man sofort. Er möchte auch unbedingt, dass seine Lebensgefährtin und Drehbuchautorin Rula Jebreal beim Gespräch mit dabei ist. Nur ist es nicht leicht, mit ihm ein Interview zu führen. Schon auf meine erste Frage gibt er eine fast 20 Minuten lange Antwort, deckt damit aber auch ein breites Spektrum ab.

Und so ist der Sohn amerikanischer Juden ganz offen, wenn man ihn fragt, was ihm der israelische Staat vor seinem neuen Film "Miral" bedeutet hat:

"Palästinenser, das waren für mich Feinde. Unbewusst, denn es war ja nicht mein Kampf, wollte ich im Sieben-Tage-Krieg 1967, als die arabischen Staaten Israel angriffen, dass Israel diesen Krieg auch gewinnt. Ich halte es auch für superwichtig, dass es einen israelischen Staat gibt. Ich glaube auch, dass moderate Palästinenser und arabische Israelis, die dort leben und Teil dieser Gemeinschaft sind, auch verschwinden, wenn der Staat Israel verschwinden würde."

Für Julian Schnabel geht es immer darum, nicht voreingenommen zu sein. Als er mit "Before Night Falls" einen Film über den homosexuellen kubanischen Dichter Reinaldo Arenas drehte, fuhr er selber nach Kuba, um sich sein eigenes Bild zu machen.

Ähnlich war es auch bei "Miral". Schnabel fuhr mit Rula Jebreal nach Israel und in einige palästinensische Gebiete. Der Film porträtiert zwei Frauen: Hind, eine Aktivistin, die in Ostjerusalem jahrzehntelang arabischen Kindern und Waisen ein zu Hause anbot, sowie die junge Miral, die nach dem Suizid ihrer Mutter zu der Aktivistin kommt.

Während der Intifada radikalisiert sich Miral zunächst und findet dann langsam ihren eigenen Weg. Anhand des Schicksals dieser zwei palästinensischen Frauen erzählt Julian Schnabel auch von Israel zwischen 1948 und 1994. Vorwürfe, sein Film sei zu einseitig, lässt der Filmemacher nicht zu:

"Ich verstehe es einfach nicht, wenn jemand behauptet, der Film sei propalästinensisch. Ich glaube eher, es ist ein palästinensischer Film, der die palästinensische Gesellschaft ein wenig unter die Lupe nimmt. Da ist ein Vater, eine Tochter, ein Lehrer, eine Studentin. Es gibt jemanden, der andere schützen und leiten möchte, es gibt Aktivisten, Terroristen. Man sieht auch jemand, der Kinder vergewaltigt. Wir versuchen hier nicht, irgendeiner Gemeinschaft zu gefallen. Wir versuchen, ein Bild vom Zusammenbruch einer Gesellschaft zu vermitteln. Was ist eine Gesellschaft, die in ständiger Instabilität lebt? Wie ist es, wenn man einem das Haus wegnehmen kann oder wenn sich alles innerhalb sehr enger Grenzen abspielt? Das fiel mir auf, als ich dort war."

"Es ist nicht die jüdische Art, die mir meine Mutter beibrachte, wenn in Ostjerusalem systematisch Häuser von Palästinensern zerstört werden", gibt Julian Schnabel zu bedenken. Mit seinem bisher politischsten Film hat Schnabel sehr viel Kritik einstecken müssen. Formal anstrengend, wegen dem nicht immer motivierten Einsatz der Handkamera kann "Miral" dramaturgisch nicht durchgehend überzeugen.

Bei aller Kritik gelingt es Julian Schnabel jedoch, gewissen arabischen Klischees entgegenzuwirken. Besonders spannend ist die Vaterfigur in "Miral". Er versucht, seine Tochter mit Liebe und Toleranz zu erziehen. Hier setzte Rula Jebreal ihrem eigenen Vater ein Denkmal:

"Er glaubte wirklich an Bildung; daran, dass nur sie Mädchen den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit weist. Er war kein Intellektueller, konnte aber seine Gedanken gut ausdrücken. Eines Tages sprachen wir über religiöse, arabische Gruppen, da wir selber säkular waren. Er sagte, die wirkliche Gefahr liegt darin, wie man Bücher interpretiert, nicht in den Büchern selbst. Und ich dachte mir nur, was für ein kluger Kopf. Seine Manieren, seine ganze Art waren so charmant. Ich kann das heute noch mehr schätzen als damals."

"Miral” ist nicht das gelungenste Werk des Künstlers Julian Schnabel, hat aber die Häme und die belehrenden Kommentare vieler Rezensenten im deutschen Feuilleton nicht verdient. Schnabel macht auch Filme mit dem Herzen. Genau das macht sein Werk so spannend, so unvorhersehbar und streitbar.

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