Filmemacher: Ruhrgebiet steckt in "Identitätskrise"

Adolf Winkelmann im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.01.2010
"Wir Ruhris wissen selber nicht, was das eigentlich ist, wo wir leben", sagt der Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann. Deshalb setze er sich in seiner Installation "Fliegende Bildende" bei RUHR.2010 damit auseinander, was die Metropole ausmache und welche Chancen sie habe.
Stephan Karkowsky: Zu Gast im Radiofeuilleton ist der Dortmunder Filmemacher und Professor für Filmdesign Adolf Winkelmann. Guten Tag!

Adolf Winkelmann: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Ich hoffe, wir haben Sie nicht gleich beleidigt hier zu Anfang?

Winkelmann: Nein, aber Sie haben doch einen Namen, der eigentlich hier aus dem Ruhrgebiet kommen muss.

Karkowsky: Da ist eine große, polnische Gemeinschaft, nicht?

Winkelmann: Ja.

Karkowsky: Das stimmt. Herr Winkelmann, Essen und das Ruhrgebiet sind europäische Kulturhauptstadt 2010, Sie sind dabei, seit anderthalb Jahren arbeiten Sie fast ausschließlich an diesem Projekt für RUHR.2010 mit dem Namen "Fliegende Bilder", eine Installation in einem Industriedenkmal, dem ehemaligen Lagerhaus der Dortmunder Union, das kennen alle, die schon mal durch Dortmund gefahren sind, das Haus mit dem großen "U" auf dem Dach. Was kriege ich denn da zu sehen, wenn ich im Mai in Dortmund aus dem Zug steige?

Winkelmann: Na ja, man muss sich erst mal vorstellen, dass dieses Gebäude ja sehr hoch ist und mitten in der Stadt steht, also, man sieht es zum Beispiel supergut vom Bahnhof. Und das hat oben herum – ich weiß nicht, warum die das 1927 so gemacht haben – eine ganz aufwändige, sehr merkwürdige, sehr schöne Betonkonstruktion, um das Dach herum, eine Art Krone. Und in diese Krone mache ich als erstes schon mal Bilder, da werden wir LED-Vorhänge reinhängen und über diese LEDs Bilder ausstrahlen, sodass man gleich schon mal weiß: Das, was damals ja eigentlich ein großer Kühlschrank war, das soll jetzt ein Zentrum für Kreativität sein und das soll man schon von Weitem erleben.

Karkowsky: Und was wird es da zu sehen geben?

Winkelmann: Da … Ich versuche, das so zu bespielen, wie man klassisch einen Glockenton bespielt, das heißt, ich mache erst mal da oben eine ordentliche Uhr rein, eine digitale Uhr, die zeigt, wie viel Uhr es ist. Viele Dortmunder haben sich beschwert, dass es zu wenige und vor allen Dingen zu wenig richtig gehende öffentliche Uhren gibt, und das ist das Erste, was wir da mal machen. Und wenn es dann die volle oder halbe Stunde wird, dann wird etwas Überraschendes in all diesen großen Flächen zwischen den Betonsäulen als Film erscheinen, also, sagen wir mal, Tauben, sieben Meter große Tauben, die auf die Stadt herabblicken.

Karkowsky: Klingt vielversprechend. Nun ist dieses Union-Haus in Dortmund eins der ersten deutschen Hochhäuser und es stand ja lange Zeit leer. Die Stadt wusste nicht so recht was damit anzufangen. Wie sieht es da eigentlich drinnen aus und was werden Sie da machen?

Winkelmann: Ja, da drin, da gibt es verschiedene Museumsetagen unterschiedlicher Nutzer, die da sich mit Kunst und Kreativität beschäftigen. Und für mich ist da eigentlich gar kein Platz drin gewesen, und deshalb habe ich gesagt: Lasst mich doch das da machen, wo die Räume sind, die die Architekten Verkehrsfläche nennen, also im Treppenhaus und unten in der Eingangshalle. Das sind sehr große Räume. Man kommt also, wenn man das von draußen gesehen hat und neugierig geworden ist, kommt man in das Gebäude rein, in diese riesige Eingangshalle, und in die Eingangshalle werde ich elf große Leinwände hängen, in einer Reihe, kreisförmig, oben unter die Decke, und dort werde ich große Panoramen spielen.

Karkowsky: Sie werden da ja nicht einfach Urlaubsbilder aus dem Ruhrgebiet drauf werfen mit einem Diaprojektor, sondern Sie filmen richtig.

Winkelmann: Ja, ich habe versucht, mich mit den Klischees des Ruhrgebiets auseinanderzusetzen. Wenn man das Ruhrgebiet fotografiert, kommt sofort … Ich meine, ich habe viele Filme hier im Ruhrgebiet gemacht und immer wieder hört man das mit diesen Klischees, und ich habe einfach mal versucht, Bilder zu machen, die objektiv sind. Und da sieht man dann die Klischees auch. Das heißt, ich habe sie eigentlich gar nicht ausgewählt, sondern das Ruhrgebiet hat sie mir in die Kamera geschrieben.

Karkowsky: Wir sprechen mit Adolf Winkelmann, der Filmemacher und Filmprofessor bespielt zur RUHR.2010 das U-Haus in Dortmund mit einer Bilderinstallation. Herr Winkelmann, spätestens seit Ihrer Trilogie, Ihrer Ruhrpott-Trilogie weiß man: Sie lieben den Ruhrpott, "Die Abfahrer", "Jede Menge Kohle", "Nordkurve", so heißen die Filme. Warum lieben Sie denn den Ruhrpott eigentlich?

Winkelmann: Na ja, ich bin ein Mensch aus dem Ruhrgebiet, und wenn man hier lebt und hier arbeitet, vor allen Dingen, wenn man als Künstler hier lebt und sich deshalb versucht, klarzuwerden, was man eigentlich hier macht, dann fragt man sich jeden Tag, warum man eigentlich immer noch da ist. Und man macht auch Fluchtversuche, ich habe auch schon versucht, hier wegzukommen.

Karkowsky: Wohin?

Winkelmann: Ich habe zehn Jahre in Kassel gelebt.

Karkowsky: Was für eine Alternative!

Winkelmann: Und dann bin ich reumütig wieder zurückgekehrt.

Karkowsky: Als Sie im Ruhrgebiet aufgewachsen sind in den 50er- und 60er-Jahren, da war das doch der letzte Ort in Deutschland, wo man gern sein wollte, oder?

Winkelmann: Na ja, das war schon so, wie sich auch heute noch Auswärtige das vorstellen, das war eine Hölle von Arbeit, von Dreck, von giftigen Gasen, von flüssigem Metall – alles das, was sich Menschen vorstellen, die noch nie hier waren. Das ist ja inzwischen vorbei. Das ist aber auch eigentlich, glaube ich, unser Problem: Dieses Ruhrgebiet hat ja eine ganz einzigartige Geschichte, seit 150 Jahren hat es sich immer schneller entwickelt, als das Bewusstsein der Menschen, die hier leben, sich mit entwickeln konnte. Und es ist … Vor 150 Jahren war das noch ein Agrarland und dann ist es aufgestiegen zur Industriemetropole, und dann musste wieder alles abgebaut werden. Seit 1960 hat das mit dem Zechensterben angefangen und jetzt gibt es gar keine Zechen mehr. Das sind Entwicklungen, die sind so rasant gewesen, dass man … Wenn man Menschen hier, die hier leben, fragt – die haben das alles gar nicht so schnell mitgekriegt. Die glauben immer noch, sie lebten in den Dörfern, die heute schon längst Vororte der Städte sind, und die Städte sind ja eigentlich längst keine einzelnen Städte mehr, sondern eine einzige, große Metropole, die man eigentlich Ruhrstadt nennen müsste.

Karkowsky: Was würden Sie denn sagen, was das heute ist, das Ruhrgebiet? Ist das immer noch Currywurst? Ich meine, in Bochum verstaubt die Sonne nicht mehr, das kann es nicht sein.

Winkelmann: Das ist das … Also, diese Frage ist genau die, die man nicht beantworten kann im Moment. Wir haben nämlich wegen dieses Strukturwandels, wegen dieser Veränderungen und Innovationen haben wir so eine Identitätskrise, das kann man schon sagen. Wir Ruhris wissen selber nicht, was das eigentlich ist, wo wir leben. Und das ist auch der Grund für meine Arbeit, das, was ich mache, ist der Versuch, sich auseinanderzusetzen mit dem, was diese Metropole eigentlich ausmacht und welche Chancen sie hat.

Karkowsky: Was sagt denn der Ruhrgebietsbewohner, wenn er mal verreist, wo er herkommt – aus dem Ruhrgebiet, oder sagt der, aus Dortmund oder Oberhausen?

Winkelmann: Das ist das Problem. Also, einer, der aus Dortmund-Hörde kommt, sagt, er käme aus Hörde, weil nicht mal Dortmund ist die Stadt, aus der er kommt, sondern er kommt aus Hörde oder er kommt aus Wattenscheid. Und auf die Idee zu kommen, dass er eigentlich aus der größten Stadt Deutschlands kommt, die über fünf Millionen Einwohner hat, auf die Idee kommt der gar nicht.

Karkowsky: Herr Winkelmann, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg natürlich mit der Installation. Ab Mai 2010 wird sie zu sehen sein im U-Turm in Dortmund, das ist das Riesengebäude, das man schon vom Bahnhof aus sehen kann, und am Wochenende eröffnet sie dann endlich, die RUHR.2010, also Essen und das Ruhrgebiet als europäische Kulturhauptstadt. Mehr Informationen im Rahmen des Radiofeuilletons können Sie sich jetzt täglich in Ihr Postfach schicken lassen, abonnieren Sie dazu einfach unseren Newsletter auf dradio.de.


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