Filme der Woche

"Joy – Alles außer gewöhnlich" und "Remember"

Die undatierte Filmszene aus "Remember" (Regie: Atom Egoyan) zeigt Christopher Plummer (l) als Zev Guttman und Martin Landau (r) als Max Zucker (undatierte Aufnahme). Der Film kommt am 31.12.2015 in die deutschen Kinos.
Zev Guttmann (l.) und sein alter Kumpel Max Zucker, beide Holocaust-Überlebende, gehen in "Remember" auf Nazi-Jagd. © picture alliance/dpa/Sophie Giraud/Tiberius Film
Von Jörg Taszman · 30.12.2015
Die Kinostarts der Woche "Joy - Alles außer gewöhnlich" und "Remember" begeistern mit schauspielerischen Glanzleistungen: Jennifer Lawrence besticht als kämpferische Frau aus dem "White Trash"-Milieu und Christopher Plummer als dementer Holocaust-Überlebender.
Der Trailer zum Film ist irreführend, macht jedoch durchaus Lust auf diese dritte Zusammenarbeit zwischen David O’Russel, Jennifer Lawrence und Bradley Cooper nach "Silver Linings" und "American Hustle". Die eigentliche Geschichte wird jedoch tunlichst verschwiegen. Ein Biopic über eine Wischmopp-Queen auch als solches zu vermarkten, hat sich der US-Verleiher dann doch nicht getraut. Und dem deutschen Ableger der FOX gebührt der zweifelhafte Verdienst den dümmlichen deutschen Nebentitel "Joy – Alles außer gewöhnlich" kreiert zu haben.

Dabei ist "Joy" einfach nur großartig, einer der besten Filme des Jahres mit einer bestechenden Jennifer Lawrence, die bei David O’Russel immer zur Hochform aufläuft. Auch diesmal verkörpert sie wieder ein Mädchen aus eher bescheidenen Verhältnissen, aus einer Patchwork Familie, die sich ihre eigene Patchwork Familie schafft. Aber diese Joy ist eine Kämpferin, eine Erfinderin, eine junge Frau, die sich durchbeißt: gegen den Vater (ein Robert de Niro in Bestform), gegen die zickige Halbschwester, gegen die im Bett liegenden depressive Mutter und gegen alle Männer, die sie um ihre Erfindung bringen wollen. Denn Joy hat etwas erfunden: den besagten Wischmopp, der dafür unter anderem sorgt, dass man sich beim Wegwischen von Scherben nicht mehr in die Finger schneidet...

Und wie David O’Russel das inszeniert, mit welcher Virtuosität, welchem Sprach- und Bildwitz – das ist einfach nur großes Kino! Da sperrt Joy den Ex-Mann und ihren Vater im Keller ihres Hauses ein und trennt die beiden Dauerstreithähne durch eine Linie aus Klopapier. Aus Isabella Rosselini macht O’Russel eine bösartige, reiche Witwe und Bradley Cooper spielt einen schmierigen, aber doch nicht völlig unsympathischen Werbe-TV Produzenten. Und der Traum von der Hausfrau mit Wischmopp zur Millionärin ist ein langer, unruhiger Fluss voller Abzocke und Schulden.

David O’Russel liebt seine Figuren aus dem Arbeitermilieu, jene, die man gern leicht abschätzig "die einfachen Leute" nennt. Bei ihm ist die amerikanische Familie nicht heil, sondern zerstritten und chaotisch, aber wohlmeinend und unterstützend. Wie Familien so sind. Und er vermag es, einfache Geschichten über Träume, Kapitalismus, Liebe und Selbstverwirklichung grandios durchgeknallt und dabei völlig menschlich zu erzählen. Beide Daumen hoch!!
"Joy – Alles außer gewöhnlich", USA 2015, 107 Minuten
Regie: David O'Russel
Darsteller: Jennifer Lawrence, Bradley Cooper, Robert de Niro, Isabella Rosselini
Er hat Demenz und ruft jedes Mal, wenn er aufwacht, nach seiner Frau Ruth. Zev Guttman (Christopher Plummer) ist schon 90 Jahre alt und lebt in einem New Yorker Altersheim. In lichteren Momenten, wenn ihm wieder klar wird, dass er nun alleine ist, erinnert er sich partiell aber doch an schreckliche Erlebnisse aus seiner Vergangenheit. Zev ist Auschwitz-Überlebender ebenso wie der an einen Rollstuhl gefesselte Max Rosenbaum (Martin Landau). Beide haben trotz ihrer Gebrechlichkeit noch einen Plan. Sie wollen den Mann töten, der in Auschwitz ihre Familien ermordet hatte, den SS Mann Otto Walisch, der unter dem falschen Namen Rudy Kurlander in Nordamerika untertauchen konnte. Das Problem ist nur, es gibt unter diesem Namen vier Männer alle im gleichen Alter und nur einer kann der wahre Täter sein...
Zugegeben, wenn man die Geschichte so liest, erscheint sie unrealistisch. Wie soll ein so alter Mann, der nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte ist, sich noch auf eine so lange Reise machen? Aber der kanadische Regisseur armenischer Abstammung Atom Egoyan ("Das süße Jenseits", "Chloe") war schon immer ein Meister unkonventioneller Filme mit verschachtelten Dramaturgien. Und so sollte man sich nicht besserwisserisch damit aufhalten, was und ob alles realistisch ist, sondern sich eher auf die psychologisch-historische Ebene einlassen. Egyoan zeigt vor allem alte Männer: Deutsche und deutsche Juden. Wie haben sie über- und weitergelebt nach 1945 und mit welchen (Not-)Lügen ?

Atom Egyoan hat sich in einigen seiner Filme wie "Ararat" direkt mit dem armenischen Genozid auseinander gesetzt. Sein Blick auf die Shoah ist der Blick alter Männer auf die Vergangenheit, aber verpackt in diverse Filmgenres wie den psychologischen Thriller oder das Road Movie. Das Ende ist ein Schock, den man so nicht unbedingt erwartet hat. Schon allein dafür lohnt sich der Film, aber mehr noch für die großartigen Darsteller: Christopher Plummer als Zev, Martin Landau als Max und in Kurzauftritten Bruno Ganz und Jürgen Prochnow. "Remember" ist ein hochinteressanter Film und trotz einiger Unwahrscheinlichkeiten auch sehenswert.

"Remember", CAN/D 2015, 95 Minuten
Regie: Atom Egoyan
Darsteller:Christopher Plummer, Martin Landau, Bruno Ganz, Jürgen Prochnow