Filme der Woche

Das Ende von Recht und Gesetz

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Der 13-jährige Junge Nasim, gespielt von Mohamed Issa, in einer Szene des Films "Wir waren Könige". © picture alliance / dpa / Summiteer Films
Von Hans-Ulrich Pönack · 26.11.2014
Es ist Philipp Leinemanns zweiter Film. Und er beeindruckt mit einem außerordentlich spannend-fiebrigen deutschen Polizei-Thriller: ein Film über Gewalt.
Provozierend notiert: "Sichere", also förderungsintensive, Filmthemen hierzulande sind bekanntlich Beziehung, Historie und Furz-Komödien. Dort tendiert kulturelles wie politisches Risiko gleich null.
Der 1979 in Braunschweig geborene und in München lebende Drehbuch-Autor und Regisseur Philipp Leinemann, der an der Hochschule für Fernsehen und Film in München Regie studierte und 2010 mit seinem Abschlussfilm "Transit" imponierte ("Produktionspreis" auf dem Filmfest München), geht mit seinem zweiten Spielfilm andere thematische wie gedankliche Wege.

In "Wir waren Könige" blickt er auf "deutsche Wirklichkeit" in einer namenlosen, aber durchaus identifizierbaren Trabantenstadt irgendwo in Deutschland von heute, wo in einem "Problemviertel" der Routine-Einsatz eines Polizei-Sonderkommandos außer Kontrolle gerät. Bei dem Zugriff wird ein Beamter schwer verletzt; der gesuchte Haupttäter kann fliehen.
Dann dieser elendig schlichte, fade SEK-Raum im Polizeigebäude. Mit diesem "komischen" Zettel an der kahlen Wand: "Wir sind das, was ihr am Computer spielt!" Es herrscht Unruhe im "Team", denn nicht nur die stete Zunahme der Brutalität bei dienstlichen Einsätzen irritiert, auch "von oben" kommt immenser Druck. Das Innenministerium will aus Kostengründen mehrere SEK-Einheiten auflösen. "Beobachtung" ist angesagt. Als im Zuge weiterer Ermittlungen zwei Kollegen erschossen werden und eine Dienstwaffe "abhanden" kommt, schlagen die internen, emotionalen Wellen hoch. Geraten bisweilen völlig außer Kontrolle.
Wann ist Gewalt plausibel?
Währenddessen hat ein 13-Jähriger, Nasim (Mohamed Issa), die Waffe gefunden und nutzt sie für seine Zwecke. Der Junge leidet unter mangelnder Anerkennung, wird in dem Viertel, in dem sich zwei Jugendgangs bekämpfen, ständig herumgeschupst und schikaniert. Jetzt sieht er seine Chance gekommen, auf sich aufmerksam machen zu können, "Freundschaft" einfordern zu können, was fatale Folgen hat.
Inzwischen existieren kaum noch Unterschiede. Die eine – "gute" – Seite besitzt eine Dienstmarke, die andere ist bemüht, "plausible" Gewalt auszuüben. Um eine Art "Herrschaft" ausrufen zu können. Wut allerorten. Ebenso der völlige Verlust von Moral. Und innerhalb der Polizei stellt sich immer mehr die Frage, wo hören Zusammenarbeit, Miteinander und Freundschaft auf und wo beginnt Kadavergehorsam – und auch Korpsgeist, der Korruption, eigene Machenschaften und illegale Handlungen akzeptiert. Es ist ein Teufelskreis. In dem werden nun Sündenböcke gesucht.
Philipp Leinemann hat einen erstaunlich packenden, verstörenden Thriller gedreht. Das Ensemble funktioniert beeindruckend. Mitunter unübersichtlich in der Figuren-Skala, aber mit deutlicher Präsenz und barschem Ton: Hier verkommen Recht und Gesetz. Bekannte Schauspieler wie Ronald Zehrfeld, Thomas Thieme, Frederick Lau oder Bernhard Schütz sind die "Gesichter" in einem erstaunlich konsequenten, sehr dichten und außerordentlich spannend-fiebrigen neuen deutschen Polizei-Thriller.

"Wir waren Könige" von Philipp Leinemann - Deutschland 2013; Kamera: Christian Stangassinger; Musik: Sebastian Fischer; Darsteller: Mohamed Issa, Ronald Zehrfeld, Thomas Thieme, Frederick Lau oder Bernhard Schütz, 107 Minuten