Filme aus einem Land im Umbruch

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 10.12.2007
Der in Casablanca spielende Film "WWW – What a Wonderful World" von Faouzi Bensaidi kommt in unsere Kinos. Eine junge Generation von Regisseuren und Regisseurinnen, schon die marokkanische Nouvelle Vague genannt, greift die gesellschaftlichen Verhältnisse auf und findet auch Resonanz beim heimischen Publikum.
Ein elegant gekleideter Geschäftsmann wird im Zentrum eines großen Einkaufszentrums erschossen. Die Polizei kontrolliert alle Ausgänge, aber der bezahlte Killer kann entkommen, als Frau verkleidet. Der marokkanische Film "WWW – What a Wonderful World" mischt Elemente des klassischen Gangsterfilms mit Poesie, Groteske, lakonischem Humor und sozialem Realismus. Der 40-jährige Regisseur Faouzi Bensaidi spielt selbst die Hauptrolle: Den schweigsamen Killer Kamel, der sich in eine Verkehrspolizistin verliebt.

Faouzi Bensaidi: " Ich vermische ganz unterschiedliche Elemente, die man sonst vielleicht nicht zusammenbringt. Nehmen wir etwa die Hauptfigur, Kamel, den Killer: Sie hat zu Beginn viel von klassischen Charakteren, von Humphrey Bogart oder von Alain Delon und verwandelt sich dann immer mehr in eine tragikomische Figur wie Buster Keaton. Ich gebe dem Zuschauer also die Schlüssel zu dem Film über seine eigenen Genre-Erfahrungen, aber das führt ihn auch zu ganz neuen Zusammenhängen."

Der Film spielt mit den bekannten Elementen des Genrefilms. In verfremdenden Schnittfolgen und Bild-Kompositionen, die stellenweise an Jean-Luc Godard erinnern, zeigt er die Vielschichtigkeit Casablancas: einer Megagroßstadt, zwischen Tradition und schnellem hypermodernem Rhythmus, alter Armut und neuem Reichtum. Für den Regisseur ist die Sechs-Millionen-Stadt schon allein durch ihre Architektur ein Abriss der modernen Geschichte des Landes.

Faouzi Bensaidi: " Dieses Neben- und manchmal Miteinander so ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten hat mich besonders interessiert. Die Moderne neben der traditionellen Lebensweise, Gegensätze, die völlig getrennt voneinander und in ganz unterschiedlichen Lebensgeschwindigkeiten nebeneinander her existieren."

Marokko ist ein Land im Umbruch. Seit dem Thronwechsel vor elf Jahren hat sich das Land geöffnet und liberalisiert, gleichzeitig verschärfen sich die sozialen Gegensätze. Eine junge Generation von Filmemachern, schon die marokkanische Nouvelle Vague genannt, greift die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse auf und findet auch Resonanz beim heimischen Publikum: mit "cine noir", Kriminalgeschichten über Korruption und Machtmissbrauch im Maghreb-Staat, oder "road movies" über die religiösen und kulturellen Unterschiede zwischen den Generationen.

Mit dabei sind auch zahlreiche Regisseurinnen, die ungewohnte Bilder des Landes zeichnen: von vergnügungssüchtigen Töchtern reicher Familien, von Drogen und Diskotheken in Casablanca, oder einem abgelegenen Dorf im Rifgebirge, das nur noch von Prostituierten bewohnt wird.

Das verbindende Motiv vieler dieser Filme ist die Spannung zwischen Tradition und Moderne, auch wenn es sonst, so Faouzi Bensaidim, nur wenige Gemeinsamkeiten gibt:

" Gemeinsam haben wir diese Kraft, uns durch Bilder auszudrücken. Aber eine gemeinsame Linie haben wir nicht und man kann uns auch nicht mit der Nouvelle Vague vergleichen, denn dort wurde doch auf eine ganz andere Weise theoretisch reflektiert und es wurde über die Filme und ihre Aussagen diskutiert.
Aber wir haben eine unglaubliche Energie. Unsere Gesellschaft entwickelt sich extrem schnell und das ist für uns Filmemacher natürlich eine wahnsinnig interessante Situation, aber stellt auch jeden vor die Herausforderung, neue Ausdrucksformen zu finden. Alle Filmemacher sind sehr verschieden und arbeiten in ganz unterschiedliche Richtungen. Ich würde mir manchmal für meine und für die noch jüngere Generation mehr Mut wünschen, das mehr gesagt wird. Wir sind doch frei. "

Viele aus dieser jungen Generation sind in der Immigration aufgewachsen oder haben im Ausland studiert. Viele der Filme wurden mit europäischen, meist französischen Fernsehanstalten koproduziert. Für den 59-jährigen Jilali Ferhati, der unter ungleich schwierigeren Bedingungen während der sogenannten "bleiernen Zeit" der 1970er und 1980er Jahre politisch engagierte Filme produzierte, birgt das allerdings auch eine Gefahr: Dass die Perspektive der jungen Filmemacher von den Erwartungen und Klischees auswärtiger Geldgeber geprägt wird und dass sich die europäische Vision vom rückständigen Maghreb im marokkanischen Film festsetzt.

Jilali Ferhati: " Das Elend verkauft sich immer noch am besten nach Europa, die pittoreske Seite der Unterentwicklung. Aber warum zeigen wir unser Land nicht auch in seiner aktuellen Entwicklung. Marokko hat in den letzten Jahren auch wahnsinnige Anstrengungen unternommen, um sich weiter zu entwickeln. Ich hoffe, dass man Filme aus Marokko eines Tages nicht mehr nur mit den alten Klischees vergleicht, sondern wir Teil einer universellen Filmkultur werden, in der man vom marokkanischen Film mit der gleichen Selbstverständlichkeit spricht wie vom schwedischen oder vom russischen Film."

Die marokkanische Gesellschaft ist moderner geworden – mit allen Fortschritten und ihren Schattenseiten. Für Faouzi Bensaidi repräsentiert der neue marokkanische Film auch diese Zwischenwelt unterschiedlicher Kulturen und kultureller Entwicklungsstadien, den Wechsel der Innen- und Außenperspektive einer neuen Generation zwischen Europa und Afrika:

" Wir sind eine Generation der Diaspora. Wir sind alle relativ jung nach Europa gekommen und haben eine andere Perspektive. Von Paris aus habe ich eine ganz andere Distanz zu den gesellschaftlichen Veränderungen in Marokko und nehme ganz andere Sachen wahr. Dieser andre Blickwinkel spiegelt sich direkt in meinen Filmen wider."