Filmdrama "Julieta"

Hat Almodóvar noch was zu sagen?

Die Schauspielerin Adriana Ugarte in Pedro Almodóvar’s neuem Film "Julieta". Sie schaut mit ernstem Gesichtsausdruck von einem Buch auf.
Die Schauspielerin Adriana Ugarte in Pedro Almodóvar’s neuem Film "Julieta". © picture alliance / dpa / Cannes Film Festival / Handout
Anke Leweke im Gespräch mit Patrick Wellinski · 30.07.2016
In seinem Drama "Julieta" zeigt Pedro Almodóvar erneut, was er besonders gut kann: Frauen inszenieren und ihnen trotzdem ihr Geheimnis lassen. Doch ist der große spanische Regisseur nicht schon auf dem Weg dahin, sich selbst zu zitieren und manieristisch zu werden?
Patrick Wellinski: Und wir haben ja schon anfangs der Stunde über starke Frauenfiguren gesprochen, bei den "Ghostbusters" führt das ja gerade zu einer sehr seltsam hitzigen Diskussion, die ja vielleicht eine sehr amerikanische ist. Im europäischen Kino ist es nicht viel besser, aber wir haben seit Jahrzehnten einen Mann, der im Arthouse-Kino die Frauen auf ein Podest stellt, den Spanier Pedro Almodóvar. Und so ist es auch in seinem neusten Film "Julieta".
O-Töne aus "Julieta": Ich kann es gar nicht glauben, Julieta? Vor nur einer Woche habe ich deine Tochter am Comer See getroffen! – Du hast Antía getroffen? – Ja, stell dir vor! Wir haben uns angeschaut und dann habe ich sie angesprochen, weil sie mich nicht erkannt hat. Aber du hast dich gar nicht verändert, Julieta, du siehst sogar noch besser aus! – Und was hat sie gesagt? – Sie sei in die Stadt gefahren, um Sachen für die Kinder zu kaufen. Sie hat drei, zwei Jungs und ein Mädchen! – Was hat Antía noch gesagt? – Wenig. Ich habe sie nach dir gefragt und sie hat gesagt, du lebst noch in Madrid. – Ja, ich bin noch da. Und ich bleibe auch.
Wellinski: Mit dieser Begegnung beginnt Almodóvars neuster Film "Julieta". Er basiert auf drei Kurzgeschichten der Nobelpreisträgerin Alice Munro, die er benutzt, um mit den für ihn sehr typischen Rückblenden eben die Geschichte zu erzählen, die versucht, die kaputte Beziehung zu ihrer Tochter zu verstehen. Und um das Werk von Almodóvar besser zu verstehen, ist Anke Leweke da, hallo!
Anke Leweke: Hallo!
Wellinski: "Julieta", ein typischer, fast schon klassischer Almodóvar?
Leweke: Ja, kann man das sagen? Das ist doch eine dieser herrlich abgedrehten Geschichten voller Herzschmerz, voller Dramatik, voller Romantik. Also, du hast es schon gesagt, der Film ist eine große Rückblende auch und wir lernen eben Julieta als junge Frau in einem Zug kennen, dort trifft sie nicht nur auf den Tod, sondern auch auf ihre große Liebe, dieser großen Liebe folgt sie dann in ein Fischerdorf, denn er ist Fischer, sie bekommen ein Kind, es gibt ein großes Seeunglück, dann geht sie mit der Tochter nach Madrid, dann gibt es viele merkwürdige Coming-outs, dann verschwindet die Tochter, dann sind wir wieder bei Julieta in der Gegenwart. Und das alles ist wieder so in schrillen Farben erzählt und in tollen Kostümen und, ja, man schaut einfach gerne zu. Und das Tolle ist ja eben, dass diese Filme so stilisiert sind und man trotzdem so richtig nahe herankommt an die Gefühle. Und das ist mir bei "Julieta" wieder mal passiert.

Starke Frauenfiguren als Markenzeichen

Wellinski: Unfassbar viele starke Frauenfiguren, das ist sein Markenzeichen. Männer, wenn sie dann auftauchen, das sind entweder dann Schwule, Transvestiten oder eben Betrüger, Mörder, Vergewaltiger …
Leweke: Aber manchmal schreiben sie auch die Romane von Autorinnen zu Ende, weil sie gerade eine Schreibblockade haben, oder?
Wellinski: Ja, das stimmt, aber ist es ein Klischee, wenn man sagt, Almodóvar versteht die Frauen auf der großen Leinwand am besten von allen Regisseuren?
Leweke: Ja, das kann man so sagen. Und er sagt ja gerne in Interviews auch, dass er schon als Elfjähriger "L'Avventura" von Michelangelo Antonioni gesehen hat mit Monica Vitti, und dann erzählt er immer von dem Plakat, wo man sie von hinten sieht, also, man weiß nicht, was sich in ihrem Gesicht spiegelt, aber sie macht so ihren … Ihren Schuh streift sie gerade an, also so eine schöne weibliche Geste. Und genau das hat er, er kann Frauen inszenieren und lässt ihnen trotzdem ihr Geheimnis.
Wellinski: Und trotzdem muss ich sagen … Ich habe mir "Julieta" sehr gerne angesehen, zweifelsohne, es ist einer seiner besseren Filme in seiner Spätphase, und trotzdem frage ich mich: Habe ich das nicht schon ein paarmal bei ihm gesehen, ist er jetzt in dieser gefährlichen Schleife, wo Regisseure sich manchmal hinbegeben, die immer im gleichen Universum bleiben?
Leweke: Ja, also, die Frage habe ich mir natürlich auch gestellt, weil ich natürlich auch den Wiedererkennungseffekt hatte und gedacht habe, ach, die Frau aus "Alles über meine Mutter", die verliert ja sogar ihren Sohn, der stirbt bei einem Verkehrsunfall, ist das nicht noch alles viel tragischer? Man hat die Vergleiche und wenn man sich so die Filmografie anschaut, dann ist mir schon aufgefallen, dass ich die Filme gar nicht mehr so auseinanderhalten kann, die verschiedenen Handlungsstränge. Aber vielleicht sollte man auch gar nicht von Handlungssträngen reden, sondern von Gefühlssträngen, die er immer weiterwebt und andere Schattierungen immer mal hinzufügt, vielleicht ist das jetzt nicht so eine wuchtige Schattierung, aber ich würde gerne manchmal auch so eine Reset-Taste drücken und dieses Kino einfach noch mal neu entdecken.
Wellinski: Neu entdecken ist schon das Stichwort, denn Almodóvar war ja so eine Art Geschenk des neuen Spaniens aus den 80er-Jahren. Davor hatten wir zum Beispiel Carlos Saura, der diese stillen, leichten, intellektuellen Geschichten erzählt, und dann kam er.

"Jedes Begehren ist selbstverständlich"

Leweke: Ja, Punk, Underground, das war eine Ikone in der Movida in den 80er-Jahren, hat auch so Acht-Millimeter-Filme gedreht, die dann hießen "Fick mich, fick mich, fick mich", und weil die Tonqualität so schlecht war, war er auch der große Kinoerzähler, er hat sich immer eine andere Performance ausgedacht. Und ja, er macht eben mit seinen Schauspielerinnen und Schauspielern, er spielt denen wirklich eben alles vor. Und das Tolle ist, dass er die Figuren und einfach die Stimmung aus dieser Zeit eben mit auf die Leinwand genommen hat, und das war eben eine Zeit in den 80er-Jahren, wo sich jeder neu erfinden konnte. Und ich habe jetzt mal so einen kleinen Dialog aus "Alles über meine Mutter" mitgebracht, der das so schön auf den Punkt bringt, da hören wir Marisa Paredes, die eine Schauspielerin spielt, und sie kriegt eine neue Assistentin:
O-Ton aus "Alles über meine Mutter": Sag mal, Agrado, kannst du Auto fahren? – Ja. Ich war mal Lastwagenfahrer. – Ach so? – In Paris, bevor ich mir hab die Titten machen lassen. Dann habe ich das Fahren aufgegeben und bin Nutte geworden. – Das ist ja interessant!
Leweke: Dieses "Das ist doch interessant!", das bringt eigentlich die Haltung von Almodóvar so schön raus, weil, bei ihm ist alles möglich, jedes Begehren ist selbstverständlich und das Normale ist dann völlig absurd. Also, wenn sich dann auf einmal Krankenschwestern über ein Deodorant unterhalten, dann kommt einem das ganz seltsam vor.
Wellinski: Ich will noch mal sagen, dass er zu dieser Art von Autorenfilmern gehört, die auch ganz bewusst Filmgeschichte aufnehmen. Du hast Antonioni erwähnt, aber Billy Wilder zitiert er ganz häufig, ganz wichtig ist auch glaube ich Frank Tashlin, dieser amerikanische Regisseur, der ins Cartoonhafte, ins Comichafte geht. Ich frage mich aber trotzdem: Wir haben immer diesen Sonderfall Emir Kusturica vor uns, den Regisseur aus dem Balkan, der dann irgendwann nur noch die Katzen über die Leinwand geschmissen hat und wir mit den Augen rollen und das Kino verlassen nach zwei Minuten. Ist Almodóvar nicht schon auf dem Weg dahin, sich selbst zu zitieren und manieristisch zu werden?
Leweke: Ja, das kann immer wieder passieren, aber trotzdem habe ich unheimlichen Respekt vor dieser Art des Kinos. Also, grob gesagt, es gibt ja so ein realitätsnahes Kino wie Andreas Dresen, Ken Loach, wo man versucht, die Wirklichkeit einzufangen, es gibt einfach Leute wie Pedro Almodóvar, die so ihre eigene Wirklichkeit erschaffen. Und er sagt ja immer, dass eigentlich Authentische im Kino ist eben die Möglichkeit, dass das Kino repräsentieren kann. Und er ist der Meister der Repräsentation. Und das, finde ich, macht er ganz toll, seine schrillen Farben, es geht doch dann immer ums Melodram, die Frauen, die immer Rot tragen, weil sei begehrt werden möchten, weil sie Begehrende sind. Also, die ganze Ausstattung bis der kleine Blumentopf hinten in der Ecke sagen doch auch immer was so zu diesem Innenleben. Also, das, finde ich, funktioniert immer noch.

Alle Gefühle sind schon mal erzählt worden

Aber wo ich dir dann recht geben würde, er sagt natürlich auch immer, jedes Bild spiegelt auch eben immer die Filmgeschichte. Und seine Figuren gucken ja auch häufig Filme, also Penélope Cruz in "Zerrissene Umarmungen" schaut einen Film mit Ingrid Bergman, die wiederum auf ein Liebespaar schaut, und genauso möchte Penélope Cruz eigentlich auch rumlaufen mit dem Regisseur in dem Film. Also, es ist immer alles so kompliziert. Und er sagt dann eben: Gut, alle Gefühle sind schon mal erzählt worden, deshalb ist eben das gespiegelte Bild auch eben immer Rückhalt. Aber vielleicht gibt es dann irgendwann zu viele Spiegelbilder und vielleicht spiegeln sich nur noch die Gefühle seiner Figuren, und dann kann es einfach schon passieren, dass jemand wie Julieta untergeht in diesem ganzen Spiegelkabinett.
Wellinski: Letzte These, was wäre, wenn Pedro Almodóvar das Setting ändern könnte und nicht mehr in Spanien dreht, für Spanier, sondern zum Beispiel nach Amerika ginge und dort die hispanoamerikanische Community befreien könnte mit diesem Befreiungsschlag? Weil ich glaube, Power hat er noch!
Leweke: Ja, das finde ich ganz interessant und vielleicht ist sein Werk ja sowieso in der Tonlage schon von diesen Sopoparas und so weiter, also, das Kitschige, Pathetische ist schon drin. Und wenn das noch mal überhöht werden würde und wenn das gleichzeitig aber auch die Wirklichkeit des Lebens widerspiegeln könnte, ja, dann wäre das glaube ich 1A!
Wellinski: Anke Leweke über den spanischen Regisseur Pedro Almodóvar und seinen neusten Film "Julieta", der ab kommendem Donnerstag in den deutschen Kinos zu sehen ist. Vielen Dank, Anke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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