Filmanimation bei "Pixar"

Kreativität und Business vereinen

Zu Besuch in den Pixar Animation Studios.
Lebensgroße Protagonisten aus Pixar-Filmen grüßen alle Mitarbeiter und Gäste im "Steve Jobs Building" © ARD / Wolfgang Stuflesser
Von Wolfgang Stuflesser · 28.09.2015
Insgesamt 15 Oscars hat Pixar bereits mit seinen Animationsfilmen gewonnen - der neueste Film des Studios soll sogar Chancen auf den Preis als besten Film des Jahres haben. Hinter diesem Erfolg steckt ein ausgeklügeltes Konzept. Ein Besuch in der Firmenzentrale.
Wenn sie das hier hören, bekommen Millionen Kinder, Eltern und überhaupt Filmfans in aller Welt leuchtende Augen: Es ist der Firmen-Vorspann für alle Animationsfilme von Pixar. Eine alte Schreibtischlampe hüpft auf ihrem Sockel etwas unbeholfen durchs Bild und sucht sich ihren Platz im Schriftzug des Firmennamens, als Ersatz für den Buchstaben "I". "Luxo", wie die Lampe heißt, war Hauptfigur in einem der ersten Kurzfilme des Animationsstudios. Inzwischen steht Pixar für Filme, die Klassiker ihres Genres sind:
Der erste abendfüllende, computeranimierte Film überhaupt, "Toy Story", erzählt, was das Spielzeug so macht, wenn die Kinder gerade mal nicht hinschauen. In "Findet Nemo" sucht ein alleinerziehender Clownfisch seinen verlorenen Sohn und schwimmt dabei einmal um die halbe Welt.
Und "Die Monster AG" zeigt, dass Monster mindestens ebenso viel Angst vor den Kindern haben wie umgekehrt.
"Alle unsere Filme sind am Anfang Mist", sagt Pixar-Präsident Ed Catmull im Interview mit Chris Hewitt vom "Empire Magazine". Und Catmull wirkt glaubwürdig, wenn er versichert, dass das keine falsche Bescheidenheit sei: Über Jahre entwickelt Pixar die Geschichten seiner Filme, bevor sie überhaupt erst animiert werden.
Auch ungewöhnliche Projekte werden gewagt
Die Firma hat eine ausgeklügelte Methodik entwickelt, um jeden Nebenaspekt zu perfektionieren. Das geht nur deshalb, weil die Pixar-Filme nicht real abgedreht werden und so Änderungen fast bis in die letzte Sekunde möglich sind. Denn die Künstler bei Pixar arbeiten am Computer. Sie formen aus komplizierten virtuellen Drahtmodellen lebensechte Charaktere, und sie erzählen Geschichten, die längst neben Realspielfilmen bestehen können.
Pixar wagt sich auch an ungewöhnliche Projekte. Der neueste Film mit dem Titel "Alles steht Kopf", im Original "Inside Out", spielt im Kopf der 11-jährigen Riley - mit ihren Emotionen als Hauptfiguren: Freude, Kummer, Angst, Zorn und Ekel.
Sommer 2015, Emeryville in der Nähe von San Francisco. Pixar hat Journalisten zu einem Pressetag geladen. Normalerweise ist das eine Abfolge von Interviews, garniert mit Häppchen, um die Journalisten bei guter Laune zu halten, damit sie wohlwollende Artikel schreiben. Doch Pixar hat noch ein bisschen mehr zu erzählen. Das fängt schon damit an, dass das Gebäude in dem wir sind, "Steve Jobs Building" heißt. Es ist benannt nach dem legendären Apple-Gründer.
Pixar Animation Studios: der Eingang zum Firmensitz.
Pixar Animation Studios: der Eingang zum Firmensitz.© ARD / Wolfgang Stuflesser
Pete Docter, 46 Jahre alt, Pixars zehnter Angestellter überhaupt und Oscar-Preisträger. Mit 21 hat er hier angefangen, am Tag nach seiner Abschlussfeier an der Uni. Ein großer, schlacksiger Typ mit Hipsterbrille, der sich einfach zwischen uns Journalisten auf eins der Sofas setzt, die im Vorführ-Kino des Pixar-Gebäudes die normale Bestuhlung ersetzen. Docter hat bei "Die Monster AG" und "Oben" Regie geführt - und beim neuen Film "Alles steht Kopf". Im Grunde erzählt er die Geschichte seiner eigenen Tochter, erklärt er, die habe sich mit elf Jahren sehr verändert:
Sie sei nicht mehr so lustig gewesen wie früher, sondern viel ernsthafter. Als Vater sei es ihm schwergefallen, von der Kindheit seiner Tochter Abschied zu nehmen. Das war die Grundlage für den Film.
Eine Blick in die Gefühlswelt eines Kindes
Das Ergebnis ist ein 94-minütiger Parforceritt durch die Gefühlswelt eines Mädchens, das mit seinen Eltern von Minnesota nach San Francisco zieht. Doch statt die kalifornische Sonne zu genießen, sehnt sich Riley nach ihrer alten Heimat und zieht sich immer mehr in sich zurück. Was sich zunächst anhört wie ein Ingmar-Bergman-Drama, ist in Wirklichkeit eine tiefsinniger, aber unterhaltsamer Blick in die Gefühlswelt eines Kindes.
Durch den Kniff, die Emotionen zu einzelnen Figuren zu machen, kann der Film Gedankenprozesse wie eine äußere Handlung zeigen. Zum Beispiel, wenn dem Mädchen ihre Emotion "Freude" buch-stäblich abhanden kommt und auf einmal die anderen Emotionen versuchen müs-sen, fröhlich zu wirken, wie hier im Gespräch zwischen Mutter und Tochter.
Regisseur Pete Docter erklärt, er habe die Geschichte so wissenschaftlich fundiert wie möglich erzählen wollen. Also recherchierte er erst einmal, wie viele Emotionen es nach neuester Forschung überhaupt gibt:
"Die größte Überraschung war, wie gering der Konsens zwischen den Forschern ist. Manche gehen von vier Emotionen aus, andere von 16 oder 24, manche sagen, es gibt gar keine, was ich absurd finde. Der Mangel an harten Fakten über das Gehirn war befreiend: Wir konnten uns einfach alles ausdenken."
Viel Zeit geht in die Entwicklung der Geschichte
Rund fünf Jahre hat Docter an dem Film gearbeitet. Davon - und das ist typisch für Pixar - gingen allein zweieinhalb Jahre in die Entwicklung der Geschichte. Co-Regisseur Ronnie del Carmen:
"Die Geschichte zu finden, ist die schwierigste Aufgabe und dauert am längsten. Den Film zu produzieren, dazu brauchen wir nur anderthalb Jahre – wir wissen, was wir tun müssen, damit ein Film gut aussieht. Aber einen Film zu machen, bei dem man mitfühlt und sich einlässt auf die Abenteuer der Figuren – das ist schwierig."
Zunächst mussten Docter und del Carmen das Studio von der Idee ihres Films überzeugen – dass der Kopf eines Mädchen zum Schauplatz der Handlung wird, ist schließlich ein ambitioniertes Konzept – und genau deshalb war John Lasseter, der Kreativchef von Pixar, von Anfang an begeistert. Er, der selbst bei "Toy Story" Regie geführt hat, sagt, "Alles steht Kopf" könnte im Rückblick einmal der wichtigste Film sein, den Pixar je produziert hat:
"When people look back at the history of Pixar, 'Inside Out' could very well be our most important film we've ever made."
Alle Mitarbeiter dürfen ihren Senf dazu geben
In den USA, wo der Film schon im Juni in die Kinos kam, lobten Kritiker die visuelle Umsetzung der Emotionen in Figuren, die wie aus winzigen Schwebepartikeln zusammengesetzt scheinen. Die Gedankenwelt ist knallig bunt, Rileys triste Außenwelt dagegen entsättigt und blass.
Der Weg zum fertigen Film war lang, und am Anfang steht ein Daumenkino: Aus Schwarz-Weiß-Zeichnungen entsteht ein erster grober Film in Form von Standbildern. Pixar-Kollegen sprechen die Dialoge der Figuren ein, denn Schauspieler kommen erst später zu Einsatz, wenn die Geschichte steht. Und das tut sie zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht. Denn jetzt setzt der Pixar-Prozess ein - ein mehrfaches Wiederholen des gleichen Vorgangs: Die Filmemacher zeigen ihren Film der gesamten Firma - und alle dürfen ihren Senf dazu geben. Die sogenannten "Notes", Zettel, auf die Kollegen ihre Kommentare schreiben, seien sehr wichtig, sagt Pete Docter.
"Wir hatten zunächst noch diese Figur namens Frank - er stand fürs rationale Denken. Doch im Zusammenspiel mit den Emotionen wurde das Mädchen Riley auf einmal zu einer Maschine, die bedient wurde. Wir wollten die Geschichte aber so erzählen, dass die Figur "Freude" eine Art Elternperspektive hat. Dafür braucht Riley einen freien Willen - unabhängig von ihren Emotionen."
Einblick in die Arbeit der Pixar Animation Studios.
Einblick in die Arbeit der Pixar Animation Studios.© ARD / Wolfgang Stuflesser
Etwa alle vier Monate wird der entstehende Film vorgeführt, bei "Alles steht Kopf" insgesamt zehn Mal. Pixar-Präsident Ed Catmull hat über diesen Prozess ein Buch geschrieben: "Die Kreativitäts-AG" heißt es und beschreibt, wie Pixar versucht, intern Kreativität zu fördern. Catmull ist schließlich derjenige, der davon überzeugt ist, dass alle Pixar-Filme anfangs Mist sind. Bei den 15 abendfüllenden Filmen, die die Firma mittlerweile produziert hat, gab es ein Problem immer wieder:
"Die meisten Regisseure verlieren sich in ihren Filmen. Das heißt, sie erkennen vor lauter Arbeit die eigentliche Geschichte nicht mehr. Und das Feedback von Kollegen, die ähnliches durchgemacht haben, hilft den Regisseuren, das zu sehen, was sie normalerweise nicht gesehen haben."
Fast völliger Neustart
Bei "Alles steht Kopf" hat dieser Prozess volle zwei Jahre nach dem Beginn der Arbeit am Film zu einem fast völligen Neustart geführt, wie Pete Docter erzählt. Denn zunächst sollte "Angst" Gegenspieler von "Freude" sein.
"Ich ging spazieren und sagte mir: Dieser Film funktioniert einfach nicht, ich sollte einfach alles an den Nagel hängen. Und dann habe ich mir überlegt, was ich am meisten vermissen würde: Meine Kollegen, mit denen ich durch frohe und traurige Tage gegangen bin. Kummer verbindet – und da wurde mir klar, dass Kummer die Gegenfigur zu Freude sein muss. Ich habe dann John Lasseter und Ed Catmull gefragt, ob das nicht viel besser wäre – und zum Glück fanden sie das auch."
Um solche Probleme zu lösen, hat Pixar noch ein weiteres Instrument, den "Brain Trust", benannt nach der Expertengruppe, von der sich Präsident Franklin Roosevelt beraten ließ. Bei Pixar sind das die Top-Führungskräfte, aber auch alle Regisseure und Drehbuchchefs. Sie beraten, dürfen dem Regisseur aber keine Anweisungen geben. Pete Docter sagt, mit dem Brain Trust als Berater an seiner Seite traue er sich auch selbst mehr:
"Man sieht den Film mit neuer Perspektive und lernt von diesen brillanten Köpfen wie John Lasseter und Andrew Stanton. Deren Ideen nimmst du dann mit in deinen Film und probierst es noch einmal. Du darfst also immer wieder Fehler machen, und musst Dich nicht auf die Lösung stürzen, die sicher funktioniert. Es wird im Grund erwartet, dass Du Fehler machst; niemand geht davon aus, dass du es beim ersten Mal richtig machst."
Steht die Geschichte, sprechen Schauspieler die Dialoge ein. Sie sehen dabei also nicht die fertigen Figuren, sondern nur ungefähre Zeichnungen der Handlung. Die Dialoge werden auch deshalb zuerst aufgenommen, weil die Animatoren zum Beispiel die Lippenbewegungen der Figuren an den Text anpassen – allerdings nur für das englische Original.
Oscar als bester Film des Jahres?
Man fragt sich ein bisschen, was zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch die Aufgabe des Regisseurs ist. Chef-Animator Victor Navone zeigt uns Journalisten dazu ein Video von den sogenannten "Dailies": Täglich schaut sich der Regisseur mit seinem engsten Beraterkreis winzige Ausschnitte des Films an, immer und immer wieder. Und gibt Anweisungen, wenn zum Beispiel eine Figur ihre Arme anders halten soll.
Das unterscheidet sich nicht so sehr von der Art, wie ein Realfilmregisseur seine Darsteller in Szene setzt - nur das hier die Animatoren wie Puppenspieler die computer-generierten Figuren führen, so, wie der Regisseur es will. Es sind noch viele Schritte nötig, von Licht- und Schattengebung über die Farbinszenierung bis zu Geräuschen und Musik, bis der Film fertig ist. In den USA hat "Alles steht Kopf" Publikum wie Kritiker begeistert.
Wieder einmal scheint Pixar dem eine Flugstunde entfernten Hollywood zu zeigen, wie man's macht. Im hellen Atrium des Steve-Jobs-Gebäudes steht eine Vitrine mit 15 Oscars, die die hier produzierten Filme bislang gewonnen haben. Dass Pixar regelmäßig den Preis für den besten Animationsfilm holt, ist die Branche schon gewohnt. Bei "Alles steht Kopf" könnte es aber zu einer Premiere kommen, vermutet der BBC-Filmkritiker Mark Kermode:
"Es gibt eine Diskussion unter Filmkritikern, dass 'Alles steht Kopf' der erste animierte Film sein könnte, der den Oscar als bester Film des Jahres gewinnt. Und der Film ist so intelligent, witzig, bewegend und gut gemacht, dass er diese Hürde nehmen und die Academy aufwecken könnte."
Von solchen Aussichten möchte Regisseur Pete Docter im Moment noch nichts wissen. Fragt man ihn danach, worauf er bei seinem Film besonders stolz ist, dann antwortet er mit einer Geschichte, die in seinen Augen zeigt, wie gut der Film gerade bei Kindern funktioniert.
"Es gab einen Jungen, dessen Vater am Film mitgearbeitet hat, und er hat mir erzählt, dass sein Sohn beim Schwimmunterricht nie vom Sprungbrett springen wollte – er hatte Angst davor. Nachdem er den Film gesehen hat, ist er doch gesprungen. Alle sagten: 'Super, wie hast Du das gemacht?' Und der Junge sagte: 'Ich hatte das Gefühl, dass 'Angst' am Steuer saß, und ich hab' ihn gebeten, mal zur Seite zu rücken.' - Das heißt, der Film hat nicht nur funktioniert, sondern er hat das Verhalten des Jungen verändert. Das ist großartig."
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