Film "Parcours d'amour"

Beim Tanzen hat man nichts zu verlieren

Regisseurin Bettina Blümner
Regisseurin Bettina Blümner © picture alliance / dpa / Foto: Jörg Carstensen
Bettina Blümner im Gespräch mit Susanne Burg · 30.05.2015
Regelmäßig treffen sich ältere Damen und Herren im Pariser Club "Le Memphis" zum Tanzen - nebenbei wird geflirtet und es gibt Affären. "Parcours d'amour" ist ein Dokumentarfilm von Regisseurin Bettina Blümner, die mit "Prinzessinnenbad" bekannt geworden ist.
Susanne Burg: Ihr Debütfilm war ein Überraschungserfolg. In "Prinzessinnenbad" hat Bettina Blümner Teenagermädchen aus Berlin-Kreuzberg durch ihren Alltag begleitet. 2013 lief "Scherbenpark" an, die Verfilmung des Romans von Alina Bronsky über das junge Mädchen Sascha und ihre Rache am Stiefvater. Nun kommt wieder ein Dokumentarfilm von Bettina Blümner ins Kino, "Parcours d'amour". Darin porträtiert sie ältere, alleinstehende Damen und Herren, die regelmäßig tagsüber in Paris tanzen gehen.
"Wenn ich nicht tanze, werde ich krank", erzählt Christiane. Damit das nicht passiert, geht sie eben tanzen, tanzen, tanzen – mit Michel. Michel ist Taxiboy, ihn kann man als Tanzpartner mieten. Der Film stellt diese Menschen vor, erzählt, was sie bewegt und antreibt. Und was Bettina Blümner an diesen Menschen interessiert hat, das kann sie uns jetzt selbst erzählen, sie ist hier im Studio. Guten Tag!
Bettina Blümner: Guten Tag!
Burg: Ja, in zwei der Filme, die ich eingangs erwähnt habe, standen Jugendliche im Zentrum, Sie selbst sind Jahrgang 1975. Was hat Sie an dieser Tanzszene in Paris fasziniert, an Menschen, die, ja, manchmal fast doppelt so alt sind wie Sie?
"Ich war sehr angezogen und visuell interessiert, was da passiert"
Blümner: Ich war in Paris und hab gesehen, wie die alten Leute vor dem Tanzcafé Schlange standen, und hab mich gefragt, was denn da los ist, warum stehen hier 60-, 70-, 80-jährige Männer und Frauen, fein gekleidet, schick gemacht, geschminkt, vor diesen Etablissements und bin einfach mal reingegangen und hab mich in dieser Welt umgeschaut und war direkt fasziniert. Also man kommt um 14 Uhr da rein, es ist dunkel, man kriegt einen kleinen Schnaps angeboten, und die alten Männer und Frauen stehen auf der Tanzfläche und flirten, sprechen miteinander, tanzen. Und ich war sehr angezogen und visuell und inhaltlich interessiert, was da passiert.
Burg: Viele Szenen sind im Nachtclub Le Memphis gedreht, ein Nachtclub, das sieht man am Dekor, den es schon einige Zeit gibt. Wie sind Sie auf ihn gestoßen, welche Bedeutung hat der in Paris?
Blümner: Le Memphis ist eines der schönsten Tanzcafés, wie ich finde, sehr in Rottönen gehalten, und tatsächlich habe ich Freunde, die direkt um die Ecke wohnen, und ich hab mir dann einfach mal alle Tanzcafés, alle Tanztees in Paris angeschaut, die es überhaupt gibt. Der Besitzer hat mich direkt ins Herz geschlossen und mir jede Schraube und jeden Stuhl und jedes Parkett, alles gezeigt, was es dort gibt, und mir die ganze Geschichte des Etablissements erklärt. Und ja, ich war dann dort Stammgast und habe dann einige Runden tanzen müssen, bis ich meine Protagonisten kennengelernt habe. Und so kam ich dann zu diesem Filmthema und hab immer mehr Spaß und Freude dran gefunden.
Burg: Im Laufe dieser Recherche, als Sie dann die kennengelernt haben, was haben Sie verstanden, was die eigentlich antreibt, warum die zum Tanzen gehen?
"Ein sozialer Ort, wo sich Menschen treffen"
Blümner: Es ist so, dass ja wirklich tanzen sehr essenziell ist für sie, dass es Lebensinhalt ist, dass es Lebensfreude ausdrückt. Es ist eine sportliche Aktivität, also man muss auch wirklich fit sein, um diese ganzen Tänze absolvieren zu können. Auf der anderen Seite ist es ein sozialer Ort, wo sich Menschen treffen und sich auch kennenlernen wollen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass hier statt 20-, 30-jährige Clubbesucher einfach 70-, 80-jährige Clubbesucher sind, die alle noch aktiv sind und Spaß haben und diese verschiedenen Clubs oder Tanztees haben, wo sie sich kennenlernen, treffen, austauschen und dass es sie auf so eine gewisse Art und Weise auch jung hält.
Burg: Michel ist einer, den hatte ich eingangs schon erwähnt, den kann man mieten, er nennt sich Taxiboy. Er ist sehr professionell, will nie, dass es zu irgendwelchen Anzüglichkeiten kommt. Welche Geschichte haben diese Taxiboys, welche Rolle spielen die genau?
Blümner: Taxiboys sind Tänzer, die man tatsächlich mieten kann, und es ist eine Auszeichnung, wenn man sich als Frau so einen guten Tänzer leisten kann, also ist wie so ein Schmuckstück, was man am Finger trägt. Man hat ja dadurch die Möglichkeit, einfach ununterbrochen zu tanzen. Während man sonst als Frau darauf wartet, aufgefordert zu werden oder bei Damenwahl jemanden auffordert, ist man sozusagen ständig beim Tanzen, also Liebhaber des Tanzes, und ältere Damen, die sich das auch leisten können, nehmen sich diesen Taxiboy, um wirklich das Tanzerlebnis zu steigern.
Burg: Und wie stellt er sicher, dass da irgendwie diese professionelle Distanz gewahrt wird – das betont er ja auch im Film –, haben Sie das auch so empfunden?
Blümner: Ja, ich glaube, es gibt auch beides, also es gibt, glaube ich, Taxiboys, wo diese Distanz sozusagen gesetzt ist, so wie bei Michel, es gibt, glaube ich, auch andere, wo das so ein bisschen weicher oder fließender ist, der Übergang. Natürlich ist trotzdem immer so eine Faszination da für den Taxiboy. Also alle älteren Damen, die sich den Taxiboy geleistet haben, waren alleinstehend, verwitwet, und Michel war da schon so eine sehr wichtige Person in deren Leben.
Burg: Also in gewisser Weise eine anständige Art und Weise, dann sich doch irgendwie einen Mann zu leisten.
Blümner: Ja.
Burg: Und trotzdem hat man so ein bisschen den Eindruck, dass die Männer häufig dann wieder hingehen, weil sie auch nach Körperlichem suchen, weil sie auch irgendwie Sex haben wollen. Die Frauen reden häufig so, als seien sie Opfer von diesen Anzüglichkeiten und manchmal auch von betrügerischen Machenschaften. Ist das nicht dann doch arg in alten Geschlechterrollen verhaftet?
"Die Frauen sind sehr auf der Suche"
Blümner: Also ich glaube, dass es trotzdem ambivalent ist. Die Männer geben sich natürlich als Superhelden, aber wenn man genauer hinschaut, sind sie es auch nicht wirklich. Und die Frauen sind sehr auf der Suche und suchen aber trotzdem in gewissen Begegnungen auch nur den Flirt. Also es ist auch, glaube ich, nicht immer alles eins zu eins, wie es gesprochen wird. Man spürt zwischen den Zeilen, dass beide suchen. Am Ende des Films hat Christiane eine Affäre mit einem verheirateten Mann und findet es auch ganz gut. Also ich glaube, es gibt in beiden Fällen Ambivalenzen, die auch rauskommen im Film.
Burg: Wie schwierig war es, diese Ambivalenzen dann auch in den Film reinzubringen? Sie haben ja erzählt, am Anfang sind Sie da in diese Szene gekommen, diese Tanzszene, und daraus dann einen Film zu machen, da auch eine Dramaturgie zu entwickeln, wie sind Sie da vorgegangen?
Blümner: Ich hab sehr viel Zeit mit der Recherche verwendet und hab sehr viele Stunden in den Tanztees verbracht und habe viele Leute getroffen. Es gibt auch viele verheiratete Paare, wo der eine Partner jetzt nicht tanzen geht, aber auch gar nicht weiß, dass der Partner tanzen geht, also es gibt auch viele Affären. Manche wollten auch nicht gefilmt werden, weil sie Angst hatten, dass dann vielleicht der Partner erst erfährt, dass sie tanzen gehen und dort noch andere Frauen und Männer treffen. Also es ist ein ganz schöner Ort, und ich hab einfach geschaut, welche Protagonisten mir besonders nahe waren und welche sich öffnen konnten, und hab dann mit denen sehr viel Zeit verbracht.
Burg: Im letzten Jahr kam der Dokumentarfilm "Die letzten Gigolos" in die Kinos von Stephan Bergmann, ein Film mit einem ähnlichen Sujet. Da geht's darum, er begleitet Gentlemen-Hosts auf Kreuzfahrtschiffen, also sie sollen eben alleinstehende ältere Damen zum Tanz auffordern. Ist Ihnen nicht das Herz in die Hose gerutscht, als Sie mitbekamen, dass der Film in die Kinos kommt?
Blümner: Ich hab den Film leider nicht gesehen, aber nee, ich denke, dass es viele gute Filme zu dem Thema gibt wahrscheinlich, ältere Menschen – also ich finde es gut, wenn es eine Vielfalt an Filmen gibt.
Burg: Haben Sie denn eine These dazu, warum es in letzter Zeit relativ viele Filme über auch ältere Menschen gibt, vor allem auch von jüngeren Menschen?
Blümner: Na ja, ich sehe da auch Parallelen zu den Jugendlichen. Das Arbeitsleben ist vorbei, sie gehen jetzt aus, sie amüsieren sich, sie haben eigentlich keine Grenzen, sie haben nichts zu verlieren und haben Spaß und ja, es ist vielleicht ein ähnliches Lebensgefühl wie in der Pubertät, obwohl natürlich der Tod bevorsteht und man auch gleichzeitig noch eine Melancholie spürt, die man bei den jungen Protagonisten aus "Prinzessinnenbad" jetzt nicht spürt.
Burg: Das neue Ergebnis von Bettina Blümner ihrer filmischen Arbeiten, und das kann man ab Donnerstag im Kino sehen, es heißt "Parcours d'amour". Herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Blümner: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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