Film "Ma folie" von Andrina Mracnikar

Gekonntes Spiel mit den Perspektiven

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Die Regisseurin Andrina Mracnikar hat mit ihrem Spielfilm "Ma Folie" zahlreiche Preise gewonnen. © Deutschlandradio Kultur / Norbert Wassmund
Regisseurin Andrina Mracnikar im Gespräch mit Patrick Wellinski · 16.07.2016
Der Film "Ma folie" beginnt mit der großen Liebe. Doch die wandelt sich schnell in Eifersucht und Paranoia. Acht Jahre lang hat Regisseurin Andrina Mracnikar daran gearbeitet. Nun kommt das vielfach ausgezeichnetes Werk ins Kino.
Patrick Wellinski: In "Vollbild" liegt uns der deutschsprachige Nachwuchs besonders am Herzen, und wir laden uns in aller Regelmäßigkeit Regiedebutanten ein, die versuchen, mit ihren Werken schon recht früh in ihrer Karriere die deutsche Filmlandschaft ein wenig aufzumischen.
Das ist der österreichischen Regisseurin Andrina Mracnikar bereits gelungen. Für ihr Debut "Ma folie" bekam sie letztes Jahr den First Steps Award für den besten Nachwuchsfilm. Jetzt kommt "Ma folie", diese sehr moderne Geschichte um eine junge Liebe, die von der Eifersucht eines Partners in einen düsteren Thriller rutscht, auch in unsere Kinos.
Wellinski: "Ma folie" beginnt mit einer Liebe auf den ersten Blick. In einem Pariser Bistro sehen sich Hanna und Jan zum ersten Mal, und in Wien beginnt dann eine sachte Beziehung, die sich dann weiterentwickelt, als Jan seine Eifersucht nicht mehr im Griff hat. Was war denn der Ausgangspunkt für Ihren Spielfilm?

Mit dem I-Phone gefilmte Liebesbriefe

Mracnikar: Die Idee einer Beziehung natürlich, die kippt, die vom sehr Positiven, sehr Hellen, sehr Romantischen in etwas Düsteres kippt. Und die Lettres Filmées, die ein wesentliches Element sind im Film, das sind gefilmte Liebesbriefe, die er ihr schickt, anfangs sehr liebevolle, sehr poetische, und dann, nach der Trennung, sehr düstere. Diese Lettres Filmées waren von Anfang an ein wichtiges Element. Das hat mich sehr interessiert, der Film im Film und die Spiegelung und Reflexion.
Wellinski: Die macht er mit einem I-Phone?
Mracnikar: Genau, die filmt er mit einem I-Phone und schickt sie ihr dann über Computer oder auch übers I-Phone direkt. Und in der ersten Drehbuchfassung war das noch mit der Videokamera, aber da hat sich die Technik im Lauf der Zeit doch so verändert.
Wellinski: Hat er ihr dann VHS-Kassetten in der ersten Fassung geschickt?
Mracnikar: Genau, in der ersten Fassung waren es noch VHS-Kassetten.
Wellinski: Sie dekonstruieren in Ihrem Film ja auch auf eine gewisse Weise diese Idee oder das Konzept dieser Liebe auf den ersten Blick, denn dieser erste Blick ist ja immer sehr romantisch. Da ist eine Spannung da, die ist ja vor allem positiv konnotiert, wie Sie es genannt haben. Haben Sie das auch gemacht, weil Sie vielleicht ausdrücken wollten, dass man dieser ersten Reaktion, diesem ersten Blick nicht wirklich immer trauen sollte?
Mracnikar: Ich glaube, es geht darum, dass man Blicken oder sagen wir vielleicht Blicken oder Projektionen auch nicht immer trauen sollte. Es geht ja ganz stark um Vertrauen, um Vertrauen auch in die eigene Wahrnehmung. Und bei der Protagonistin Hannah kippt das dann auch, also sie traut sich am Ende auch selbst nicht mehr ganz und ihren eigenen Blicken und ihrer Wahrnehmung.

Von Haneke inspiriert

Wellinski: Interessanterweise zeigen Sie auch die Wahrnehmung von Jan, der ja auch sehr verliebt beginnt. Das wird ja noch gesteigert durch diese Lettres Filmées, diese kleinen I-Phone-Filmchen, die ja am Anfang wirklich etwas Wunderschönes haben, etwas Verspieltes, etwas hoch Romantisches, Verknalltes, und die dann aber auch, weil er ja weiter ihr I-Phone-Filmchen schickt, die dann anders konnotiert sind - also auch sein Blick verändert sich ja, von dem Positiven zu dem sagen wir mal Aggressiv-Eifersüchtigen.
Mracnikar: Genau, auch seine Perspektive verändert sich, und eigentlich ist er es, von dem aus diese Eifersucht oder die Eifersucht und das Misstrauen und die Paranoia beginnen bei ihm und schwappen dann so langsam auch auf Hannah über und dann auf das ganze Umfeld. Und sein Blick wird durch die Lettres Filmées erzählt, und sonst ist man in Hannahs Perspektive und in ihrem Blick auf die Welt.
Wellinski: Dieser Bereich des Films, Ihres Spielfilmdebuts, muss man sagen, des Films im Film, also diese I-Phone-Filmchen, wie haben Sie die eigentlich entwickelt? Die haben Sie auch selbst produziert, oder?
Mracnikar: Genau.
Wellinski: Worauf ich hinaus will: In diesen Filmchen selbst finden ja nicht nur Momente statt zwischen den Figuren, sondern eben auch externe Filme, also auch Hollywood-Filme statt. Wie haben Sie die konzipiert, wie wollten Sie, dass die aussehen?
Mracnikar: Das war gar nicht so einfach. Die Lettres Filmées bestehen aus selbst gedrehtem Material mit den Darstellern, aber auch aus Found Footage. Zum Beispiel sind das auch Sachen, die man im Internet findet, Kunstfilme, alles Mögliche, und natürlich auch sehr bekannte Spielfilme. Und das war relativ schwierig, die standen schon so im Drehbuch, die Lettres Filmées, auch mit Bildern, die da vorkommen. Da kam zum Beispiel "Casablanca" vor. Und für viele Filme war es dann unmöglich oder sehr teuer, die Rechte zu bekommen. Da mussten wir dann bis zuletzt im Schnitt auch noch Dinge austauschen. Das heißt, "Casablanca" ist es dann im Endeffekt nicht geworden, dafür "Tarnished Angels". Es war dann immer so ein Ausprobieren, und man musste dann natürlich auch wieder lang recherchieren und Ersatzszenen suchen und Ersatzfilme suchen.
Wellinski: Wenn sich dieses Pärchen dann, also die Sequenzen mit dem Pärchen dann abwechseln mit den Lettres filmées in dem Film, passiert etwas Interessantes mit unserem eigenen Blick. Wir sind nämlich selbst irgendwann verunsichert, weil es kommt ein Moment, wo Jan verschwindet - so viel muss man ja gar nicht verraten -, und plötzlich wird auch Hannah irgendwie beobachtet oder nicht beobachtet, und es schleicht sich so eine Verunsicherung hinein, mit der Sie sehr clever schon am Anfang arbeiten. Es kommt ja gar nicht so plötzlich. Und ich hatte da plötzlich einen Namen im Kopf, nämlich Michael Haneke mit "Caché". Das ist doch so eine Schule, die durchaus von da kommt. Ist das so eine Inspirationsquelle durchaus?
Mracnikar: Das werde ich öfter gefragt, aber ich habe ja auch bei Michael Haneke Regie studiert an der Filmakademie Wien. Ich muss aber sagen, dass meine Geschichte tatsächlich, also diese Lettres-Filmées-Geschichte tatsächlich vor "Caché" entstanden ist. Ich habe sehr lange das Drehbuch entwickelt, und diese Geschichte war schon vor "Caché" da. Tatsächlich.
Wellinski: Hat er das vielleicht von Ihnen abgekupfert?
Mracnikar: Ja, das sage ich auch immer. Ich glaube es fast, ja.
Wellinski: Sie haben ja schon die lange Entstehungszeit des Films erwähnt, zehn Jahre ungefähr, falls ich nicht…
Mracnikar: Acht Jahre circa.
Wellinski: Acht Jahre. Warum so lange?

Kein sehr österreichischer Film

Mracnikar: Ich habe schon für das allererste Treatment den Carl-Mayer-Drehbuchpreis bekommen, das ist so der höchstdotierte Drehbuchpreis in Österreich für unverfilmte Drehbücher, und habe dann auch gedacht, dass es jetzt ja schnell gehen wird. Dem war aber nicht so. Ich war bei verschiedenen Produktionsfirmen, und der Drehbuchprozess ging dann auch zum Teil in falsche Richtungen. Ich war bei zwei verschiedenen Produktionsfirmen, und es war dann auch Teil des Prozesses, mir das Drehbuch wieder selbst anzueignen und wieder mein eigenes Drehbuch daraus zu machen.
Wellinski: Es ist schwer, seine eigene Vision oder beziehungsweise eigene Filmidee gerade eines Spielfilmdebuts dann zu produzieren, zu erschaffen, wenn dann so viele andere Parteien mitarbeiten sollen, aber dann ihre eigenen Visionen, Ideen da mit einbringen. Es ist schwer, sich da zu behaupten als junger Filmemacher.
Mracnikar: Ja, gerade beim ersten Langspielfilm ist das sehr schwer. Es ist natürlich ein Teil des Prozesses, für sich selbst mal klar zu machen, was will ich eigentlich, was ist mein Grundthema, was möchte ich erzählen. Und wenn dabei noch so viele Leute mitreden, Dramaturgen und Produzenten, kann es auch sehr verwirrend werden. Und es kann noch mal schwerer werden und schwammiger werden.
Wellinski: Da wir Michael Haneke gerade erwähnt haben, aber Sie meinten, sie waren ihm quasi voraus, wollte ich noch nach Einflüssen sowieso fragen. Der Titel "Ma folie", der evoziert natürlich so ein gewisses französisches Kino. Ist das auch ein Bezugspunkt gewesen oder eher nicht?
Mracnikar: Doch, auf alle Fälle. Ich bin sicher auch geprägt vom französischen Kino, und ich glaube, der Film ist jetzt auch nichts, was man typisch österreichisch nennt. Das wird mir zumindest immer wieder so gesagt, dass der Film nicht sehr österreichisch sei, sondern eher auch mit dem französischen Kino verglichen wird. Wobei ich selbst da immer ein bisschen skeptisch bin, weil österreichisches Kino ist breit und französisches Kino natürlich auch. Und der Titel "Ma folie", der war wirklich von Anfang an, schon von der allerersten Fassung an, und ich finde den so schön, weil er so viele Schichten hat. "Ma folie" kann sein: meine Verliebtheit - im romantischen Sinne, aber eben auch: mein Wahnsinn und meine Verrücktheit.

Sehr strenge Bildsprache

Wellinski: Welche Rolle spielt dahingehend eigentlich Hannahs Job? Denn man muss sagen, sie arbeitet in der Kinderschutzhilfe, falls ich mich nicht irre. Dort betreut sie Kinder in Not, unter anderem ein junges Mädchen. Welche Rolle spielen diese Sequenzen in der Hauptentwicklung von Hannah?
Mracnikar: Hannah arbeitet als Psychotherapeutin in einem Kinderschutzzentrum, ist aber noch relativ jung. Es ist eine ihrer ersten Psychotherapien, die sie jetzt allein macht. Auch das kam im Drehbuchprozess sehr spät erst dazu. Ich habe lange gesucht nach dem richtigen Beruf, nach etwas, was einen Teil oder einen Aspekt der Geschichte widerspiegelt, ohne dabei plump zu sein. Auch ein Beruf, der für die Protagonistin wichtig ist, der ihr auch etwas bedeutet, und damit auch etwas auf dem Spiel steht für sie. Und es wird ja dann auch - ihr Privatleben spielt ja ins Berufliche dann mit und gefährdet ihr Berufsleben. Das fand ich interessant. Und der Beruf der Therapeutin - Sie betreut dann ein Kind mit Panikattacken - spiegelt auch ein wenig sie wider.
Wellinski: Wir sollten auch über den Look Ihres Films sprechen. Wir haben jetzt über die psychologischen Verwicklungen, die Entwicklungen im Drehbuch, die Figurenbewegung gesprochen. Wie wollten Sie, dass "Ma folie" aussieht letztendlich? Ich hatte das Gefühl, dass vielleicht ja die Lettres Filmées, wenn Sie sagen, dass die am Anfang standen, auch schon den Look des Films vorgegeben haben auf gewisse Art und Weise.
Mracnikar: Wobei die Lettres Filmées, würde ich sagen, sind sehr wild und sehr frei, aus der Hand gedreht. Das haben der Kameramann, Gerald Kerkletz, aber auch ich habe gedreht, und Sabin Tambrea, der Darsteller, hat auch Material gedreht, da waren wir relativ wild und frei, und im restlichen Film sind wir im Grunde, würde ich sagen, sehr streng. Das ist sicher etwas, was ich schon auch von Michael Haneke habe, oder wo wir uns da finden, ist eine sehr strenge und genaue Bildsprache.
Wellinski: "Ma folie" kommt nächsten Donnerstag in die deutschen Kinos. Andrina Mracnikar war mein Gast. Vielen Dank!
Mracnikar: Danke schön, danke für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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