Film "Leviathan"

International bejubelt, in Russland umstritten

Alexej Serebryakov in einer Szene des Films "Leviathan" von Andrej Swjaginzew.
Alexej Serebryakov in einer Szene des Films "Leviathan" von Andrej Swjaginzew. © picture alliance / dpa / RIA Novosti Maslov
Von Gesine Dornblüth · 02.02.2015
Der Film "Leviathan" des russischen Regisseurs Andrej Swjaginzew gewann den Golden Globe und wurde sogar für den Oscar nominiert. In Russland jedoch hagelt es Kritik von Seiten der Politik und der Kirche.
Russlands Kulturminister Wladimir Medinskij war in seinem Urteil noch milde. Ihm gefalle Andrej Swjaginzews preisgekrönter Streifen "Leviathan" nicht, er sei zu negativ. Wladimir Schirinowksij, der populistische Fraktionsführer der sogenannten Liberaldemokraten, wetterte sogar in der Staatsduma gegen den Film.
"Es gibt darin nichts als Flüche, Flüche und Wodka. So ein Russland gefällt niemandem. Hat Zvjaginzew das etwa zufällig gemacht? Nein. Extra. Damit sich selbst bei uns die Leute von Russland abwenden."
Sergej Markow, Mitglied der Gesellschaftskammer beim Präsidenten, setzte noch einen drauf: "Leviathan" sei kein russischer, sondern ein antirussischer Film, bestellt vom Westen.
"Leviathan" spielt in der russischen Arktis. Der Kfz-Schlosser Nikolaj soll enteignet werden, die Stadt hat ein Auge auf sein Grundstück geworfen. Nikolaj klagt gegen die Entscheidung, legt sich mit dem korrupten Bürgermeister an. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, der Bürgermeister steckt mit Staatsanwaltschaft, Polizei und Richterin unter einer Decke. Am Ende verliert Nikolaj sein Haus und landet selbst im Gefängnis.
Die Protagonisten trinken und fluchen tatsächlich viel, doch aus der Fassung, die am Donnerstag in die russischen Kinos kommt, sind die Flüche herausgeschnitten. Das russische Gesetz verbietet Kraftausdrücke in Film und Fernsehen. Eine wichtige Rolle spielt die Kirche in dem Film. In einer Schlüsselszene speist der mächtige Bürgermeister mit dem Priester. Er sorgt sich um seine Macht. Der Geistliche beruhigt ihn.
"Spende viel. Und großzügig. Mach dir keine Sorgen. Jede Macht ist von Gott. Solange du Gott gefällst, brauchst du dir keine Sorgen zu machen."
Orthodoxe Aktivisten wollen Film verbieten lassen
Orthodoxe Aktivisten forderten Kulturminister Medinskij sogar auf, den Film in Russland zu verbieten. Der einflussreiche Erzpriester der orthodoxen Kirche Vsevolod Tschaplin wiederholte die Vorwürfe der Politik. Es sei offensichtlich, dass der Streifen für westliches Publikum gemacht sei, er verbreite bewusst Mythen über Russland.
Andere Kirchenvertreter lobten den Film. Regisseur Zvjaginzew nimmt die Kritik gelassen.
"Das klingt jetzt nicht gerade bescheiden, aber ich stehe hinter jedem Wort, hinter jeder Idee des Films. Ich bin absolut davon überzeugt, dass er die Wahrheit des heutigen Tages zeigt. Und dass diese Wahrheit, wenn auch bitter, heilsam ist."
Die in "Leviathan" beschriebene Problematik – Behördenwillkür, Ohnmacht der Bürger – ist in Russland weit verbreitet. Die russische Zeitung RBK erinnerte in diesen Tagen an Beispiele von Enteignungen für staatlichen Bedarf: In Sotschi wurden Hauseigentümer für die Olympischen Spiele zwangsenteignet, in Wladiwostok für den Asien-Pazifik-Gipfel. Und oft geschah das intransparent.
Politische Debatte überlagert ästhetische Fragen
Der Internetsender Doschd zeigte den Film "Leviathan" kürzlich in Teriberka im Gebiet Murmansk, wo der Streifen gedreht wurde. Eine Reaktion im anschließenden Publikumsgespräch:
"So etwas geschieht in ganz Russland. Unsere Machthaber machen aus einem Bürger einfach ein Nichts."
Die widersprüchlichen Reaktionen auf den Film sagten denn auch viel mehr über den Zustand der russischen Gesellschaft als über den Film selbst, meint der russische Filmkritiker Michail Ratgauz.
"Ich finde es traurig, dass die Gespräche über die Reaktionen die Diskussion über den Film verdrängt haben."
Ratgauz kritisiert den Film. Er zerfalle in zwei Teile, außerdem seien Ausstattung und Kostüme unrealistisch. Doch darüber redet kaum jemand in Russland. Ein Nebeneffekt der politischen Debatte um den Film: Schon jetzt haben mehr als vier Millionen Zuschauer den Film im Internet gesehen, als Raubkopie. Regisseur Zvjaginzew nimmt es gelassen. "Leviathan" habe ein Eigenleben entwickelt, das sei gut so.
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