Film "Conducta"

Ungewöhnliche Kritik an Missständen in Kuba

Der kubanische Filmregisseur Ernesto Daramas und die kubanische Schauspielerin Miriel Cejas stehen beim Iberoamerikanischen Filmfestival im spanischen Marbella im Juli 2015 nebeneinander.
Der kubanische Filmregisseur Ernesto Daramas und die kubanische Schauspielerin Miriel Cejas beim Iberoamerikanischen Filmfestival im spanischen Marbella im Juli 2015 © picture alliance / dpa / Carlos Diaz
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 02.01.2016
Ein verarmtes und hoffnungsloses Kuba zeigt der Film "Conducta - Wir werden sein wie Che" des kubanischen Regisseurs Ernesto Daranas. Anhand der Geschichte einer Lehrerin, die am politischen System verzweifelt, äußert der Film Kritik, die noch vor Kurzem ernsthafte Schwierigkeiten nach sich gezogen hätten.
"Wir werden sein wie der Che", skandieren die Schüler in ganz Kuba nach dem Absingen der Nationalhymne. Mit Che Guevara als Leitbild propagierte der karibische Sozialismus sein Schul- und Erziehungssystem immer als herausragende revolutionäre Errungenschaft. Für Regisseur Ernesto Daranas ist das ein Mythos, der durch die soziale Entwicklung der letzten Jahre hinterfragt werden muss:
"In Kuba gibt es besondere Einbrüche im Erziehungssystem, weil wir seit fast 25 Jahren in einer permanenten Wirtschaftskrise mit Versorgungsengpässen leben. Das schlägt sich auch in einer sozialen Verelendung nieder, in einer Marginalisierung. Die jungen Menschen aus den verarmten Bevölkerungsschichten haben Probleme zuhause, sie haben finanzielle Probleme und da sollte ihnen die Schule eine Orientierung geben und es wäre sehr hilfreich, wenn sie dort mehr Lehrer wie Carmela finden würden."
Die Protagonistin des Films, Carmela, ist eine Lehrerin im Rentenalter. Die engagierte Pädagogin ist längst am politischen System verzweifelt, setzt sich aber besonders für ihre gefährdeten Schüler ein: etwa für Chala, einen elfjährigen Jungen, Sohn einer alkohol- und Tablettenabhängigen Prostituierten. Der Junge verdient etwas Geld nebenbei durch die Betreuung von Hunden für illegale Wettkämpfe und hat immer mehr Schwierigkeiten an der Schule. Regisseur Ernesto Daranas hatte kein Drehbuch, sondern entwickelte die Geschichte gemeinsam mit seinen Studenten von der Filmfakultät an der Universität von Havanna und in Zusammenarbeit mit den insgesamt 100 Kindern, die er für Improvisationsübungen ausgewählt hatte:
"Der Film beruht auf wahren Ereignissen. Wir haben mit den Studenten zusammen umfangreiche Feldforschung gemacht. Wir haben in den Schule ganz unterschiedliche Lehrer gefunden, schlechte, mittelmäßige und gute, alte und junge. Und wir fanden diesen pädagogischen Widerstandsgeist, den Carmela im Film verkörpert, diesen Widerstand gegen Unverständnis, Dogmatismus und starre Schablonen."
Noch nicht so alt wie die Regierenden
Der Film zeigt ein verarmtes und hoffnungsloses Kuba und das inmitten der Altstadt von Havanna, sonst ein Postkartenmotiv für Touristen. Die Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist nicht ungewöhnlich: Seit dem Sieg der Revolution 1959 haben kubanische Filmemacher die Fehler der Revolution, Bürokratie und Mangelwirtschaft mit kritischem Sarkasmus und volkstümlichen Humor begleitet.
Aber "Conducta" geht weit darüber hinaus und spricht ungewöhnlich viele Missstände an: Carmelas Enkel hat mit seinen Eltern Kuba verlassen und ist nach Miami gegangen. Der Vater eines ihrer Schülers sitzt wegen seiner politischen Aktivitäten im Gefängnis, der Vater ihrer besten Schülerin arbeitet illegal in Havanna und wird nur geduldet, weil er mit der Polizei seine kargen Einnahmen teilt. Aber als Chala in eine Besserungsanstalt kommt, in die "escuela de conducta" kommt, platzt der alten Lehrerin der Kragen, sie holt ihn dort heraus und gerät in Konflikt mit der Schulbürokratie: Carmelas Gegenspielerin ist eine wesentlich jüngere linientreue Funktionärin des Erziehungsministeriums. Die widerspenstige Lehrerin soll ehrenvoll in den Ruhestand abgeschoben werden, aber sie weigert sich. Auf ihr Alter angesprochen, kontert Carmela, sie sei immer noch nicht so alt wie die Herren, die Cuba regieren. Anspielungen, für die man noch vor Jahren ernsthafte Schwierigkeiten bekommen hätte.
"Ich glaube, derzeit findet eine Öffnung statt, aber es ist auch die Form, wie wir Missstände ansprechen. Wir verstecken uns nicht hinter hohen moralischen Säulen und auch nicht hinter fadenscheinigem Humor, sondern wir sprechen ehrlich frei. Man kann mit uns übereinstimmen oder auch nicht, aber zumindest muss man unseren Ansatz respektieren. Wir bleiben hart an den Tatsachen und schildern die Wirklichkeit frontal. Alles, was wir erzählen, ist in der Realität verankert."
Illusionsloser und undramatischer Realismus
Das wurde ihm auch von höchster Seite bestätigt. Die Erziehungsministerin, der Daranas den Film zeigte, bezeichnete den Film als schonungslos, aber wahr. Das Sozialdrama hat in Kuba alle Zuschauerrekorde gebrochen. Während des Films gab es spontanen Jubel, immer wieder Applaus und Zwischenrufe - besonders lautstark, wenn Carmela die alten Männer erwähnt, die schon viel zu lange dieses Land regieren. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich bei "Conducta" um einen zu 100 Prozent mit staatlichen Geldern finanzierten Film handelt.
"Ich wusste dass ich delikate sehr komplexe Themen anspreche, aber mein Standpunkt ist: Wer mich bezahlt, der kauft mich deswegen nicht. Du kannst für ein Ministerium, für eine Organisation oder meinethalben auch für die Regierung arbeiten, aber du als Filmemacher musst dir treu bleiben. Und das musst du im Kopf haben, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ich muss sagen, mein Film hat Polemik provoziert, wurde diskutiert und auch abgelehnt, aber ich habe keinerlei Schwierigkeiten gehabt, ihn so zu realisieren, wie ich wollte."
"Conducta" ist ein Novum in der kubanischen Filmproduktion, denn er kritisiert die herrschenden Verhältnisse nicht mit Sarkasmus und verzichtet auf die üblichen volkstümlichen und folkloristischen Humor. Illusionslos und mit undramatischem Realismus realistisch nähert sich einem der heiligen Kühe des tropischen Sozialismus, dem Schulsystem und analysiert darüber auch die versteckten Probleme der ganzen Gesellschaft: Armut, Kriminalität, Korruption, Prostitution, Diskriminierung, Unterdrückung, Bürokratie und ideologischer Starrsinn.
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