Filettiert und zusammengenäht

Von Uwe Friedrich · 14.01.2012
Der Erfurter "Freischütz" in der Regie von Dominique Horwitz erweckt den Eindruck eines Liederabends: Die musikalische Struktur der romantischen Oper von Carl Maria von Weber wurde zerstört, ohne eine neue, überzeugende Form zu finden.
Die Ouvertüre fällt aus. Der Erfurter Freischütz beginnt mit dem Bauernwalzer, zu dem eine Parade monströs verwachsener Dorfbewohner von rechts nach links über die Bühne zieht. In der neuen Version des Chansonniers, Schauspielers und nun auch Opernregisseurs Dominque Horwitz folgen die Nummern "Kommt ein schlanker Bursch", "Hier im irdschen Jammertal", "Wir winden dir den Jungfernkranz", "Was gleicht wohl auf Erden" ohne Unterbrechung, bevor knapp die Geschichte des Probeschusses rekapituliert wird. Dann lassen Chor und Orchester gemeinsam die Hörner erschallen, bevor etwa zwei Drittel der Ouvertüre erklingen, die wiederum nahtlos in die große Arie des Max "Durch die Wälder, durch die Auen" übergeht.

Der Eindruck eines Wittenbrink-Liederabends mit Material von Carl Maria von Weber kommt auf, ohne dass recht klar würde, wo Dominique Horwitz eigentlich hin will mit seinem filettierten und neu zusammengenähten "Freischütz". Langsam wird dann klar, dass der böse Jägerbursche Kaspar sich mit dem ebenso intriganten Ännchen (ursprünglich einmal Agathes beste Freundin) zusammengetan hat, um die beiden in die spukhaft verzerrte Dorfgemeinschaft einzugliedern.

Der Aufwand dieser Neufassung ist riesig, der Ertrag minimal, denn das Publikum erfährt nichts, was ein Regisseur nicht auch mit einem intakten "Freischütz" hätte erzählen können. Dass die Dorfgemeinschaft repressiv ist? Geschenkt. Dass Webers Happy End nicht wirklich glücklich ist? Ein Gemeinplatz. Dafür zerstört Horwitz die musikalische Struktur der romantischen Oper, ohne eine neue, überzeugende Form zu entwickeln. Er verzichtet auf einen sozialen Ort, sondern lässt die Sänger auf der Treppenlandschaft des Bühnenbildners Hank Irwin Kittel herumturnen, die aussieht wie die Erfurter Domstufen nach einem Erdbeben der Stufe acht. Das macht dem vorzüglich singenden Tenor Andreas Schager sein Leben unnötig schwer und zwingt auch das restliche Ensemble zu entbehrlichen Turnübungen.

Unter der betulichen Stabführung von Walter Gugerbauer spielen die Erfurter Symphoniker schwunglos und unkonzentriert. Tiefpunkt des knapp zweistündigen, pausenlosen Abends ist die Wolfsschluchtszene, in der über Webers Musik uninspiriertes Schlagzeuggetrommel gelegt wird und der verklemmte Max zaghaft die Hüften schwingt.

Ein beherzter Regisseur hätte ihn etwas wirklich Unerhörtes erleben lassen, etwas Schockierendes, wofür er die Musik Webers vielleicht tatsächlich nicht gebraucht hätte. So aber verstärkt sich bloß der unbeholfene Eindruck des gesamten Abends. Gelegentlich spreizt der in der Erfurter Lokalpresse begeistert aufgenommene lebende Geier auf der Bühne die Flügel, als wolle er wegfliegen - aber auch er kommt nicht vom Fleck.

"Freischütz"
Oper von Carl Maria von Weber
Regie: Dominque Horwitz
Musikalische Leitung: Walter Gugerbauer
Theater/Opernhaus Erfurt
Mehr zum Thema