Figurentheaterfestival "Fidena"

Puppenspiel, das es in Europa so nicht gibt

Eine überdimensionale Figur eines Hundes liegt in Bochum im Schauspielhaus während einer Probe auf der Bühne, während Musiker daneben sitzen.
Bei "Moondog" entfaltet sich die Figur im Hintergrund erst ganz spät als Hund - unser "Fidena"-Kritiker war fasziniert. © dpa/ picture-alliance/ Marcel Kusch
Von Stefan Keim · 05.05.2016
Indisches Handpuppenspiel und Wasserpuppentheater aus Vietnam: Beim Festival "Fidena" in Bochum, Essen, Hattingen und Herne sehen die Zuschauer Inszenierungen, die wohl auf keiner anderen europäischen Bühne gespielt werden. Vom Auftakt war unser Kritiker schon einmal begeistert.
Männer mit bemalten nackten Oberkörpern betreten die Bühne. Sie blasen in Muscheln und haben Trommeln und Triangeln dabei. Sie führen ein traditionelles indisches Handpuppenspiel auf, das "Pavakathakali".
Die Geschichte aus dem Mahabharata erzählt einen Kampf zwischen Gut und Böse. Der ehrenhafte König Dharmaputra verliert beim Spiel sein Reich, seinen Bruder und seine Frau an den finsteren Gegner. Der will seine weibliche Beute gleich vergewaltigen und zieht an den Tüchern, mit denen sie bekleidet ist. Doch der Gott Krishna hilft und schickt der verzweifelten Frau immer mehr Stoff. Das Auswickeln findet kein Ende.
Die schockierte Gefangene sagt, sie werde ihr Haar erst wieder zusammen binden, wenn es vom Blut der Feinde getränkt ist. Dann schlagen die Könige aufeinander ein, und wieder sorgt Krishna dafür, dass der Gute siegt. Ohne Einführung würde man diese Geschichte kaum verstehen, denn die indischen Puppenspieler erzählen sie sehr abstrakt. Einen kostbaren Teppich benutzen sie als Vorhang, die Figuren sind prachtvoll gestaltet. Die Spieler bewegen sie wie Tänzer, ein energiegeladenes Puppenballett.

"Pavakathakali" zeigt jahrhundertealte indische Tradition

Räucherstäbchen verbreiten ihren Duft, Blütenblätter fliegen, es gibt ein paar kleine Feuereffekte. Aber keine modernen Theatermittel. Das Pavakathakali hatte seine große Zeit im indischen Kerala vor zwei Jahrhunderten. Dem Regisseur und Guru Gopal Venu geht es nicht um eine Weiterentwicklung dieser Kunstform, er will sie in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten. Diese Art des Puppenspiels ist eine religiöse Kunst. "Fidena"-Intendantin Annette Dabs:
"Sie machen sehr viel Meditationen, auch während dieses Stückes. Es ist entsprungen von Tempelritualen, und das haben diese Menschen einfach in sich. Jemand, der sich für diese Theaterform entscheidet dort, der muss so spirituell sein. Sonst hat der wahrscheinlich keinen Spaß dran. Denn die spielen das immer so, innig, kontemplativ, voller Würde. Das ist schon was Besonderes."
Figurentheater aus Asien ist ein Schwerpunkt des Festivals. Annette Dabs hat Aufführungen entdeckt, die es sonst in Europa nicht zu sehen gibt. Weil sie sehr aufwändig sind und stark in ihrer Kultur verwurzelt. Also überhaupt nicht für den internationalen Festivalbetrieb gedacht. In der Gebläsehalle der Hattinger Henrichshütte gibt es am Wochenende Wasserpuppentheater aus Vietnam. Dabei stehen die Spieler bis zur Hüfte im Wasser.
"Diese Wassermarionetten sind eine der ältesten Theatertraditionen, die es überhaupt in der Welt gibt. Vor mehr als tausend Jahren haben in Vietnam, weil es da eben so viel Wasser gibt, da gibt es ja so viele Reisfelder, haben offensichtlich irgendwelche Menschen in den Pausen oder was weiß ich angefangen, im Wasser mit Puppen zu spielen und die Wasseroberfläche als Bühne benutzt. Und diese Tradition ist bis heute lebendig geblieben."

"Moondog" - Figurentheater, das glücklich macht

Die Gruppe aus Saigon zeigt Szenen aus dem Alltag, das Fischen, die Arbeit auf den Reisfeldern. Aber es treten auch Feen, ein Einhorn und feuerspeiende Drachen auf.
Andere Stücke führen in die Gegenwart oder in die jüngere Vergangenheit. Festivalchefin Annette Dabs ist eigentlich Regisseurin, hat aber noch nie eine eigene Arbeit bei der Fidena gezeigt. Diesmal macht sie eine Ausnahme, mit einem Herzensprojekt. Der blinde Komponist und Musiker Louis Thomas Hardin nannte sich nach seinem Hund "Moondog", hatte in den fünfziger und sechziger Jahren auf die Musikszene in New York großen Einfluss und lebte als alter Mann in Recklinghausen. Wo er - wie zuvor in New York - auf den Straßen trommelte und seine Geschichten verkaufte. Annette Dabs setzt ihm nun ein stilvolles, poetisches Denkmal, mit einem performativen Konzert.
Stefan Lakatos aus Bochum war Freund und Schüler "Moondogs". Er spielt auf einer Trimba, dem von "Moondog" Ende der vierziger Jahre für seine Stücke entwickelten Schlaginstrument. Dazu kommen fünf Saxophone, drei Performer und das Streichquintett Bracelli, die alle mit großer Hingabe und Präzision musizieren. Die Sensation allerdings ist ein seltsamer Berg im Bühnenhintergrund. Je nach Beleuchtung sieht er wie ein Wald oder ein auf der Seite liegender Mensch aus.
Erst gegen Ende bewegt sich der Kopf und er entpuppt sich als riesiger, zerknautschter Hund. Ganz langsam dreht er sich zum Publikum und gibt immer mehr Details frei. Zusammen mit "Moondogs" Musik ist das ein kaum zu beschreibendes, wunderschönes Ereignis. Nachher im Foyer schaut man nur in leuchtende Gesichter.
Die Fidena zeigt auch kantige und politische Stücke. Ariel Doron aus Israel zum Beispiel schickt in "Plastic Heroes" Puppen aus dem Spielwarenhandel in einen blutigen Krieg. Aber mit "Moondog" ist Annette Dabs zum Auftakt ein faszinierender Ruhepunkt gelungen, Theater, das glücklich macht.

Mehr Informationen zum Festival "Fidena - Figurentheater der Nationen" auf der Veranstalterwebsite

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