Figürliche Sensation

Von Thomas Senne · 05.04.2006
Cy Twombly ist vor allem durch seine Spielart des abstrakten Expressionismus bekannt geworden. Doch Twombly betätigt sich bereits seit den 40er Jahren auch bildhauerisch. Die Alte Pinakothek in München zeigt nun erstmals in Europa 40 neue Skulpturen des amerikanischen Künstlers.
Auch wenn seine kryptischen Gemälde und Zeichnungen, seine auf Leinwand und Papier hingekritzelten Chiffren als lyrische Spielart des abstrakten Expressionismus made in USA zu seinem Markenzeichen wurden, stehen überraschenderweise Skulpturen am Anfang des ästhetischen Weges von Cy Twombly. Nur wusste dies bislang allenfalls eine Handvoll Eingeweihter. Bereits 1946 hatte der damals 18-Jährige aus Alltagsmaterialien diverse Kunstobjekte zusammengebastelt und versucht, bildhauerisches Schaffen neu zu definieren.

"Es stellt in seinem Werk eine absolut eigenständige Position dar. Es ist neben der Malerei ein in sich geschlossenes Werk, das auch nicht zu vergleichen ist mit der Malerei und einen völlig anderen Ansatz auch verfolgt, aus der Haltung heraus, ganz einfache, ganz banale Gegenstände in Kunstform zu übersetzen, zu einer wirklich unglaublich glücklichen Symbiose gefunden hat."

Für die aktuelle Twombly-Schau hat die Kuratorin der Ausstellung, die stellvertretende Generaldirektorin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Carla Schulz-Hoffmann, keine alten Arbeiten des Künstlers ausgesucht, sondern präsentiert in neun Kabinetten der Alten Pinakothek München rund 40 zwischen 1992 und 2005 entstandene neue Skulpturen. Eine Europapremiere, bei der den assoziativ arrangierten Werken viel Raum für die Wirkung gelassen wird. Eine Konzeption, die überzeugt.

Abgesehen von drei Bronzeplastiken, die mit ihrer Patina wie Betongüsse aussehen, verwendet Cy Twombly für seine dreidimensionalen Arbeiten objets trouvés, Alltagsgegenstände, um diese dann wieder mit Hilfe von dick aufgetragenem Gips und weißer Wandfarbe zu verfremden. Einfache, übereinander gestapelte Kisten, Bretter, Plastikeimer und Kartons setzt er geschickt ein und bettet sie ebenso in einen neuen Zusammenhang wie Äste, Kochlöffel oder Metallgegenstände. Skulpturen, die ihre Verwandtschaft mit der Arte povera nicht verleugnen können und oft aus schlichten geometrischen Formen, beispielsweise Kuben und Zylindern, bestehen: auf Sockelquadern oder umgestülpten Holztrögen befestigte Objekte, die geheimnisvoll zwischen Banalität und Bedeutungsschwere hin- und herpendeln, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

"Die Skulpturen sind wirklich überwiegend aus relativ sprödem Grundmaterial, eben Kisten, Holzschachteln, runden Schachteln oder eben diesen Eimern, zusammengebaut. Das erinnert natürlich auch sehr stark an so Hybrid-Turmbauten im alten Mesopotamien immer wieder. Und das ist natürlich auch ne Kultur, die ihn auch sehr interessiert hat."

Da bohrt sich zum Beispiel ein rostiger Blechkreisel in eine gipsverschmierte Kunststoffdose und wirkt wie der Donnerkeil eines mythischen Gottes, während drei übereinandergeschichtete Röhrensegmente eine Hommage an den "mathematischen Traum" eines gewissen "Ashurnipal" sind - eines assyrischen Königs des 7. vorchristlichen Jahrhunderts. "In memory of Babur" erinnert Twombly an den Gründer des indischen Mogulreiches aus dem 16. Jahrhundert. Dem Künstler geht es jedoch nicht in erster Linie um historische Reminiszenzen. Geschichtliche und mythologische Verweise sind für ihn nur Spielmaterial, aus dem er seine Werke formt, meint die Kuratorin Carla Schulz-Hoffmann.

"Das ist bei Twombly so wie bei all seinen anderen Arbeiten auch, dass er einen unglaublichen Fundus an Wissen hat, den er aber jetzt nicht als faktische Realitäten ausspuckt und wiedergibt, sondern ganz intuitiv kommen ihm die Dinge in den Sinn, die er verknüpft, die er miteinander verbindet. Und das ist ja nicht nur die Antike, das ist ja nicht nur die klassische Mythologie, sondern es geht in den kleinasiatischen Bereich, aber es geht auch in die moderne Literatur. Er hat eine unglaubliche Kenntnis in unterschiedlichsten literarischen Quellen und Vorbildern, die er ja intuitiv abrufen kann, würde ich sagen."

Dem alter Ego von Fernando Pessoa hat Twombly ein schlichtes Monument gewidmet, das er mit unbeholfen hingekritzelten Lettern aus einem Poem des portugiesischen Dichters versehen hat. Auch den buddhistischen Spruch "Om ma ni pad me hum", den er mit zerlaufener blauer Farbe auf eine rund zwei Meter hohe Stele geschmiert hat, ist für Twombly eine kalligraphische Fingerübung mit nicht eindeutig zu entzifferndem Hintersinn.

Wichtiger jedoch als die schwer zu lesenden Schriftzüge auf einigen der Skulpturen ist das Weiß, in die der Künstler alle seine Objekte getaucht und damit den unterschiedlichsten Versatzstücken zu einer neuen ästhetischen Einheit verholfen hat.

"Die Farbe ist als eben Nichtfarbe eigentlich ganz besonders wichtig. Das sieht man hier in der Ausstellung ganz schön, die ja ganz mit Tageslicht beleuchtet ist. Es ist wie in der antiken Skulptur, in der antiken Architektur, die durch das Licht des Tages erst ihre besondere Kraft erfährt und dadurch ihren Nuancenreichtum auch letzten Endes entwickelt. Das ist ja nicht einfach Weiß, sondern das sind unglaublich viele verschiedene Weißtöne, aus denen sich so ganz allmählich die Oberfläche entwickelt."

Nur bei einem Werk, einem weißgekalkten Katafalk en miniature, setzen Überbleibsel einer Malaktion, knallbunte Kleenex-Tücher in Gelb, Rot und Grün, als Papierblumen oben grellfarbige Akzente. Wie viele andere Skulpturen der sehenswerten Twombly-Schau auch bleibt diese Arbeit in einem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Vergänglichkeit und Leben, Ruhe und Bewegung. 0.15

Service: Die Ausstellung "Cy Twombly in der Alten Pinakothek – Skulpturen (1992 – 2005)" ist vom 5. April bis zum 30. Juli in der Alten Pinakothek München zu sehen. Der Katalog kostet 39 Euro.