FIFA-Reformen

Neuanfang oder Weißwäscherei?

Ein Miniaturfußball liegt auf mehreren Dollar-Scheinen
"Ist doch eh alles gekauft": Nach den jüngsten Skandalen hat die FIFA ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem. © Imago
Von Tommy Wheeler · 19.02.2017
Die FIFA will ihr ramponiertes Image aufpolieren und mehr auf Menschenrechte und Nachhaltigkeit setzen. Ob sie wirklich auf dem Weg zur "FIFA 2.0." ist, wurde kürzlich auf einer Podiumsdiskussion in Zürich debattiert. Unser Reporter Tommy Wheeler war vor Ort.
"Machen Sie bitte weiter Druck, wir sind uns unserer Führungsrolle bewusst."
Worte, die eine leise Hoffnung auf Veränderungen wecken und von Federico Addiechi stammen. Mehr aber auch nicht. Seit 2003 leitet der Argentinier beim Weltfussball-Verband FIFA den Bereich Nachhaltigkeit. Am letzten Donnerstag war er einer von vier Diskutanten, die an der Podiumsdiskussion "FIFA im Wandel: Schein oder Sein?" teilnahmen. Außerdem auf dem Podium Jean-Loup Chappelet, Professor für Public Management an der Uni Lausanne, Min Li Marti, Politikerin der Schweizer Sozialdemokraten im Nationalrat, und Alex Kunze, der beim Nationalen Kontaktpunkt der Schweiz für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen verantwortlich ist.
Podiumsdiskussion FIFA im Wandel (v.l.n.r.): Alex Kunze vom Nationalen Kontaktpunkt Schweiz, Federico Addiechi (FIFA), Prof. Jean-Loup Chappelet (Uni Lausanne) und die Politikerin Min Li Marti.
Podiumsdiskussion FIFA im Wandel (v.l.n.r.): Alex Kunze vom Nationalen Kontaktpunkt Schweiz, Federico Addiechi (FIFA), Prof. Jean-Loup Chappelet (Uni Lausanne) und die Politikerin Min Li Marti.© Susanne Hefti / terre des hommes Schweiz
Organisiert wurde die Veranstaltung in Zürich von "Terre des hommes Schweiz" und dem Arbeiterhilfswerk "Solidar Suisse". Sozusagen eine Bestandsaufnahme ein Jahr nach der Inthronisierung von Präsident Gianni Infantino.

Wieviel Widerstand kommt von Blatters Gefolgsleuten?

Federico Addiechi gelang es nur begrenzt darzustellen, was sich im ersten Jahr der Amtszeit von Gianni Infantino im Vergleich zur unrühmlichen Ära Blatter verändert hat. Zwar schilderte er ausführlich welche Reform-Vorhaben die FIFA bereits auf den Weg gebracht hat. Zum Beispiel die Aufnahme der Menschenrechte in die Statuten des Verbandes, empfohlen durch ein externes Beratergremium.
"Wenn du in Nachhaltigkeitsbereichen arbeitest, hast du es nicht einfach. Da kommt niemand zu dir und sagt, bitte hilf uns, das ist das Wichtigste für unsere Organisation, das ist das Wichtigste für eine FIFA-Weltmeisterschaft. Sicher nicht. So die Herausforderung ist immer da, und der stellen wir uns."
Dabei verpackte der ehemalige argentinische Volleyballer die Pläne und Ideen immer wieder mit viel Charme in schöne Worte. Da, wo er hätte konkreter werden können, blieb er jedoch meist oberflächlich oder antwortete gar nicht. Beispielsweise auf meine Frage, wer denn nun im mächtigsten Fachsport-Verband aktuell das Sagen habe - Präsident Infantino oder Generalsekretärin Fatma Samoura? Schweigen auch zu meiner Nachfrage, wie schwer es sei, den möglichen Widerstand alter Gefolgsleute Blatters zu brechen. Dies sei nicht das Thema der Diskussion, in der es seiner Wahrnehmung nach vor allem um die soziale Verantwortung der FIFA mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Turniere ging. Auch eine Antwort. Aber ebenfalls eine vertane Chance.

"Es gibt einen Glaubwürdigkeitsverlust"

Denn nur wenn es der Weltfussball-Verband versteht, dass ein transparenter und kritischer Umgang mit den Arbeitsabläufen in seinem Unternehmen unabdingbare Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit Menschen- und Arbeiterrechten ist, kann die FIFA Glaubwürdigkeit zurückerlangen. Bei allen Skandalen aktuell eines der größten Probleme der internationalen Sportverbände meint Jean-Loup Chappelet, der 1995 den ersten Portmanagement-Kurs an einer Schweizer Uni aufgebaut hat.
"Wenn Sportverbände oder deren Ausrichter sagen, wir wollen Ereignisse mit Nachhaltigkeit, glauben ihnen die Menschen nicht mehr. Es gibt einen Glaubwürdigkeitsverlust. Viele denken dann, das ist Reinwaschen. Viele meinen, die Bewerber sagen das nur, um mit ihrer Kandidatur erfolgreich zu sein. Sie glauben nicht, das es ernst gemeint ist. Es obliegt den Veranstaltern von Sportevents, die Menschen, die Bevölkerung in demokratischen Ländern zu überzeugen, dass es sich wirklich um ein nachhaltiges Ereignis handelt."
Die Wiederherstellung des Vertrauens sieht auch die Schweizer Sozialdemokratin Li Marti als eine der größten Herausforderungen für die FIFA:
"Für die FIFA ist eine Fußball-Weltmeisterschaft ein sehr gutes Geschäft mit den Fernsehrechten und so weiter, aber für die lokale Bevölkerung je nachdem nicht. Und wenn sie dann Steuergelder aufwenden müssen zum Stadienbauen, die nachher nicht gefüllt werden können, die überdimensioniert sind, dann sinkt einfach die Bereitschaft, und ich glaube, das hat schon miteinander zu tun, das auch das Image der Verbände ramponiert ist, das man das Gefühl hat, es sind korrupte Verbände, sie schauen nur auf sich, auf ihren eigenen Profit. Das sind hochprofitable Unternehmen, die als Vereine organisiert sind."

Infantinos Schattenmänner überall?

Vor der FIFA liegt selbst bei ernst gemeinter, intensiver Herangehensweise ein Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Zumal aus dem Innenleben des Verbandes momentan Stimmen zu hören sind, dass entgegen der Statutenänderungen aus dem letzten Jahr nicht Generalsekretärin Fatma Samoura die starke Frau, sondern Präsident Gianni Infantino der starke Mann sei. Er habe an allen wichtigen Schalthebeln seine Schattenmänner installiert. Was die Senegalesin in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen vehement zurückwies. Sie allein sei für Einstellungen und Entlassungen zuständig. Demnach seien im letzten Jahr fünf Prozent der insgesamt rund 500 FIFA-Mitarbeiter entlassen worden. Dafür seien aber auch mehr als einhundert neu angestellt worden. Sie werde es nicht zulassen, dass alte Kräfte die neue Administration zu Fall brächten.
Was bei der Podiumsdiskussion deutlich wurde: Generell könnte die FIFA Glaubwürdigkeit stärker zurück gewinnen, wenn sie gesellschaftliche Missstände, wie zum Beispiel Homophobie in Russland, offen beim Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ansprechen würde. Denn es reicht bei weitem nicht aus, wenn Federico Addiechi von der FIFA betont, das Problem sei erkannt und werde gerade nach konkreten Vorfällen in Südamerika bewusst angegangen.
Ein Lichtblick dagegen, dass die FIFA auf internationalen Druck und dank einer Eingabe der internationalen Baugewerkschaft bei der OECD sich auf eine Mediation eingelassen hat und nun doch gemeinsam mit den Baugewerkschaften etwas gegen die anfangs menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in Katar unternimmt. So werden die Arbeiter aus Asien, insbesondere aus Indien und Nepal nicht mehr allein über eine Agentur rekrutiert, an die die Ausgesuchten bisher eine Gebühr zahlen mussten, sondern direkt zum Teil über die Unternehmen, die vor Ort die Stadien bauen und u.a. aus Frankreich und Deutschland sind. Außerdem übernachten sie jetzt in menschenwürdigeren Unterkünften und kleineren Wohneinheiten als vorher. Das große Problem sei jedoch immer noch die Hitze bei Temperaturen um 40 Grad und mehr. Alex Kunze vom Nationalen Kontaktpunkt der Schweiz, der für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen verantwortlich ist, sieht Fortschritte bei der FIFA:
"Wenn ich das vergleiche mit normalen Unternehmen, also ich meine, da hat sich jetzt extrem viel bewegt. Das kann man wirklich sagen. Ich meine, es war sehr viel Druck da, der öffentliche Druck, und ich habe jetzt kein Beispiel von einem privaten Unternehmen im Kopf, das sich so schnell bewegt hat."

WM-Vergabe 2026 als Lackmustest

Immerhin: ein Anfang ist gemacht. Die FIFA ist mit Blick auf die Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar auf Schadensbegrenzung aus.
"Wir haben ein Beobachtungssystem in beiden Ländern, also in Russland und Katar eingerichtet, mit dem wir bei regelmäßigen Inspektionen die Situation der Arbeiter vor Ort beleuchten. In Russland sind wir alle drei Monate, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter zu überprüfen. Das waren bisher 39 Besuche. Außerdem haben wir eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften unterzeichnet, gemeinsam auf menschenwürdige Verhältnisse zu achten. Hat die FIFA das vor 2010 jemals getan? Nein, wir hatten immer den Standpunkt, wir nutzen die Stadien nur für einen Monat während der WM, und was danach passiert, ist uns egal. Das ist jetzt nicht mehr so."
Wie ernst der Weltfussball-Verband es wirklich meint, wird die Vergabe der WM 2026 zeigen. Im Mai beginnt die Ausschreibung für das Bewerbungsverfahren. Gewissermaßen der Lackmustest, meint nicht nur die Schweizer Nationalrätin Li Marti.
"Es muss wirklich das Ziel sein der FIFA, die Besten zu sein. Die Besten in punkto Nachhaltigkeit, in punkto Menschenrechte. Ich glaube aber, das hat auch einen Zusammenhang wie die Organisation selbst funktioniert. Das hat auch einen Zusammenhang mit der Betriebskultur, mit der Transparenz, mit der Governance innerhalb der FIFA selber, und ich glaube, da muss die FIFA genauso den Ehrgeiz haben, wirklich die Besten zu sein und wirklich die Zustände zu verändern."
Es wird sich zeigen, ob die FIFA ihre Ankündigungen und Versprechen umsetzt und sie wirklich auf dem Weg zu einer FIFA 2.0 ist, wie sie ein Zukunftsprojekt getauft hat, dass vor vier Monaten ins Leben gerufen wurde.
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