Festival "Zühören" in Berlin

Handyvideos werden immer wichtiger

Kinder in der vom Krieg zerstörten Stadt Aleppo schauen hinter der Plane eines zerstörten Hauses hervor.
Die Einwohner Aleppos hoffen auf eine dauerhafte Feuerpause. © picture alliance / dpa / Mikhail Voskresenskiy
Marcel Mettelsiefen im Gespräch mit Ute Welty · 18.06.2016
Für Journalisten wird es immer schwieriger, selbst aus Kriegsgebieten wie Syrien zu berichten. Auch deshalb werden Handyvideos von Geflüchteten immer wichtiger, sagt der Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen. Er nimmt am Festival "Zuhören" in Berlin teil.
Ute Welty: "Zuhören", dieses Motto hat Sasha Waltz über die nächsten zwei Tage gestellt. Mit einem besonderen Festival will die Choreografin, Tänzerin, Regisseurin einen besonderen Raum für Kunst und Politik schaffen, und dazu gehören Filme, Improvisationen, Gesprächsrunden. Unter anderem eine, die sich mit Geschichte und Geschichten von Flucht und Migration beschäftigt, mit Dokumentationen zum Thema. In dieser Gesprächsrunde sitzt dann Marcel Mettelsiefen, Fotograf und Dokumentarfilmer, ausgezeichnet unter anderem mit dem deutschen Grimme-Preis, dem BAFTA Award in Großbritannien oder auf dem Dokumentarfilmfestival in New York. Guten Morgen, Herr Mettelsiefen!
Marcel Mettelsiefen: Guten Morgen!
Welty: Mit Ihnen zusammen auf dem Podium Kollegen aus Syrien und aus Afghanistan, das sind zwei Länder, die Sie auch sehr gut kennen, in denen Sie viel und lange unterwegs waren und sind. Inwieweit unterscheidet sich Ihr Blick trotz all dem, wenn Sie sich heute in der Runde austauschen?
Mettelsiefen: Da bin ich selber sehr gespannt, weil man so eine Runde, muss ich ehrlich sagen, selten antrifft. Das kommt daher, dass ich natürlich der ein oder anderen Podiumsdiskussion schon beigewohnt habe, aber man selten auf so einem Haufen so viele Journalisten von vor Ort zu sehen und zu hören bekommt. Und ich glaube, dass dieser Blick sich insofern unterscheidet, dass man syrische Journalisten, die ich vor allem on the ground, von der Arbeit her gesehen habe, selten in solchen Runden trifft, weil sie entweder nicht eingeladen werden, nicht bekannt genug sind, weil diejenigen, die man gerne und immer wieder hört, eben solche wie ich, die von internationalen Medien hingeschickt werden oder es raus geschafft haben … und man denkt, dass das, was ich erzähle, valider ist als das, was Kollegen von vor Ort berichten können.
Welty: Vielleicht ist die Metaebene auch in diesem Zusammenhang gar nicht so wichtig, vielleicht wird zu viel darüber erzählt und vielleicht ist das Machen ausschlaggebender?

"Wir kommen gar nicht mehr rein"

Mettelsiefen: Vor allem jetzt, glaube ich, weil der Zugang für Journalisten wie mir verwehrt ist, wir kommen gar nicht mehr rein. Insofern ist in dem Bezug sicherlich das Machen gerade wirklich ausschlaggebender, weil sonst überhaupt nichts stehen würde.
Welty: Welche Rolle spielen denn in diesem Zusammenhang die neuen Formate? Wenn Sie sagen, der normale Journalismus ist weitgehend vom Geschehen ausgeschlossen, welche Rolle spielen zum Beispiel Handyvideos von Flüchtenden und Flüchtlingen?

Bilder, die Menschen vor Ort machen, werden immer wichtiger

Mettelsiefen: Eine große Rolle, weil, die Möglichkeit überhaupt für uns, Geschichten zu erzählen, ist der Zugang. Und der Zugang ist immer schwieriger geworden, wenn man aus Syrien berichten will. Insofern ist die einzige Art und Weise, an Material heranzukommen, auf solche Sachen zurückzugreifen, die Menschen vor Ort machen. Dafür sind die ganzen sozialen Medien natürlich eine neue Form der Abbildung. Und ich glaube, da ist die journalistische Verantwortung, damit verantwortungsvoll umzugehen, größer und eine neue Art und Weise, des Geschichtenerzählens.
Welty: Wie stellen Sie sich dieser Verantwortung? Denn nicht zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang ja auch die Frage der Authentizität.

Drei Jahre an einem Protagonisten "dran geblieben"

Mettelsiefen: Nun gut, ich habe jetzt einen Film gemacht, wo ich drei Jahre lang an einem Protagonisten dran geblieben bin, insofern arbeite ich vielleicht auch anders. Ich versuche, keine Nachrichten zu machen, sondern ich versuche mehr … Ich habe jetzt gerade einen emotionalen Dokumentarfilm über eine Familie gemacht, insofern musste ich mich damit jetzt erst mal nicht groß auseinandersetzen. Aber der schmale Grat, journalistisch in solchen Ländern zu arbeiten, war mir jedes Mal bewusst und es ist eine große Herausforderung.
Welty: Ja, noch mal die Frage: Wie stellen Sie sich dieser Herausforderung, wie gehen Sie denn damit um? Wie treffen Sie welche Entscheidung? Ist das eine Sache aus dem Bauch raus, überlegt man sich vorher, das kann ich noch machen, das kann ich nicht mehr machen? Es sind ja auch sehr persönliche Momente, die da aufgezeichnet werden unter Umständen, die vielleicht gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind!
Mettelsiefen: Ja. In dem Falle, wo ich jetzt gerade diese Familie begleitet habe, war ich glaube ich oft … ((Leitung bricht ab))
Welty: Herr Mettelsiefen? Da ist uns die Leitung kaputtgegangen, das ist aber schade! Jetzt versuchen wir noch mal, ob wir ihn direkt wieder erreicht bekommen, sonst würden wir uns … Jetzt klingelt es, na ja, gut, wir telefonieren einfach mal live, vielleicht geht er ran! Nein, tut er nicht. Schade!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Zur Person: Der deutsch-spanische Fotojurnalist, Kriegsberichterstatter und Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen wurde für seine Syrien-Dokumentation "Die Kinder von Aleppo" (2014) mehrfach ausgezeichnet. Der Film zeigt das Schicksal einer syrischen Familie in Aleppo, ihr Flucht und ihren Neuanfang in Goslar. Bei der Veranstaltung von Sasha Waltz& Guests:"Zuhören. Improvisationen und Gespräche" zum Thema Kunst und Politik am 18. Und 19. Juni 2016 in Berlin sitzt er mit auf dem Podium. Zudem wird seine Fortsetzung der Dokumentation mit dem Titel "Watani my homeland" (2016) gezeigt.