Festival

Rückkehr der Bühne

Nobulumko Mngxekeza als Lady Macbeth und Philisa Sibeko (l) spielen während einer Fotoprobe für eine afrikanische Version von Macbeth, die im Rahmen des Festivals Theaterformen in Braunschweig (Niedersachsen) zu sehen ist.
Ein afrikanischer Macbeth und Goethes Zebra © picture-alliance/ dpa / Nicky Newman
Von Alexander Kohlmann · 16.06.2014
Auch wenn in den ersten Tagen kein konkretes inhaltliches Motto zu erkennen war: die wichtigste Beobachtung bei den diesjährigen Theaterformen ist eine ästhetische. Der leere Raum ist nach dem Theatertreffen offenbar auch in der internationalen Szene vorbei. Und: Die meisten Arbeiten der eingeladenen Theatermacher sind auf die Bühnen zurückgekehrt, während die Zuschauer brav im Zuschauerraum sitzen.
"Eine radikale Kehrtwende", nennt diese Wiederentdeckung der Theaterhäuser auch Festivalleiterin Anja Dirks, die selber überrascht ist, dass nach Jahren der Audio-Walks und Performances unter freiem Himmel die klassische Theateraufstellung Bühne / Zuschauerraum wieder an Bedeutung gewonnen hat. Bereits die Eröffnungspremiere von Brett Baileys "Macbeth" ist vor diesem Hintergrund durchaus programmatisch zu verstehen. Denn die Übertragung des Shakespeare-Stoffes aus dem England des 17. Jahrhunderts in das postkoloniale Afrika der Gegenwart ist jenseits der politischen Dimension vor allem eine klassische Oper, in der Sänger Figuren spielen und die "Macbeth"-Geschichte eins zu eins auf der Bühne durchdekliniert wird.
Während vor zwei Jahren noch Rimini-Protokoll in 100 Prozent mit Braunschweiger Helden des Alltags das Festival eröffnete, ist mit "Macbeth" auch die Fiktion und Illusion als legitime theatrale Form in die Festival-Auswahl zurückgekehrt. Das setzt sich auch in vielen anderen der Arbeiten fort, die während der ersten sechs Tage zu sehen waren.
Da sind zum Beispiel die "Dunklen Alleen", die in der Regie des lettischen Regisseurs Vladislavs Nastavševs episodenhafte Geschichten über die Liebe des russischen Literaturnobellpreistägers Ivan Bunin in klassisches Studiobühnentheater verwandeln. Schauspieler spielen hier in einem psychologischen Realismus ihre Figuren aus einer anderen Zeit so ungebrochen, wie man es noch vor einem Jahr bei den Theaterformen wirklich nicht erwartet hätte. Wird in diesem Retro-Theater einer erschossen, müssen den Toten die Bühnenarbeiter wegtragen, weil er ja nicht mehr laufen kann. Strömender Regen wird vom Tonband eingespielt und auch inhaltlich hält sich die Regie sklavisch an die Spielregeln zwischen Mann und Frau im Russland zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
Ebenso wie die japanische "Kiste im Koffer"-Inszenierung, die mit Freuds Traumdeutung zwar eine andere literarische Vorlage verfolgt, sich aber in der Bebilderung der Gedankenkonstrukte des Vaters der Psychoanalyse auch keinen Bruch der geschlossenen theatralen Realität erlaubt. Ein Sohn, der wohl einmal zuviel vom schrecklichen, überlebensgroßen Vater gezüchtigt wurde, stolpert hier durch ein en Detail aufgebautes Seelenlabyrinth, in dem in einer gigantischen Ausstattungsorgie von der Kastrationsangst bis zum Penisneid praktisch jede Freud-Idee in eine sehr konkrete Anordnung verwandelt worden ist: Wenn man die Austattung allerdings weg denkt, bleibt nicht mehr als ein beständig, vor Angst bibbernder Sohn in diesem Guckkasten zurück, der in seine eindimensionalen Schlichtheit durchaus zu faszinieren weiß.
Eine Rückeroberung
Da verhält es sich mit "Goethes-Zebra" dann doch ein wenig anders, denn obwohl auch Hans-Peter Litschers Spiel mit Dichtung und Wahrheit der Folgen eines Zusammentreffens Goethes mit einem leibhaftigen Zebra in Braunschweig mit großer Ausstattung daher kommt, lebt die Performance vom schauspielerischen Können Litschers. Der hat sich mit einer manischen Besessenheit in die Figur eines wahnsinnigen Sammlers gestürzt, die mitreißt und nebenbei gekonnt den Kult um des Deutschen liebsten Dichter ad absurdum geführt. Wie nahe er damit der Realität kommt, zeigen einigen Besucher, die die Performance tatsächlich für eine echte Ortsbegehung halten.
Ganz ohne Schauspieler kommt dagegen die faszinierende Installation "B" der schweizer Gruppe Trickster-P aus, die das Märchen vom Dornröschen in ein Labyrinth aus elf Kisten im Zwergenformat verwandelt hat, durch die Besucher alleine mit einem Audioset von Raum zu Raum gehen müssen. Requisiten, Töne und Materialien führen immer tiefer in die Motive des Märchens hinein, eine tote Amsel versperrt beim Gang durch den Wald den Weg, ein Raum voller Maniküre-Geräte erinnert an die Kindheit des verlassenen Mädchens im Palast, wo ein Kronleuchter strahlt und die tote Mutter in einer weichen, aber auch erdrückenden Polsterung omnipräsent ist.
Und die Performances jenseits der Fiktion und die ungeschminkten Helden des Alltags? Die gibt es auch, haben es aber gegen die Illusionskünstler und Geschichtenerzähler in dieser Ausgabe erkennbar schwer, was auch an der oft mangelhaften Komplexität liegen mag. Der Schweizer Christoph Meierhans entwirft ausgerechnet an einem Kommunal-Wahlwochenende in "Some use for your broken clay pots" am Tageslichtprojektor eine alternative Verfassung und beendet seinen Vortrag mit der Aufforderung, das vermeintliche "System" mit konsequentem Nicht-Wählen zu Fall zu bringen. Und das Ranters Theatre aus Australien verwandelt alltägliche Gespräche mit Fremden in eine Theaterperformance, die sich zu sanften Yoga-Musiken in so seichten Gewässern bewegt, dass überdeutlich wird, warum die Rückeroberung der Bühne als Ort mutiger Fiktionen nach Jahren der lustvollen, theatralen Selbstauflösung eine unvermeidbare Gegenbewegung ist.