Festival "Made in Potsdam"

Theater auf Segway-Rollern

Segway-Touristen auf der Prager Mánes-Brücke
Auf Segways sind vor allem Touristen unterwegs. Das Potsdamer Künstlerkollektiv "Kombinat" bringt sie jetzt auf die Bühne. © dpa/picture alliance/CTK/Michal Kamaryt
Von Jadwiga Korte · 16.01.2016
Segways sind diese Elektroroller, auf denen sich vor allem Touristen bei Stadtführungen fortbewegen. Das Potsdamer Künstlerkollektiv "Kombinat" hat diesen Trend jetzt in einem Theaterstück aufgegriffen. Ein Probenbesuch beim Festival "Made in Potsdam".
Wie auf Inseln sitzen die Zuschauer auf Podesten in dem geheimnisvoll wirkenden, halbdunklen Raum. Das Licht wechselt in ein sattes Blau und wie einem Meer entstiegen tauchen drei Frauengestalten auf. Auf Elektrorollern, wie viele Touristen in Großstädten auf ihren Segways, gleiten sie vorbei, umkreisen sie die Inseln.
" ... steigt auf, ich zeig euch unsre neue Welt ... "
So vermischen sich die Ausführenden und mit den Zuschauern.
" ... ich hoffe, dass sie euch gefällt ... "
Ausgedacht haben sich die Inszenierung die Choreografin, Paula E. Paul und der Medienkünstler Sirko Knüpfer. 2009 haben sie in Potsdam das Künstlerkollektiv 'Kombinat' gegründet. Vor zwei Jahren hat sich das Kombinat in "Grand jeté", einer Trampolinperformance, mit dem Schweben beschäftigt. In" Mein Touristenführer" wird die Mobilität des Menschen thematisiert. Nein, nicht der aufrechte Gang - die aufrechte Fahrt. Jede Darstellerin balanciert auf der kleinen Bühne ihres Fahrzeugs. Die Bewegungen - mal geschmeidig, elegant wie ein Ballett. Mal abstrakt - Roboter auf Reisen.
" ... die Erde ist ein dicker, runder Ball, sie fliegt ganz plötzlich durch das Weltall ... "
"Wir beobachten einfach, dass seit einiger Zeit wieder eine neue Fortbewegungstechnik sich breit macht und diese auf einmal was kann, was früher immer so 'ne hohe Kunst der Politik oder 'ne hohe Kunst des Tanzes war: einfach Balance zu halten. Und wir sind in einer Zeit, wo Balance sehr gebraucht wäre. Und das kann auf einmal diese Technik. Und mit solchen Fahrzeugen haben wir gedacht: 'Mensch das ist eine neue Bewegungsform damit muss man jetzt einfach ein Bewegungstheater machen. Die Wikinger waren so erfolgreich, weil sie die speziellen Boote hatten, Christopher Kolumbus war erfolgreich, weil er auch wieder neue Fahrzeuge hatte und so geht es weiter, bis auf den Mars und so ... Und davon erzählt 'Mein Touristenführer'. Von der Art, wie sich eine erfolgreiche Kultur - wie sie Raum erobert. Und das im Kleinen, Alltäglichen durch ein neuartiges Fahrzeug hier oder eben in größeren Räumen gedacht."
"Kombinat" singt von dem Weggang und der Ankunft
Drei Sängerinnen und Schauspielerinnen, Christine Jensen, Tanja Watoro und Maria Arnold, - in farbigen Stoffhelmen und bunten Anzügen, im wechselnden Licht und Klang entfernen sie sich von einander, tauchen an einer anderen Stelle auf - wieder vereint. Für Zuschauer manchmal außerhalb des Blickfelds bleiben sie als Stimme erfahrbar. Von dem Weggang und der Ankunft singen sie, von Verlust des alten und Eroberung eines neuen Raums. Auch für den Zuschauer eine faszinierende und neue Wahrnehmung eines Theaterraums und unserer gemeinsamen Geschichte.
Tobias Unterberg alias B. Deutung, dem musikalischen Leiter, gefiel das Konzept des Kombinats von Anfang an ...
" ... weil das Konzept dieses Stücks ja ist, Texte aus den letzten vier Jahrhunderten, aus dem kollektiven Bewusstsein zu nehmen und in einen neuen Kontext zu setzten, wo man also musikalisch einen völligen Freiraum hat, das neu zu denken. Und anhand dessen habe ich mir eine neue Musikdramaturgie gebaut. Und natürlich mit klassischen Zitaten zu arbeiten, wie die "Marmotte" von Beethoven, aber ansonsten 95 Prozent sind wirklich neue Musiken, von der Moderne, von dem Popsong, vom Rap-Song bis hin zu moderner Klassik."
"Ich komme schon durchs ganze Land avec que la marmotte ... "
Auch Sirko Knüpfer sieht in den Liedern und Texten, die zur Grundlage dieser Inszenierung wurden, einen unerschöpflichen Schatz, der von Menschen unterwegs und ihrer Suche nach neuen, besseren, schöneren Lebensräumen erzählt.
"Seit Anfang der Zivilisationsgeschichte ist das so, dass Mensch sich auf der Welt bewegt und sich neue Räume erschließt und mindestens so lange ist es, dass er davon singt. Dass er das einbaut in seine Lieder und dass er seine Erfahrung, die er macht in der Fremde mit den Fremden, dass er die verpackt in unser kollektives Gedächtnis - in das älteste Speichermedium, was wir kennen: den Reim, den Vers, das Lied. Wir wollen mit diesem Stück auch einfach hinweisen und sagen, dass wir neben unserer hochentwickelten Diskussionskultur, die wir pflegen in diesem Land - mit Talkrunden und, und, und - auch eine ebenso hoch entwickelte Diskurskultur haben, die innerhalb unserer Musikwelt stattfindet."
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