Festival "Krieg singen"

Zwischen Ekel und Entzücken

Ein ukrainischer Soldat in Lugansk neben einem Panzer. Er stapelt Patronen.
Wie passen Musik und Krieg zusammen? © Ivan Boberskyy, dpa
Von Laf Überland · 17.01.2016
Ein Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt geht dem Verhältnis von Musik und Krieg nach. Unter dem Motto "Krieg singen" wird nicht nur Musik als Foltermittel vorgestellt, sondern auch Werbeschnipsel der Rüstungsindustrie mit Elektropunk durchmischt.
"Alles, was mit Musik auf jeden Fall geht, ist: Alles!"
So bringt Detlef Diedrichsen, der Kurator des Festivals "Krieg singen"im Haus der Kulturen der Welt, das Ausmaß der Verbindung zwischen Krieg und Musik auf den Punkt.
Um darüber mehr zu erfahren, haben die Macher versucht, eine möglichst große Anzahl unterschiedlicher Positionen, sich musikalisch mit Krieg auseinanderzusetzen, zusammenzukriegen: von Calypsonians, die sich in ihrer Außensicht herrlich über Herrn Hitlers Krieg lustig machten, und Musiker, die den Krieg am eigenen Leib erleben wie die Songhoy Blues aus Mali, über eher analytisch-abstrakte Sichtweisen bis zu vertonten Gedanken über Popkultur und Kriegsmaterial wie beim Duo wittmann/zeitblom: "Is Everybody in?" - "Jeder dabei?", fragt deren audiovisuelle Show um Drohnen und ferngesteuerte Bomben, um Rüstungsindustrie und die Einbettung der Wirklichkeit in einem einzigen großen Spiel.
Georg Zeitblom:" So, wie wir im Moment sehen, was abläuft, ist alles nur noch 'ne große Unterhaltungsshow..."
Texte von Oswald Wiener mischen wittmann/zeitblom mit Schnipseln aus Werbeschroschüren der Waffenindustrie und theoretische Schriften mit Videospielanleitungen. Dazu tanzen Girls, und ein gelackter Verkäufer preist seine todbringenden Waren an – zu laut wummerndem Elektropunk.
Zeitblom: "Also die Fragestellung vom Festival war ja: Geht Krieg und Musik gut zusammen? Und das funktioniert natürlich sehr gut. Werbung für die israelische Armee zum Beispiel oder für die amerikanischen Waffenhersteller wird immer mit Technomusik unterlegt."
IS EVERYBODY IN: "Sie können diese Funktion allerdings nicht in Anspruch nehmen, wenn Sie in der bis zum Ziel noch benötigten Zeit verhungern oder verdursten."
Vorschulserienmusik als Foltermittel
Da die Konzerte natürlich unterhalten sollten, wurden die expliziten Fragen und die wirklich unappetitlichen Aspekte des Verhältnisses zwischen Krieg und Musik in die nachmittäglichen Podiumsdiskussionen geschoben: Und da konnte man zum Beispiel von Fachleuten lernen, dass es, um mordende Horden, die ins Töten ziehen, aufzuputschen, keine brutale Metalmusik braucht und keinen aggressiven Techno – ebenso wenig wie zum Foltern!
Da reicht es, den zu Befragenden in einer so genannten Stressposition, also gebeugt, am Boden festzuketten und in 24, 48 oder auch 72 Stunden (in gemäßigter Lautstärke übrigens) mit der Musik zu beschallen, die die Soldaten gerade auf ihren iPods hatten. Christina Aguilera und die Vorschulkindersendungsmusik von Barney & Friends gehörten deshalb auch zur Foltermusik in Abu Ghraib.
An verschiedenen Hörstationen im Haus der Kulturen kann man die Foltermusik nachhören und Propagandapop der Hamas, Klagelieder und Kurznachrichten oder Heldenmärsche, gesungen von japanischen Kinderchören.
Musik als Manipulationsmittel
Die Hörspielmacher Andreas Ammer und FM Einheit führten, unterstützt von drei Rockmusikern, in ihrer Collage aus Radioaufnahmen von Kaiser Wilhelm und Adolf Hitler live vor, wie Musik den inhaltlichen Gehalt von Botschaften verfremdet. Und Hörspielmacher Ammer kennt sich damit, dank seiner Radioerfahrung, besonders gut aus.
"Wenn man irgendwie ins Hirn eines anderen Menschen kommen will, ihm ein Gefühl in seinen Kopf transplantieren will, dann geht das mit Musik am allerschnellsten. Zwei Sekunden einer Schnulze, und man denkt an seine vergangene Freundin. Zwei Sekunden lauter Musik, und man wird euphorisiert. Das funktioniert so schnell und das ist ein so klares, einfaches Mittel, dass es überall eingesetzt wird."
Das für Viele ergreifendste Projekt waren – so nahe und doch so unbekannt – die Stücke aus dem Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität, die die Sängerin und Chorleiterin Barbara Morgenstern zusammen mit den experimentellen Musikern Hauschka und Ari Benjamin Meyers für den Chor der Kulturen der Welt aufbereitet hatten: Stimmen von Weltkriegsgefangenen aus ganz Europa, dem Kongo, Nordafrika und Asien - aufgenommen, um die Stimmen der Völker vollständig zu sammeln.
Die Probanden mussten Zahlenreihen aufsagen oder Lieder singen. Und sie durften singen, was sie wollten...
Barbara Morgenstern: "Du bist mein Sonnenschein, ich sitze hier, umgeben von vier Wänden, ich weiß nicht, ob ich hier rauskomme, ich weiß nicht, ob ich das überleben werde, für immer Dein. Das ist die Situation, in der er das gesungen hat. Und das ist schon berührend."
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