Festival in Ludwigshafen

Deutsche Filme ohne Klischees

Der Gewinner des Filmkunstpreises, Regisseur und Buchautor Tom Sommerlatte, freut sich am 04.07.2015 in Ludwigshafen bei der Preisverleihung während des 11. Festivals des Deutschen Films
Hat den Filmkunstpreis in Ludwigshafen gewonnen: Tom Sommerlatte © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Wolfgang-Martin Hamdorf · 05.07.2015
88.000 Zuschauer haben das 11. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen besucht. Die Kinozelte am Rheinufer ziehen immer mehr Kinofans an. Den Filmkunstpreis sicherte sich der Regisseur Tom Sommerlatte mit "Im Sommer wohnt er unten".
"Das ist jetzt nicht dein Ernst?" "Was denn?" "Das ist mein Zimmer!" "Es gibt doch genug andere." "Ja, warum bist du denn dann in meinem?" "Ganz einfach, weil es da im Winter am wärmsten ist." "Ja, zum Glück ist ja wieder Sommer."
In dem Ferienhaus der Eltern an der französischen Atlantikküste treffen zwei sehr unterschiedliche Brüder und ihre Frauen zusammen. Der ältere ist Banker, der jüngere Lebenskünstler. Am Swimmingpool schwelen die alten Familienkonflikte und Kindheitserinnerungen.
Die Spannung steigert sich immer weiter - aber nichts explodiert
Die Spannungen eskalieren, aber nie kommt es zur Explosion. In Ludwigshafen wurde "Im Sommer wohnt er unten" mit dem mit 50.000 Euro dotiertem Filmkunstpreis ausgezeichnet. Für den Regisseur und Drehbuchautoren Tom Sommerlatte ein wunderbarer Geldsegen, denn für sein Debüt hat er keine deutsche Filmförderung oder deutsche Fernsehgelder erhalten:
"Wir haben Anträge gestellt, und nicht nur einen. Wie wir es eben angeboten haben, mit Referenzen französischer Filme, wo dieses Genre durchaus existiert, und auch sehr, sehr gut angenommen wird. Trotzdem war es wohl nicht so einfach, dieses Drehbuch dann zu lesen und zu verstehen, was eigentlich da die Komik ausmacht, das Drama ausmacht, weil es eben so dieses Alltägliche hat, das, wenn man es falsch liest, langweilig liest, langweilig ist. Und deswegen hat es ja auch nicht funktioniert. In Frankreich hat es funktioniert, die Franzosen haben es richtig gelesen, weil wir haben in Frankreich - in der Region, in der wir gedreht haben - einen Antrag gestellt und dann auch sofort die Förderung bekommen."
19 Filme standen im Wettbewerb. Dabei reichte die inhaltliche Bandbreite vom Bruderzwist im Frankreichurlaub über die dunkel apokalyptische Kafka-Verfilmung, die Erinnerungen an den Bau der Mauer bis zum Drama um einen Priester unter dem Verdacht sexuellen Missbrauchs.
Kino- oder TV-Film, Spielfilm oder Doku: Die alten Kategorien sind passe
Die Veranstalter des Festivals definieren Filmkunst als übergreifenden Begriff – und unterscheiden bei der Auswahl nicht mehr nach den alten Kategorien wie Spiel- oder Dokumentarfilm beziehungsweise Kino- oder Fernsehfilmproduktion. So ging der Publikumspreis an den Fernsehfilm "Über den Tag hinaus", eine anrührende Geschichte über einen todkranken Psychiater, der sich von einer Taxifahrerin an die wichtigen Orte seines Lebens fahren lässt. Regisseur Martin Enlen hat seinen Fernsehfilm zum ersten Mal auf einer großen Leinwand und einem großen Publikum gezeigt:
"Diese ganzen Vorführungen, die waren so, dass wir uns gefragt haben: Warum bringen wir diesen Film eigentlich nicht ins Kino? Weil die Reaktion derartig überwältigend war, die Leute haben gelacht, sie haben geweint, also all das, was man idealerweise im Kino tut, das man sagt, eigentlich fast schade, das er nachher in Anführungszeichen 'nur' im Fernsehen laufen wird, wo jeder für sich allein davor sitzt, da gucken dann zwar viel Millionen zu, aber die sind alle so einsam. Ich finde gerade dieser Film hat bewiesen, dass diese Grenzen absolut verschwimmen und ich finde das sehr schön, dass das Festival auch so unterstützt, das es einfach um die Qualität eines Filmes geht und nicht darum, für wen er gemacht wurde."
"Verfehlung" zeigt einen Priester unter Missbrauchsverdacht
Sicher war der Fernsehfilm auch so erfolgreich beim Publikum, weil er die gängigen Stereotypen vom alten Mann und der jungen Frau vermeidet. Auch andere Filme im Wettbewerb verweigern sich den offensichtlichen Klischees, etwa der Film "Verfehlung" von Gerd Schneider, der in Ludwigshafen mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde. Es geht um einen Priester unter Missbrauchsverdacht, um den Umgang mit der Schuld und ganz besonders um den Umgang der katholischen Kirche mit Opfern und Tätern. Regisseur Gerd Schneider kennt die Kirche von Innen, hat selbst auf dem Priesterseminar studiert, bevor er zur Filmschule wechselte. Auch aus dieser persönlichen Erfahrung heraus wollte er seine Protagonisten als ganz normale Menschen zeigen.
"Ich wollte hier einfach drei Priesterfiguren zeigen, wie ich sie kenne und wie sie auch sind. Das sind Männer, die mitten im Leben stehen, die einen durchaus harten Job zu machen haben und eben nicht so ein grenzdebiler Dicker sind, der komische Sachen von sich gibt, oder Hobbyprivatdetektive oder sinistre Schurken, die dann im Vatikan hocken und das Ende der Welt abwarten."
"Verfehlung" hatte seinen Kinostart bereits Ende März, aber nur 8000 Kinogänger insgesamt haben den Film in ganz Deutschland gesehen. Auf dem Festival in Ludwigshafen bekam "Verfehlung" 5000 Zuschauer in drei Vorstellungen. Die zwei Kinozelte am Rhein fassen je 1200 Zuschauer.
Daneben stehen noch weitere Zelte für die Gastronomie und die zahlreichen Diskussionsveranstaltungen und Filmgespräche. Trotz aller Wetterschwankungen stiegen die Publikumszahlen im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um zehn Prozent auf 85.000. Seit seiner Gründung vor zehn Jahren ist das Kinozeltfest kontinuierlich gewachsen.
Im kommenden Jahr veranstaltet das Festival einen Fachkongress zum Thema Kinopublikum und wie Filme ihr Publikum erreichen können. Bisher ist die Rechnung in Ludwigshafen aufgegangen, das Festival ist gutbesuchter Treffpunkt von Publikum und Filmemachern, so erfolgreich, dass jetzt schon laut darüber nachgedacht wird, ob eine weiterer Anstieg der Zuschauerzahlen gar dem Charakter des Festivals schaden könnte.
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