Festival in Hannover

Chinas widerständige Kunst im Doppelpack

Der chinesische Künstler Danny Yung lebt in Hongkong.
Der chinesische Künstler Danny Yung lebt in Hongkong. © dpa / picture alliance / EPA / Kimimasa Mayama
Von Agnes Bührig · 30.05.2015
Danny Yung verbindet die 600 Jahre alte Tradition der chinesischen Kun-Oper mit neuesten digitalen Techniken, Xioao Ke kombiniert Barockfresken aus Deutschland mit chinesischen Schriftzeichen. Die beiden gefeierten Regisseure präsentieren ihre Arbeiten bei den Kunstfestspielen Herrenhausen.
Ein leerer Theaterraum. Vor eine weiße Wand platziert ein Chinese in traditioneller grauer Robe einen schlichten Tisch und zwei Stühle. Dann tanzt er durch den Raum, eine Mischung aus Bewegungen asiatischer Kampfsportarten und westlichem Tanztheater. Mit "Flee by night" hat Danny Yung ein mehr als 400 Jahre altes klassisches Theaterstück der chinesischen Kun-Oper in die Jetztzeit transferiert, sagt der 73-jährige Regisseur:
"Es geht um einen General, der mit seinem Herrscher nicht klar kommt. Er muss sich entscheiden, ob er fliehen will und wenn ja, wohin. Mich hat die Frage inspiriert, ob das Stück in Zeiten der Revolution gespielt wird oder eher danach. Denn es geht um die Frage, wie man sich mit einem System auseinandersetzt, wenn man damit Probleme hat."
Traditionelle chinesische Kostüme wechseln sich mit Krawatte und Anzug ab, dazu Musikcollagen, die chinesische Musik mit Geräuschen und westlicher Musik mixen, Videoprojektionen auf der Leinwand. Es ist der Versuch, die Tradition mit den Mitteln der westlichen Avantgarde zu spiegeln.
Totale Überwältigung durch den Kapitalismus
350 unabhängige und regional eigenständige Theaterformen gab es noch vor 50 Jahren in China. Weniger als ein Viertel von ihnen existieren heute noch, schätzt der Initiator des Chinaschwerpunktes bei den Kunstfestspielen Herrenhausen, Roland Quitt. Der Verlust kultureller Identität ist für die Theatermacher der beiden eingeladenen Produktionen ein Thema, sagt Roland Quitt:
"Was uns interessiert hat an beiden diesen Produktionen, ist, dass es uns schien, dass in beiden Fällen sich Künstler auseinandersetzen vor dem Hintergrund einer totalen Überwältigung durch den westlichen Kapitalismus mit der Frage, wie und auf welche Weise chinesische Kultur da noch ein Mittel darstellt, sich auseinander zu setzen."
"Flee by night" von Danny Yung ist in Europa zum ersten Mal zu sehen. Der Pionier experimentellen Theaters, Jahrgang 1943, kommt aus Hongkong. Durch die britische Kolonialherrschaft habe das Theaterleben dort die Kulturrevolution in den 1960er- und 70er-Jahren einigermaßen unbeschadet überlebt, sagt er.
Anders ist die Lage in Shanghai. Die 1979 geborene Xiao Ke muss sich sehr genau überlegen, wie viel Kritik am System sie in ihren Performances unterbringen kann. Eine Lösung ist, die Theater zu verlassen, die sehr genau überwacht werden, sagt Xiao Ke:
"Wir gehen raus in den öffentlichen Raum. Wir haben kein Interesse daran, mit dem System zu verhandeln, zu erklären, was wir machen. Das wäre sehr langweilig. Die Herausforderung besteht für uns darin, unseren Weg als Künstler zu gehen und dabei in China bleiben zu können."
Akzeptieren Sie diese Information!
Aufmerksame Hannoveraner haben Xiao Ke vielleicht schon gestern dabei beobachtet, wie sie Aufnahmen für die Performance Mini View macht. Mit ihrem zweiten Stück, "We apologize to inform you", entlarvt sie die Sprache der Propagandisten. Denn dieser Satz ist auf chinesischen Flughäfen vor allem dann zu hören, wenn Flüge ersatzlos ausfallen. Oft ohne Angabe von Gründen. Meist, weil die Luftwaffe wieder einmal ein Übungsmanöver fliegt, sagt Zi Han, der für digitale Umsetzung des Stückes verantwortlich ist:
"Die Ankündigung 'Wir entschuldigen uns', hört sich nach einer aufrichtigen Aussage an, doch in Wirklichkeit hat dieser Satz oder der Kontext rein gar nichts mit einer Entschuldigung zu tun. Die wahre Aussage ist: Sie haben diese Art der Information zu akzeptieren und ihr Folge zu leisten."
Was genau in dieser Performance auf der Bühne passiert, wird man erst morgen wissen. Doch schon jetzt steht fest, dass das Eröffnungswochenende der Kunstfestspiele Herrenhausen kontrovers ist, passend zum Motto des Festivals "Gegen den Strich" − ganz im Sinne von Danny Yung:
"Wir kommen nicht her, um konsumiert zu werden, sondern hoffen darauf, dass wir einen Dialog anstoβen können."
Informationen der Kunstfestspiele Herrenhausen (29. Mai bis 14. Juni 2015)
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