Fesselnde Dorfchronik

Geheimnisse und Dämonen

Die Löwin "Zarina" in ihrem Gehege im Frankfurter Zoo
Eine Löwin: In dem Roman von Mia Couto spielen ihre Artgenossinnen eine gewichtige Rolle. © picture alliance / dpa
Von Maike Albath · 16.07.2014
Mörderische Löwinnen überfallen die Bewohner eines Dorfes in Mosambik. Doch unter der Oberfläche lauern ganz andere Dämonen. Solche, die aus der Gemeinschaft selbst stammen. Das "Geständnis der Löwin" ist ein Roman, dessen suggestiver Tonfall den Leser – auch in der Übersetzung - sofort in den Bann zieht.
Gefährliche Kräfte beherrschen die Ortschaft Kulumani mitten in der mosambikanischen Savanne: Mörderische Löwinnen überfallen die Bewohner, und nichts kann ihnen Einhalt gebieten. Die Familie des Fährtenlesers Genito Mpepe hat schon eine Tochter verloren, als der Jäger Arcanjo Baleiro eintrifft. Fünfzehn Jahre zuvor hatte Baleiro in Kulumani ein Krokodil erlegt. Nun bedrängt ihn der Verwalter, das Dorf von der Gefahr zu befreien, aber seine Frau berichtet dem Jäger von ganz anderen Bedrohungen. Nach und nach verschieben sich die Gewichtungen – sind es wirklich die Tiere, vor denen man hier Angst hat? Oder kämpft jeder gegen einen anderen Dämon?
Der Mosambikaner Mia Couto, 1955 in der Hafenstadt Beiro geboren, als einziger Afrikaner Mitglied der brasilianischen Academia das letras und 2013 mit dem bedeutendsten Literaturpreis der portugiesischen Sprache Premio Camões ausgezeichnet, dringt mit seinem neuen Roman Geständnis einer Löwin in den inneren Bezirk einer Dorfgemeinschaft vor.
Ein magisches Verständnis der Welt hat hier ebenso Geltung wie die Gesetze der Moderne. So verbreitet sich die Überzeugung, bestimmte Personen könnten Löwen "fabrizieren". Aber der Mythos, der Tiere und Menschen miteinander verschmelzen lässt, dient auch zur Camouflage von Gewalt - vor allem Frauen werden zu Opfern. Nur weil die First Lady Naftalinda ihre Stimme erhebt und ihren Mann unter Druck setzt, wird gegen eine Gruppe von Vergewaltigern Anzeige erstattet. Am Ende sterben die Löwen, obwohl der Jäger, der als Mulatte zwischen den Kulturen steht, nicht mehr auf den Abzug drücken kann.
Couto hat Medizin studiert und als Journalist gearbeitet
Couto gelingt eine fesselnde Dorfchronik, die vor allem über die Sprache große Suggestion entfaltet. Zwei Stimmen wechseln sich kapitelweise ab: Die älteste Tochter des Fährtenlesers Mariamar legt ihre Version der Geschehnisse vor, die von einer bildhaften Erzählweise geprägt ist und tief in der oralen Tradition wurzelt, kontrastiert durch das "Tagebuch des Jägers", in dem Baleiro seine Erfahrungen schildert.
Couto, auch literarisch durch die Verschmelzung afrikanischer und portugiesischer Einflüsse geprägt, hat Medizin studiert, dann aber als Journalist gearbeitet und sich für die Befreiungsbewegung Mosambiks engagiert. Er leitete zehn Jahre lang die staatliche Nachrichtenagentur AIM, bis er 1985 ein Biologiestudium begann.
Dass er mittlerweile an der Universität Biologie unterrichtet und eine Firma für Umweltforschung betreibt, schlägt sich auf die Sujets seiner Bücher nieder. Sein Roman Das schlafwandelnde Land von 1992 zählt zu den herausragenden Werken der afrikanischen Literatur.
Seine spezifische sprachliche Operation gewann sogar für die gesamte afrikanische Narrativik Modellcharakter: Mit großer Sprachlust reichert Couto sein Portugiesisch durch mosambikanische Lexik und regionale Ausdrucksweisen an, was im Original ganz eigene Schwingungen produziert. Für den europäischen Leser besitzt Das Geständnis der Löwin etwas Geheimnisvolles, das sich auch in der Übersetzung vermittelt. Coutos Tonfall schlägt einen sofort in den Bann.

Mia Couto: Das Geständnis der Löwin
Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner
Unionsverlag, Zürich 2014
270 Seiten, 19,95 Euro