Fernsehen

"Schieres Teufelswerk"

Präses Nikolaus Schneider bei einer ARD-Feier für 60 Jahre "Wort zum Sonntag"
Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, spricht in Hamburg bei der Jubiläumsfeier ARD zu 60 Jahre "Wort zum Sonntag" © dpa / picture alliance / Maja Hitij
Von Brigitte Baetz · 08.05.2014
"Das Wort zum Sonntag“ ist der religiöse Fels in der medialen Brandung. Seit 60 Jahren ist die zweitälteste deutsche Fernsehsendung ein fester Bestandteil des Samstagabends.
Es ist der 8. Mai 1954. Die Schweizer Sängerin Lys Assia führt gemeinsam mit Fred Weyrich und den Peheiros die deutsche Hitparade an. Und der evangelische Pastor Walter Dittmann spricht in dem ehemaligen Hochbunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, aus dem der Nordwestdeutsche Rundfunk sendet, das erste "Wort zum Sonntag". Sein Thema: Die "wunderbare Tatsache" des Sehen- und Hören-Könnens. Seine Einschaltquote: 100 Prozent. Einen anderen Fernsehkanal gibt es nämlich nicht. Mit dieser kleinen Predigt, die noch live übertragen wird, endet der TV-Abend. Und so wird das noch ein paar Jahre bleiben.
"Guten Abend."
Von Anfang an wird "Das Wort" heftig kritisiert. "Schieres Teufelswerk" meinen konservative Evangelikale noch in den 60er-Jahren in der Fernsehübertragung zu erkennen. Atheisten fühlen sich mit Botschaften belästigt, die sie für überlebt halten. Doch das "Wort zum Sonntag" entwickelt sich zum festen Bestandteil des deutschen Fernsehrituals am Wochenende, auch oder vielleicht weil inzwischen danach noch mindestens ein Spielfilm ausgestrahlt wird.
"Wort zum Bierholen"
Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff verspottet die Sendung zwar als "Das Wort zum Bierholen", aber für Millionen Deutsche sind die Männer und später auch Frauen, die im Wechsel zwischen evangelischer und katholischer Provenienz das Wort zum Sonntag sprechen, die einzigen Theologen, mit denen sie überhaupt noch in Kontakt kommen. Nicht wenige unter den Sprechern gewinnen durchaus Kultstatus, so zum Beispiel die Ordensschwester Isa Vermehren. Einst Kabarettistin in Werner Fincks "Katakombe" und Profi im Unterhaltungsgewerbe, gibt sie den Zuschauern im Mai 1989 folgendes zu bedenken:
"Bei andren Aufführungen ist es ja gewöhnlich so: je teurer die Karte, desto besser der Abend. Ob das beim Fernsehen auch so stimmt, das weiß ich gar nicht. Ich hab gehört: es soll auch ganz langweilige, so genannte Unterhaltungssendungen geben, die aber sehr teuer waren. Da ist das Wort zum Sonntag ein richtiges Kontrastprogramm. Es ist erstens gar nicht teuer und es ist zweitens ganz kurz und es unterhält eigentlich niemanden. Weder so noch so. Es unterhält bestenfalls etwas: einen Gedanken, eine Richtung des Denkens, die einem bei zu viel Unterhaltung dann doch leicht abhanden kommen kann."
Eine kleine Insel des Nachdenkens in einem Meer von Bildern zu sein: Dieser Anspruch eint wohl bis heute die unterschiedlichen Männer und Frauen, die das "Wort zum Sonntag" sprachen und sprechen, darunter so bekannte Theologen wie Jörg Zink. Im "Deutschen Herbst" 1977 legt er während der Entführung der "Landshut" kurzerhand sein Manuskript zu Seite, spricht frei über die "Nacht von Mogadischu" und bittet Gott um Erbarmen mit dieser "verwirrten, kranken Menschheit". Seine oft politisch verstandenen Statements polarisieren ohnehin, was ihm auch Morddrohungen einbringt:
"...bis dahin, dass gelegentlich ein faustgroßer Stein durchs Wohnzimmerfenster flog und so, oder dass man mir sagte: Euch Pfaffen hängen wir alle noch an die Laternen. Das hat dann das, was man Popularität nennt, ein bisschen ins Normalmaß zurückgeschraubt."
Predigt auf der Reeperbahn
Heute hält sich die Aufregung über die Sendung in Grenzen. Seit der Einführung des kommerziellen Fernsehens müssen die Macher eher um Aufmerksamkeit kämpfen, denn die wundersame Sendervermehrung hat dazu geführt, dass vor allem junge Menschen das "Wort zum Sonntag" eher meiden. 1999 wurde das Format reformiert, die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher reduziert. Sie sprechen inzwischen aus Kreißsälen, vor bunten Kulissen, melden sich von der Reeperbahn. Doch Quotenrekorde jenseits der offiziell angegebenen zwei Millionen Zuschauer brachen bisher traditionellere Ausgaben:
"Verehrte Damen und Herren, liebe Landsleute. In wenigen Tagen werde ich zu meiner Reise nach Deutschland aufbrechen und ich freue mich schon darauf."
Zweimal sprach ein Oberhaupt der Katholischen Kirche das "Wort zum Sonntag". 1987 Papst Johannes Paul II und 2011 Benedikt XVI. Die zweitälteste deutsche Fernsehsendung nach der "Tagesschau" bleibt trotz Zuschauerschwund die wichtigste christliche Verkündigungssendung.
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