Feridun Zaimoglu über seinen Roman "Evangelio"

"Diese Worte müssen nahe an Luther gewebt werden"

Schriftsteller Feridun Zaimoglu
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu folgt in seinem neuen Roman den Spuren Martin Luthers während dessen Zeit auf der Wartburg © Deutschlandradio - Nicolas Hansen
Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Frank Meyer · 09.03.2017
Eine Stube auf der Wartburg: hier der einsame Martin Luther, dort der Teufel und andere Dämonen. In dieser Zeit der Anfechtungen sei die Bibelübersetzung für den Reformator auch zu einer Erlösung geworden, sagt Feridun Zaimoglu - das habe er in seinem neuen Roman zeigen wollen.
In seinem heute erscheinenden Buch "Evangelio – Ein Luther-Roman" bringt der Schriftsteller Feridun Zaimoglu seine Leser in das Jahr 1521/1522. Es war die Zeit, in der Luther auf der Wartburg versteckt wurde. In nur zehn Wochen übertrug er damals das Neue Testament in die deutsche Sprache.
Wie kann sich ein zeitgenössischer Schriftsteller dem Phänomen Luther und dessen Sprachkunst nähern? Zaimoglu beschrieb im Deutschlandradio Kultur seine Herangehensweise. Vor der kreativen Umsetzung des Stoffes habe zunächst eine Art Selbstaufgabe stattfinden müssen: :
"Ich habe mich an das gehalten, was ich bei jedem Buch tue. Ich vergesse mich, ich zerstöre mich. Vor allem bei Luther musste ich mich völlig vergessen. Es ist für mich eine große Freude, die eigene Identität auf dem Papier aufzugeben."

Der schriftstellerische Prozess der "Nachdichtung"

Die Sprache seines Buches sei in einem Prozess der "Nachdichtung" entstanden, sagt Zaimoglu. Er habe dafür intensiv in dessen Sendbriefen sowie der Luther-Bibel gelesen und sich auch an den Schauplätzen des historischen Geschehens umgesehen:
"So habe ich den Ton gefunden. Und ich dachte, diese Sprache, diese Worte müssen nah an Luther gewebt werden. Denn: Was ist das Wichtigste an Luther? Man kann zu ihm stehen wie man will: Das ist seine aufrichtige Frömmigkeit."

Ringen mit dem "alten Feind" und anderen Dämonen

Für Luther war die Zeit auf der Wartburg auch eine Phase der großen Anfechtungen. Er soll dort mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben. Zaimoglu thematisiert auch im Roman diese abergläubische Seite – im Ringen Luthers mit dem Teufel, Dämonen und Höllenhunden:
"Es ist eine christliche Welt, diese ganze Welt von Martin Luther ist durchglüht von diesen Bildern. Er bleibt im Grunde bei der Wahrheit seiner Welt und bei der Wahrheit, an die er ja glaubt. Die Katholische Kirche hat etwas Wunderbares und gute Worte geprägt für den Teufel, nämlich 'Der alte Feind'."

Keine Langeweile, sondern vielmehr eine Erlösung

Oft werde so getan, als ob Luther aus purer Langeweile in seiner Stube auf der Wartburg mit der Bibelübersetzung begonnen habe, kritisiert Zaimoglu die Luther-Rezeption:

"Dass dem aber viele Anfechtungen vorgehen, dass er gewissermaßen im wahrsten Sinne des Wortes 'ausgesetzt' war, dass für ihn nach vielen Monaten der Versuchungen durch den 'alten Feind' im Grunde genommen die Bibelübersetzung eine Erlösung war, das wollte ich herausstellen."

Ich-Erzähler Burghard ist Katholik und nennt Luther einen Ketzer

Die Perspektive auf Luthers Leben und Schreiben wird durch einen Ich-Erzähler gesteuert, den Landsknecht Burghard. Er wird dem Reformator als eine Art Leibwächter zur Seite gestellt. Burghard aber ist ausgerechnet Katholik und nennt Luther gerne immer wieder eine "Ketzer":
"Das sorgt für ungeheure Spannung. Auch da habe ich mich auf Fakten bezogen. Denn tatsächlich war es so, dass nicht nur der Hauptmann von Berlepsch, sondern auch Türmler und Wärter auf der Wartburg altgläubig, also katholisch waren. Aber sie waren dem Fürsten verpflichtet. Der katholische Landsknecht Burghard soll den Frater Martinus schützen, ja,. Aber gleichzeitig kommt es immer wieder zum Streit, weil er dem 'Ketzer' vorwirft, ihn und die anderen vom Glauben der Väter und Vorväter abzubringen."


Feridun Zaimoglu: "Evangelio – Ein Luther-Roman"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
352 Seiten, 22 Euro

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